Schlafstörungen sind längst zu einer Volkskrankheit geworden. Viele Menschen greifen zum Medikament, um besser ein- und durchschlafen zu können – dauerhaft ist das aber keine Lösung. FITBOOK sprach mit einem Fachmann, der von Berufswegen „Patienten zu ihrer eigenen Schlaftablette machen“ will.
Schätzungen zufolge haben rund fünf Millionen Menschen in Deutschland Ein- oder Durchschlafstörungen. Schlaf ist dadurch zum Wirtschaftsfaktor geworden. Wer damit Schwierigkeiten hat, investiert oft viel Geld in Pillen, Diagnosearmbänder oder spezielle Matratzen. Weltweit soll das Geschäft mit Schlafhilfen laut US-Marktforschern im vergangenen Jahr rund 70 Milliarden US-Dollar (etwa 63 Mrd. Euro) Umsatz gebracht haben, wie u.a. der SWR berichtete.
Die Medizin habe den Schlaf lange quasi verschlafen, sagt Hans-Günter Weeß, Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums im pfälzischen Klingenmünster. Früher sei angenommen worden, im Schlaf fahre der Körper alle Systeme herunter, doch das sei eher uninteressant. „Heute wissen wir, dass der Schlaf ein hochaktiver Prozess und das wichtigste Reparaturprogramm des Menschen ist.“ Umso wichtiger sei eine ungestörte Nachtruhe für gestresste Geister. Warum so viele Menschen mit dem Schlafen Schwierigkeiten haben – dafür suchen der Psychologe und sein Team nach möglichen Ursachen. Sie versehen Patienten mit Plättchenelektroden auf der Stirn, um deren Hirnströme zu messen, und analysieren Muskelspannung sowie Augenbewegungen.
Man muss den Kopf ausschalten, um schlafen zu können
Laut Weeß ist es besonders problematisch, Sorgen mit ins Bett zu nehmen oder sich stark dem Druck auszusetzen, gut schlafen zu müssen. „Nichts ist schlimmer, als das Gedankenkarussell nicht stoppen zu können“, sagt er. Und: „Wer ins Bett geht, um zu schlafen, wird nicht einschlafen“, warnt Hans-Günter Weeß im Gespräch mit FITBOOK. Je mehr man sich auf Schlaf fokussiere, desto eher führe das zu Schlaflosigkeit.
Daneben gibt es Weeß zufolge gesellschaftliche Faktoren. „Wir sind zur Non-Stopp-Gesellschaft geworden. Immer mehr arbeiten im Schichtdienst oder lesen nachts Mails. Kinder gehen heute mit dem Smartphone statt mit dem Kuscheltier ins Bett.“ Nötig sei eine neue Schlafkultur. Denn: „Nur wer ausgeschlafen ist, kann Leistung bringen.“ Es erstaune ihn immer wieder, wie wenig die meisten Menschen über gutes Schlafverhalten wüssten.
TV-Berieselung zum Runterkommen
Gut einschlafen könnten überraschend viele Menschen vor dem Fernseher, sagt Weeß. Die Aufmerksamkeit sei dann auf „ein wenig stimulierendes Ereignis“ gerichtet, zudem grüble der Zuschauer nicht, was eine schlafförderliche Entspannung hervorrufe. „Empfehlen kann ich es trotzdem nicht“, so der Psychologe. „Vor dieser Geräuschkulisse ist der Schlaf nicht tief und wenig erholsam.“ Das Ziel seiner Arbeit ist es, seine Patienten „zu ihrer eigenen Schlaftablette machen“.
Genug Schlaf ist individuell
Wie viel Schlaf ein Mensch brauche, sei individuell verschieden und genetisch festgelegt, sagt der Neurologe Peter Young, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Die einen brauchten fünf, andere zehn Stunden. „Dieser Bedarf verändert sich im Alter nicht zwangsläufig.“