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Methodik, Effekte, Limitationen

Wie personalisierte Ernährung funktioniert – und was sie für die Gesundheit bringt

personalisierte ernährung
Die eine Ernährung, die für alle gleichermaßen gut funktioniert, gibt es wohl nicht – hier kommt das Konzept der personalisierten Ernährung ins Spiel. Foto: Getty Images
Janna Vahlhaus

17.04.2023, 19:16 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Jeder Mensch is(s)t anders. Dieser sogenannte Phänotyp, also wie wir aussehen und uns verhalten – und damit auch, was wir (un)gerne essen – wird durch unsere Gene und andere Faktoren, wie das Darmmikrobiom, bestimmt. Dabei ist nichts in Stein gemeißelt, denn umgekehrt können auch unsere Umwelt oder unsere Ernährung Gene und Mikrobiom beeinflussen. Die Reaktionen auf Lebensmittel sind somit hochindividuell – und genau das ist der Kern der personalisierten Ernährung. FITBOOK erklärt, was es mit diesem Konzept auf sich – sowie den aktuellen Stand der Forschung auf diesem Gebiet.

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Was bedeutet gesunde Ernährung? Mal sind die Fette die Bösen, dann nur bestimmte Fette, und plötzlich steht der Zucker im Visier. Wer bei dem Hin und Her nicht mehr durchblickt und resigniert, ist nicht allein. Aber vielleicht ist ja etwas dran, dass man Lebensmittel oder Nährstoffe nicht pauschal in „gut“ und „böse“ einteilen kann und jeder etwas anderes braucht. Dieser Gedanke steht hinter der personalisierten Ernährung (PE). Wir fassen für Sie die wichtigsten Aspekte des Ernährungskonzeptes zusammen.

Was ist personalisierte Ernährung?

Allgemeine Pauschalempfehlungen wie weniger Fast Food und dafür mehr Obst und Gemüse gibt es schon lange. Angesichts der fortschreitenden Zahlen von Übergewicht und Zivilisationskrankheiten, scheint das aber nicht auszureichen. Davon abzurücken und den Menschen als Individuum mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu verstehen, klingt somit erstmal nach einem vielversprechenden Ansatz. Die sogenannte personalisierte (auch: individuelle oder Präzisions-) Ernährung ist ein seit 20 Jahren aufstrebendes Forschungsfeld, das dieses Jahr in den USA etwa mit 170 Millionen Dollar gefördert wird.1

Die Idee ist, dass es wahrscheinlich so viele richtige Ernährungsformen wie Menschen gibt. Angefangen bei dem Grundumsatz, der bei gleicher Größe und Gewicht, variieren kann. Auch die körperlichen Reaktionen, wie z. B. Blutzucker- und Blutfettwerte, auf bestimme Nahrungsmittel und Nährstoffe sind hochindividuell. Dies ging aus einer Studie des King’s College in London mit insgesamt 3000 Teilnehmenden aus dem Jahr 2020 hervor.2 Die personalisierten Empfehlungen wurden in dieser PREDICT-Studie (Personalized Responses to Dietary Composition Trial) durch einen Algorithmus bestimmt, der allgemeine Parameter und Lifestylefaktoren wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Schlaf und Bewegung in die Auswertung einbezog. Des Weiteren wurden Daten aus Genotyp-, Mikrobiom- und Blutchemietests sowie Glukose- und Triglyzerid-Aufzeichnungen nach bestimmten Mahlzeiten analysiert.3

Die personalisierte Ernährung ist jedoch eine recht junge Theorie, die in vielen Bereichen noch ganz am Anfang steht. Man sollte also genau überlegen, welches Angebot man nutzen möchte, da die Wirksamkeit (teilweise überteuerter Produkte) eher umstritten ist.

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Die Effekte der personalisierten Ernährung

Gesundheitliche Wirkungen

Im Sinne von Wirksamkeit und Datenlagen scheidet die PE derzeit noch eher schlecht ab. Feststeht aber, dass die Personalisierung von Ernährungszielen im Vergleich zur konventionellen Ernährungsberatung die generelle Akzeptanz und somit die Motivation für Verhaltensänderungen erhöhen kann. Dies zeigte sich in der Food4me-Studie, die größte repräsentative Interventionsstudie am Menschen zu PE, an der auch Forschende der Technischen Universität München beteiligt waren. Hierfür wurden in sieben Ländern Europas 1540 gesunde Teilnehmende rekrutiert.4

Im Bereich der sogenannten Präzisions-/personalisierten Medizin wird PE besonders im präventiven und kurativen Bereich von Krankheiten eingesetzt. Bislang gibt es aber keine statistisch sichtbaren Verbesserungen bei kardiovaskulären Erkrankungen, dem metabolischen Syndrom und/oder bestimmten Krebsarten. Die Diabetes-Forschung ist hier am weitesten. Hier kann eine PE die Effektivität der klassischen Behandlung eindeutig erhöhen.5

Gewichtsabnahme durch PE

Auch in Sachen Gewichtsabnahme gibt es nicht die eine Diät bzw. Ernährungsform, die bei allen Erfolg bringt.6 Personalisierte Ernährung scheint daher auch als Abnehmstrategie ein vielversprechender Ansatz zu sein. Wobei sie eher eine Art „Anti-Diät“ darstellt, da statt Verzicht eine natürliche Ernährungsweise im Fokus steht. Statt sich also ständig Gedanken um den eigenen Speiseplan zu machen und die neueste Super-Diät auszuprobieren, geht es vielmehr darum, herauszufinden, was der Körper signalisiert und braucht.7 Eine Gewichtsabnahme ist aber als positiver Nebeneffekt nicht ausgeschlossen – gerade die Stabilisierung des Blutzuckers kann beispielsweise zu langfristiger Sättigung und Gewichtsabnahme fühlen.8

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Personalisierung der Ernährung – die Methoden

Zur Individualisierung von Ernährung dienen Genetik-, Mikrobiomdaten und/oder Blutanalysen, hier die verschiedenen Methoden im Überblick:

Die Rolle der Gene und Epigenetik

Viele Reaktionen in unserem Körper sind durch unsere Gene bestimmt. Zumindest theoretisch können manche Menschen etwa deutlich mehr essen, ohne zuzunehmen, manche mehr Koffein vertragen als andere und nicht jeder, der seinen Salzkonsum reduziert, senkt damit automatisch seinen Blutdruck. Das Feld, in dem Gene und Ernährung zusammenkommen, wird auch Nutrigenetik oder Nutrigenomik genannt, und untersucht die Wechselwirkung zwischen Erbanlagen und Ernährung. Dabei stehen Krankheiten, wie Übergewicht und Diabetes, und deren Entstehung durch Risiko-Genvarianten, im Vordergrund.9

Die genaue Wechselwirkung zwischen genetischen Faktoren und Ernährung ist aber noch in weiten Teilen unklar. Studien haben gezeigt, dass sich Gene nachträglich durch die Nahrung, die wir zu uns nehmen, verändern lassen, was als Epigenetik bekannt ist.10 Dabei werden nicht die Gene selbst, sondern ihre Zugänglichkeit/Ablesbarkeit modifiziert (Genregulation). Das Betrachten des Erbguts allein, reicht also noch nicht aus, um konkrete Vorhersagen zu treffen, auch wenn bestimmte genetische Varianten bspw. die Glukosereaktion beeinflussen.

DNA-Diäten werden bis dato eher kritisch gesehen, da sie wissenschaftlich nicht bewiesen sind und Gentests nur auf Wahrscheinlichkeiten basieren, und somit nur vage Empfehlungen bzw. keine eindeutige Vorhersage liefern.11

Die Rolle des Darms

Nach dem Genom war das Mikrobiom lange der Hoffnungsträger, da es hochindividuell ist und widerspiegelt, was wir essen, wer wir sind und wo wir gelebt haben. Es ist dynamisch, in dem Sinne, dass es zwar durch unsere Gene bestimmt ist, sich aber durch die Nahrung, die wir zu uns führen, verändert.

Je nachdem, welche Bakterien wir beherbergen, reagieren wir unterschiedlich auf verschiedene Nährstoffe. Die eingangs erwähnte PREDICT Studie fand z. B. heraus, dass das Mikrobiom einen größeren Einfluss auf die Blutfettwerte nach dem Essen hat als die Makronährstoffe (also das Fett) selbst.

Es ist aber wiederum auch nur ein weiterer wichtiger Teil des gesamten Puzzles. Denn bislang lässt sich das Mikrobiom zwar analysieren und man konnte schon eine Reihe von „guten“ und „bösen“ Mikroorganismen identifizieren, aber wie man genau ein „gesundes“ Mikrobiom definiert, ist unklar. Feststeht als grobe Faustregel: je diverser das Mikrobiom, desto besser, gerade für das Risiko, Diabetes, Herzkrankheiten und/oder Adipositas zu bekommen.12

„Ob sich das Mikrobiom verändern oder personalisieren lassen, können bisherige Beobachtungsstudien jedoch nicht beantworten. Der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs steht noch aus“ sagt Dr. Sarah Berry vom King’s College London bei den 6. Bonner Ernährungstagen im September 2022.13

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Die Rolle des Blutzuckers

Auch die Glukosestoffwechselreaktion auf Nahrungsaufnahme ist hochindividuell, wie viele verschiedene Studien bereits zeigen konnten. Darauf bauen auch etablierte Unternehmen, wie MillionFriends (Perfood GmbH) aus Deutschland oder ZOE aus Großbritannien auf. Diese sind überzeugt, dass generelle Ernährungsempfehlungen ungenügend sind.

Um herauszufinden, was individuell guttut, werden mittels Glukosemonitoring die Glukoseantworten auf verschiedene Lebensmittel dokumentiert und gegeneinander ausgewertet (z.B. Weiß- vs. Vollkornbrot). Das Mikrobiom gilt bei diesem Ansatz als wahrscheinliche (Haupt-)Determinante und wird zusätzlich analysiert. Durch diese Daten und entsprechende weitere Parameter werden passende personalisierte Empfehlungen ausgesprochen. Ziel ist dabei, den Blutzucker besonders stabil zu halten, da dies mit Sättigung, Fettspeicherung und Gewichtszunahme assoziiert ist und langfristig das Risiko für Übergewicht, Diabetes, metabolische- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflusst.

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Welche Ernährung ist nun für einen selbst am besten?

Um zu ermitteln, was für einen selbst am besten ist, können Ernährungsberatungen helfen. Diese werden unter Umständen von Krankenkassen bezahlt. Es gibt auch Unternehmen, die wissenschaftlich fundiert arbeiten und beraten, wobei diese oft teurer ausfallen und selten von den Kassen übernommen werden. Denn wenn richtig durchgeführt kann eine PE bis zu 1300 Euro kosten.14

Eigentlich kann das Ganze aber auch einfach und günstig gehen: Denn letztendlich ist es der eigene Körper, der am besten entscheiden kann – also: Ernährung nach Bauchgefühl. Konkret bedeutet das, herauszufinden, welche Lebensmittel einem guttun. Bewusst essen und ausprobieren und wieder erlernen, „echten Hunger“ zu spüren. Denn das haben viele durch die Bewertung von Lebensmitteln, etwa in Fom von Kalorienzählen, verlernt. Gefragt ist dafür eine Selbstreflexion in Bezug auf Gewohnheiten, Erziehung und verallgemeinerte Essensregeln.

Limitationen von personalisierter Ernährung und Blick in die Zukunft

So schön die Idee bzw. das Konzept der personalisierten Ernährung ist, ganz ausgereift ist das Forschungsfeld noch nicht. Das liegt zum einen an fehlenden (aussagekräftigen) Daten, was u. a. an den extrem hohen Kosten bei klinischen Studien aufgrund von DNA-, Mikrobiom- und Reaktionsanalysen liegt. Dies wirkt sich auch auf die Zugänglichkeit der Produkte und Beratungen aus. Es stellt sich daher die Frage, wie PE im Präventionsbereich in der Bevölkerung (Public Health) implementiert werden könnte. Denn hierzu benötigt es zusätzlich die entsprechende Aus- und Weiterbildung von Personal, im Bereich der Medizin und/oder Beratung.15

Schließlich ist auch das Thema Verbraucherschutz noch nicht ganz geklärt: Denn noch ist offen, wie mit den personalisierten Daten, z. B. den persönlichen Patientendaten, umgegangen werden soll (Stichwort Datenschutz).

Fazit

Die Idee der personalisierten Ernährung leuchtet ein, allerdings ist das Konzept noch nicht genügend erforscht, um fundierte Aussagen über den Nutzen für die Gesundheit treffen zu können. In der Praxis stellt die Durchführung Interessierte zudem vor einige Herausforderungen. Eine Ernährungsberatung ist dabei womöglich noch die kleinste, wenn auch durchaus kostspielige, Hürde. Vorsicht ist auch bei allerlei Produktangeboten zu empfehlen, da sie häufig überteuert sind und auch ihre Wirkung wissenschaftlich nicht eindeutig belegt ist. Was PE dagegen durchaus leisten kann, ist ein Umdenken: Die eine beste Ernährung für alle – egal, ob es um gesundheitliche Effekte, Abnehmen oder Zunehmen geht – scheint es nicht zu geben. Stattdessen kann es helfen, wieder mehr auf die Reaktionen des eigenen Körpers bei bestimmten Lebensmitteln zu achten und so – mit zugegeben mit einem gewissen Maß an Geduld – die für einen selbst optimale Ernährung zu finden.

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Quellen

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