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Autoimmunerkrankung

Multiple Sklerose – ein Experte erklärt Ursachen, Symptome und Behandlung

Nervenzellen bei Multiple Sklerose
Multiple Sklerose ist eine autoimmune, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der fehlgeleitete Reaktionen des Immunsystems die eigenen Körperzellen angreift. Foto: Getty Images

01.12.2023, 11:06 Uhr | Lesezeit: 16 Minuten

Berühmte Betroffene wie die Hollywood-Schauspielerinnen Christina Applegate und Selma Blair oder die deutsche Fernsehmoderatorin Anna Kraft haben der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit eingebracht. Doch was ist MS genau, was ist über die Ursachen bekannt und wie wird die unheilbare Krankheit behandelt? FITBOOK-Medizin-Redakteurin Melanie Hoffmann hat diese und mehr Fragen Dr. Patrick Thilmann, Facharzt für Neurologie, gestellt.

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Bei Multiple Sklerose handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Sie betrifft das Gehirn und Rückenmark von Betroffenen. Gekennzeichnet ist MS durch Schübe, die in Schwere und Dauer variieren können. Da Multiple Sklerose außerdem mit unzähligen unterschiedlichen Symptomen einhergehen kann, wird sie auch als die „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ bezeichnet. Laut der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft leben weltweit etwa 2,8 Millionen Menschen mit der Autoimmunerkrankung, in Deutschland sind es 280.000. Jährlich kommen rund 15.000 neue Diagnosen hinzu. „Die Zahl der Betroffenen scheint zu steigen“, erklärte uns Dr. Thilmann im FITBOOK-Interview und vermutet verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Darüber hinaus besprach der Experte mit uns im Detail, was Multiple Sklerose so schwer zu diagnostizieren macht, wie MS fortschreitet und welche Herausforderungen Betroffene und behandelnde Ärzte zu meistern haben.

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Die MS-Fallzahlen steigen

FITBOOK: Wie kommt es, dass die Zahlen von MS-Fällen steigen?
Dr. Patrick Thilmann: „Wie es zu diesem Anstieg kommt, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Man vermutet aber, dass es u. a. daran liegt, dass die Diagnosestellung heute früher erfolgt, also mehr Fälle entdeckt werden.“

Verbesserungen in der Diagnosestellung

Was hat sich getan, dass die Diagnose heute früher gestellt werden kann?
„Früher bedurfte es nach den Diagnosekriterien einen zweiten Krankheitsschub, um die Diagnose einer Multiplen Sklerose zu stellen. Nach den ersten Symptomen wartete man damals ab, bis neue Beschwerden auftraten und stellte erst dann die definitive Diagnose. Heute weiß man, dass Personen mit bestimmten Auffälligkeiten höchstwahrscheinlich eine MS entwickeln, so dass man die Diagnosekriterien angepasst hat.“

Gibt es weitere Erklärungen dafür, dass MS häufiger zu werden scheint?
„Man vermutet, dass Umwelteinflüsse eine Rolle dabei spielen, dass die Erkrankung heutzutage häufiger auftritt als früher. Diese könnten vielleicht auch erklären, warum MS – global gesehen – jetzt auch in Regionen auftritt, in denen sie früher selten war. Eine Annahme ist, dass bestimmte Gene inzwischen weiter verbreitet sind, die die Empfindlichkeit für Multiple Sklerose erhöhen. Es gibt z.B. die Theorie, dass sogenannte Suszeptibilitätsgene, die also die die Krankheitsanfälligkeit erhöhen, u. a. von den Wikingern verbreitet wurden. Dementsprechend könnte auch die Globalisierung aktuell für eine weitere Durchmischung der Gene gesorgt haben. Sprich, sie sind nun auch in früher nicht betroffenen Regionen der Welt angekommen.“

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Mögliche Ursachen der Erkrankung

Was sind die Ursachen von Multiple Sklerose?
„Was die Ursachen angeht, ist vieles noch unklar. Zum einen spielen erbliche Faktoren eine Rolle. Fest steht aber auch, dass es gewisse Umstände gibt, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, an Multiple Sklerose zu erkranken. So ist eine große Militär-Studie in den USA, bei der systematische Untersuchungen von Rekruten durchgeführt wurden, zu dem Ergebnis gekommen, dass Personen nach durchgemachter Eppstein-Barr-Virus-Infektion eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an MS zu erkranken. Das Virus scheint demnach die Entwicklung einer Multiplen Sklerose zu begünstigen. Einen ähnlichen Zusammenhang mit vorausgegangenen Virusinfektionen kann man im Nervenwasser beobachten: Eine positive sogenannte MRZ-Reaktion (Masern, Röteln, Varizella zoster) ist spezifisch für das Vorliegen einer MS. Viren scheinen also eine Art Trigger zu sein. Das heißt, das Immunsystem reagiert möglicherweise auf diese Viren. Da die Reaktion aber fehlgeleitet ist, greift es irgendwann den eigenen Körper an.“

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MS greift den Körper der Patienten an. Wie kann man sich das vorstellen?
„Der Angriff auf den eigenen Körper sieht so aus, dass die Myelinschicht der Nerven, also die Nervenhülle, beschädigt und im Verlauf zerstört wird. Dadurch kommt es dann zu den für die MS typischen Krankheitsschüben.“

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Die Risikofaktoren für MS

Sie sprachen gerade davon, dass Multiple Sklerose vererbt werden kann. Eltern können die Anfälligkeit für die Erkrankung also an ihre Kinder weitergeben?
„Wir stellen in der medizinischen Behandlung von Patienten immer wieder fest, dass in manchen Fällen eine familiäre Häufung von MS vorliegt. In der Tat erhöht sich das Risiko, wenn schon die Mutter oder der Vater erkrankt sind. Sind beide Elternteile erkrankt, erhöht sich das Risiko um ein weiteres. Interessant ist die Situation bei eineiigen Zwillingen, die nämlich nicht zwingend beide an Multiple Sklerose erkranken müssen. Es scheinen also auch Umweltfaktoren eine Rolle zu spielen.“

Die Forschung ist noch dabei, bestehende MS-Rätsel zu lösen. Was aber weiß man schon in Bezug auf Umwelteinflüsse als Risikofaktoren für Multiple Sklerose?
„Hier sind die klassischen Lifestyle-Faktoren zu nennen. Rauchen ist beispielsweise ein Risikofaktor: Raucher haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu erkranken und häufiger auch einen ungünstigeren Krankheitsverlauf. Ebenso spielt Übergewicht eine Rolle. Schließlich ist die Ernährung von gewisser Bedeutung. So hat z.B. eine gesunder Vitamin-D-Spiegel einen schützenden Effekt. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass Studienteilnehmer seltener Schübe haben, wenn ihnen bestimmte Fettsäuren wie z. B. Propionsäure verabreicht werden.“

Ernährung – sowohl Risikofaktor als auch Teil der Therapie

Damit sind wir ja auch schon beim Leben mit MS bzw. der Behandlung von Multiple Sklerose angekommen. Eine Stellschraube ist also die Ernährung?
„Grundsätzlich empfehlen wir Patienten eine gesunde Ernährung. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei der Salzkonsum. Das klassische Kochsalz wirkt z.B. entzündungsfördernd. Darüber hinaus haben Untersuchungen Hinweise auf die negative Wirkung von Milchprodukten und insbesondere von Frischmilch bei MS ergeben. Was genau dahintersteckt, ist noch nicht geklärt, aber die Untersuchungen belegen, dass Patienten mit hohem Milchkonsum eine höhere Krankheitsaktivität haben. In diesem Bereich wird nun weitergeforscht, u.a. um zu klären, ob bestimmte Lebensmittel nicht nur negativ auf den Krankheitsverlauf wirken, sondern sogar einen Risikofaktor für den Ausbruch der Erkrankung darstellen.“

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Die Symptome von Multiple Sklerose

Frühe Beschwerden sind häufig subtil

An dieser Stelle gerne noch einmal ein Schritt zurück: Was sind denn so typische Symptome von Multiple Sklerose?
„Das Symptom, das wir am häufigsten sehen, ist das Taubheitsgefühl. Taubheitsgefühle sind zugleich auch Beschwerden, die von vielen Patienten zunächst übersehen werden. Viele von uns kennen das Gefühl, dass Gliedmaßen „eingeschlafen“ sind und man denkt hierbei nicht sofort an eine ernste Erkrankung. Frühe Symptome werden dementsprechend oft nicht ernst genommen. Zudem erfolgen die Beschwerden im Rahmen von Krankheitsschüben, d. h. sie halten ggf. sieben bis zehn Tage an und klingen dann wieder ab und verschwinden vollständig. Das führt dazu, dass Betroffene meistens nicht direkt zum Arzt gehen, weil sie nichts Schlimmes befürchten, sondern von einer lediglich vorübergehenden Erscheinung ausgehen.“

Fängt die MS immer so vermeintlich harmlos an, ohne zurückbleibende Folgen?
„Tatsächlich gibt es daneben auch Patienten, bei denen schon nach dem ersten Schub ein Schaden zurückbleibt. Manche Betroffene berichten z.B., dass sich die eine Hand auch nach dem Schub noch seltsam anfühlt, das Feingefühl fehlt – vor allem im Unterschied zur anderen Hand.“

Wie kann sich die Erkrankung im frühen Stadium noch bemerkbar machen?
„Das zweithäufigste Symptom, mit dem Multiple Sklerose beginnt, ist die Sehnervenzündung. Das führt zu einem ‚Schleiersehen‘ auf dem betroffenen Auge. Das heißt, man sieht nur noch wie durch ein Milchglas, nimmt Farben nicht mehr so kräftig wahr und kann nicht mehr so gut lesen. Ein Rot sieht dann eher blass aus, und der Augenmuskel verursacht Schmerzen, wenn man das Auge bewegt. Bei diesen Beschwerden gehen Betroffenen eher zum Arzt, als wenn die Hand mal kribbelt oder taub ist.“

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Bewegungs- und Koordinationsstörungen bis hin zu Lähmungen möglich

Die MS geht auch mit Beeinträchtigen der Motorik einher, richtig?
„Wenn es zu Entzündungen im Kleinhirn oder Hirnstamm kommt, können Bewegungsstörungen und Koordinationsstörungen die Folgen sein. Dadurch bekommen Betroffene z. B. Probleme beim Greifen oder Schreiben – dieses wird unkoordiniert. Oder Patienten merken, dass sie wackelig laufen. Einer meiner Patienten berichtete, dass er plötzlich Schwindel empfand, typischerweise bei einer Bewegung. Wenn die Motorikfasern, betroffen sind, also die Nervenzellen, die Signale zur Muskulatur leiten, kann ein Patient auch Lähmungen entwickeln. Typischerweise sind dann die Beine betroffen.“

Krankheit der 1000 Gesichter

Wie kann sich Multiple Sklerose Ihrer Erfahrung nach sonst noch äußern?
„Man bezeichnet die Multiple Sklerose auch als die ‘Krankheit der 1000 Gesichter‘, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass es eine Vielzahl von Symptomen gibt. Hiervon habe ich bis jetzt nur einen Bruchteil aufgezählt. Viele MS-Patienten leiden unter Schmerzen, darüber hinaus gibt es Menschen, die Blasenbeschwerden und oder sexuelle Störungen entwickeln. Auch das Gedächtnis kann im Laufe der Zeit beeinträchtigt sein. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Demenz, sondern um Teilleistungsstörungen. Betroffene merken z. B., dass sie auf einmal Probleme beim Multitasking haben oder dass sie Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit und der Konzentration haben. Nicht zuletzt leiden viele Patienten unter dem Fatigue Syndrom, dessen Beschwerden sehr subjektiv und nur schwer messbar sind. Die damit einhergehende Beeinträchtigung im Alltag Betroffener ist aber nicht zu unterschätzen. Zusammenfassend kann man also sagen, dass die Multiple Sklerose in ihren Ausprägungen und Symptomen sehr vielfältig ist.“

Die Behandlungmöglichkeiten

Bei einem akuten Schub

Wie sieht eine Behandlung von MS aus?
„Einen akuten Krankheitsschub behandelt man typischerweise mit Kortison. In der Regel bekommen Patienten über einen Zeitraum von fünf Tagen eine hohe Dosis in Form einer Infusion. Damit lässt sich ein Krankheitsschub ganz gut in den Griff bekommen und die Symptome, die mit dem Schub einhergehen, verschwinden schneller wieder.“

Nach einem Schub bzw. zwischen Schüben

Und wenn der Schub vorrüber ist, wie geht es dann weiter?
„Wenn der Schub vorbei ist, machen wir Kernspin-Aufnahmen vom Kopf und der Wirbelsäule, mit dem Ziel, ein Bild über die Entzündungsherde zu gewinnen. Wir ermitteln, wie viele Herde der Patient hat und wo genau sie sich befinden. Außerdem berücksichtigt man die individuellen Faktoren wie Alter des Betroffenen, wie lange er schon MS hat, wie viele Schübe er schon hatte und wie diese aussahen. Daran orientiert sich dann eine mögliche Behandlung.“

Wie kann eine MS-Behandlung dann aussehen?
„Nehmen wir das Beispiel eines Patienten, der seinen ersten Schub hatte, bei dem anschließend wenige Entzündungsherde im Gehirn zu sehen sind und dessen Rückenmark frei von Herden ist. In einem solchen Fall tendierte man früher dazu, eine schwach wirksame Medikation zu verabreichen. Mittlerweile gibt es aber Hinweise darauf, dass es besser zu sein scheint, wenn man MS-Patienten von Anfang mit effektiveren und stark wirksamen Medikamenten behandelt – weil dann der Krankheitsverlauf langfristig günstiger ist. Deshalb tendiert man heute dazu, eher auf die schwach wirksamen Medikamente zu verzichten.“

Behandelt man jetzt also immer direkt mit stärkeren Medikamenten?
„Das kann man natürlich nicht pauschalisieren, weil es ja auch immer vom Patientenwunsch abhängt. Und es gibt ganz klar auch die Fälle, bei denen Betroffene auf schwächere Mittel gut ansprechen und gut mit ihnen zurechtkommen. Spätestens aber, wenn ein Patient Herde im Gehirn und Läsionen im Rückenmark hat – Faktoren, von denen man mittlerweile sicher weiß, dass sie eher mit einem schlechteren Krankheitsverlauf und früherem Auftreten von Behinderungen in Verbindung stehen – empfiehlt es sich, ihn von Anfang an mit stärkeren Medikamenten zu behandeln. In diesem Fall möchte man nicht warten, bis schwerere Symptome auftreten, z. B. der Patient seine Fähigkeit zu laufen verliert. Generell kann ich also sagen, dass die Tendenz mehr zu stärkerer Medikation hingeht. Aber das ist natürlich immer individuell zu entscheiden und unter Berücksichtigung der Patientenbedürfnisse.“

Bei der Behandlung individuelle Bedürfnisse beachten

Welche Möglichkeiten gibt es, die Behandlung an Patientenbedürfnisse anzupassen?
„Ganz unterschiedliche. Wichtig ist, mit den Betroffenen die Lebenssituation und auch Wünsche für die Zukunft zu besprechen. Da geht es um grundsätzliche Fragen wie etwa im Fall von jungen Frauen, ob die Familienplanung bereits abgeschlossen ist oder noch ein Kinderwunsch besteht. Oder aber die berufliche Situation von MS-Kranken. Wenn sie beruflich etwa viel unterwegs sind, können sie womöglich nicht alle vier Wochen für eine Infusion in die Praxis gehen. Da kann man z. B. die Applikationsart anpassen. Neben der Infusion gibt es etwa noch Spritzen oder Tabletten. Auch Ängste vor Nebenwirkungen spielen eine Rolle bei der Therapiegestaltung und der Auswahl von Medikamenten. Bei der Wahl der passenden Behandlungsmethode sind viele Faktoren zu berücksichtigen. Aber es geht von ärztlicher Seite auch darum, den Patienten von der Notwendigkeit einer Behandlung zu überzeugen.“

Ärzte müssen häufig auch Überzeugungsarbeit leisten

Das heißt, sie müssen manche MS-Betroffene auch erst von einer bestimmten Behandlung oder sogar generell von einer Behandlung überzeugen?
„Ja, durchaus. Besonders zu Beginn. Denn nach einem Schub hat ein Patient häufig keine Beschwerden mehr. Manchmal ist jemand ein oder zwei Jahre beschwerdefrei. Wir Mediziner wissen, dass die Krankheit selbst in Phasen ohne Schmerzen oder andere Beschwerden im Hintergrund vor sich hin schwelt. Dies muss man den Patienten häufig verdeutlichen: Auch wenn sie gerade keine Beschwerden haben, bedeutet das nicht, dass die Erkrankung ruht. Es geht dann darum, Aufklärung zu betreiben.“

Worüber genau klären Sie an Mutiple Sklerose Erkrankte auf?
„Ich versuche, Patienten zu vermitteln, dass es heutzutage effektive und zugleich sehr gut verträgliche Medikamente gibt. Wenn ich an meine Anfänge mit Patienten im Jahr 1996 zurückdenke, dann hat die Forschung große Fortschritte gemacht. Es gibt ganz neue und bessere Therapiemöglichkeiten. Das zeigt sich auch in aktuellen Studien: Betroffene, die heutzutage behandelt werden, haben einen wesentlich besseren Verlauf als früher, etwa vor 30 Jahren. Das liegt an einer Vielzahl von möglichen Medikamenten, die auch einen Wechsel möglich machen, falls das bisher eingenommene Medikament nicht die gewünschte Wirkung zeigt. Früher musste man aufgrund eines Mangels an Optionen meist bei einer Behandlung bleiben, auch wenn sie nicht anschlug. Heute kann man besser auf Situationen und Entwicklungen reagieren. Ebenfalls von Bedeutung sind auch die erwähnte frühere Diagnosestellung sowie eine früh einsetzende Behandlung mit tendenziell stärkeren Mitteln. Man kann daher sagen, dass die Multiple Sklerose über die Jahrzehnte hinweg einen Teil ihres Schreckens verloren hat.“

Monitoring des Krankheitsverlaufs

Gibt es auch Patienten, die sich nicht überzeugen und behandeln lassen? Wie gehen Sie mit solchen Fällen um?
„Ja, solche Fälle gibt es natürlich auch. Es ist immer die individuelle Entscheidung der Betroffenen, die aus meiner Sicht vom Behandler akzeptiert werden sollte. Ich biete dem Patienten an, ihn auch auf diesem Weg zu begleiten. Eine exakte Dokumentation des Krankheitsverlaufs sollte trotzdem erfolgen. Eine neue Methode sind hier z.B. spezielle Blutuntersuchungen. Außerdem lassen wir in solchen Fällen halbjährlich eine Kernspintomographie durchführen, um eine Krankheitsaktivität nachweisen zu können. Zeigt diese Verlaufsuntersuchung z. B. neue Herde, suche ich erneut das Gespräch mit dem Patienten. Ich versuche dann die Vorteile eine medikamentöse Behandlung auf den weiteren Krankheitsverlauf zu vermitteln.“

Anpassungen des Lebensstils

Gibt es auch Lebensstilveränderungen, die Sie MS-Betroffenen ans Herz legen?
„Absolut, dabei geht es um die zuvor schon erwähnten Lifestyle-Faktoren, die man als mögliche Mit-Verursacher der Krankheit erforscht. Diesbezüglich steht fest ist, dass sie den Verlauf einer bereits bestehenden MS-Erkrankung negativ beeinflussen. Man sollte beispielsweise aufhören, zu rauchen und auf eine salzarme (vermutlich entzündungshemmende) Ernährung achten. In unserer Praxis versuchen wir, auch über den Tellerrand hinaus zu informieren: Wir bieten eine Ernährungsberatung an und geben Empfehlungen hinsichtlich einer regelmäßigen sportlichen Aktivität. Zudem ist es uns ein Anliegen, Frauen zum Thema MS und Schwangerschaft zu informieren. Außerdem halte ich es für wichtig, neue Erkenntnisse der Forschung weiterzugeben, wie z.B. vor rund zehn Jahren die Bedeutung einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung bei MS-Patienten.“

Sie erwähnten Bewegung als Teil einer MS-Therapie. Wie wichtig ist Sport? Und können vor der Diagnose sportlich aktive Menschen ihren Sport wie gewohnt weiterbetreiben?
„Sport wirkt bekanntlich gesundheitsfördernd gut und kann vor diversen Erkrankungen schützen bzw. ihr Fortschreiten bremsen. Dies gilt für Krebs genauso wie für Parkinson bis hin zur Demenz. So verhält es sich auch bei der Multiple Sklerose. Deshalb ist Bewegung eine ganz klare Empfehlung für MS-Patienten. Betroffene, die vor der Diagnose sowieso schon sportlich waren, sollten dies fortführen. Hier sind zunächst keine Einschränkungen zu befürchten. Betroffene können oft viele Jahre ganz normal ihren Sport wie gewohnt betreiben – und damit auch zu einem günstigeren Verlauf ihrer Erkrankung beitragen.“

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Mögliche Auswirkungen auf die Psyche

Welche Auswirkungen können die Diagnose MS sowie das Leben mit der Krankheit auf die Psyche von Betroffenen haben?
„Die Diagnose ist in der Regel erst einmal ein Schock. Viele Betroffene verbinden mit dieser Erkrankung ein Leben im Rollstuhl. Hier kommt uns Ärzten die Aufgabe zu, darüber aufzuklären, dass MS keine Erkrankung ist, die nicht zwangsläufig zu schweren Behinderungen führt. Es gilt, Ängste zu nehmen und den Patienten eine Perspektive aufzuzeigen. Dennoch gibt es auch Patienten, die trotzdem Ängste entwickeln und eine psychotherapeutische Behandlung benötigen, um zu lernen, mit der Erkrankung umzugehen.“

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Mit der Krankheit umgehen lernen, was bedeutet das?
„Für viele ist die Unsicherheit belastend, nicht zu wissen, wann die nächsten Symptome auftreten. Gerade zu Anfang sorgen sich viele Betroffene bei unklaren Beschwerden, dass dies ein neuer Krankheitsschub sein könnte. Hinzukommt, dass sie ihre Krankheit und die damit einhergehenden Beschwerden noch nicht gut genug kennen. Von unserer Seite versuchen wir, dadurch zu helfen, dass wir alle Sorgen und auch leichte Beschwerden ernstnehmen und stets abklären, ob ein Zusammenhang mit der MS besteht.“


Themen Autoimmunerkrankungen Interview Multiple Sklerose
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