3. Juni 2025, 9:58 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Stellen Sie sich vor, ihr Körper verliert die Fähigkeit, zu schlafen – für immer. Er wird schwächer, Ihr Geist vernebelt und Sie können sich nicht mehr regenerieren. Die letale familiäre Insomnie ist eine extrem seltene, aber unheilbare Krankheit, die genau das verursacht. Weil sie so tückisch und mysteriös ist, sorgt sie gleichzeitig für Faszination und Gänsehaut. Unser Experte, Prof. Dr. Hartmut Göbel, Neurologe, Psychologe und Chefarzt in der Schmerzklinik Kiel, erklärt, was hinter der tödlichen Schlaflosigkeit steckt.
Schlaf erscheint den meisten von uns das Natürlichste der Welt zu sein. Jeden Tag werden wir irgendwann müde, Zeit ins Bett zu gehen und sich eine ordentliche Mütze Schlaf zu holen. Doch viele von uns wissen auch: So einfach ist es nicht. Es gibt unzählige Momente gestörten Schlafs und nicht wenige Menschen leiden an chronischen Schlafstörungen. Zu diesen zählt auch die letale familiäre Insomnie, die extremste Form der Schlafstörung. Sie ist glücklicherweise selten, aber immer tödlich!
Übersicht
- Was ist Insomnie und welche Arten gibt es?
- Sind alle Arten von Insomnie gefährlich?
- Die letale familiäre Insomnie
- Was FFI mit Demenz zu tun hat
- Wie entsteht letale familiäre Insomnie?
- Die Symptome von FFI
- Was macht diese Schlafstörung so tückisch?
- Wer ist betroffen?
- Verlauf der Erkrankung
- Heilungschancen und Lebenserwartung
- Behandlung
- Kann man der Erkrankung vorbeugen?
- Erste Warnzeichen
- Stimmt es, dass Schlafstörungen psychische Störungen sind?
- Selbsttest: Könnte ich betroffen sein?
- Fazit
Was ist Insomnie und welche Arten gibt es?
Insomnie (Schlafstörung) beschreibt den Zustand, bei dem es schwerfällt, ein- oder durchzuschlafen oder aber überhaupt zu schlafen. Dabei gibt es unterschiedliche Formen und Ausprägungen.
- Akute Insomnie: Kurzfristige Schlafstörung, meist ausgelöst durch Unruhe, Stress oder Jetlag.
- Chronische Insomnie: mindestens dreimal pro Woche über mehr als drei Monate auftretende Schlafprobleme.
- Psychophysiologische Insomnie: Verknüpfung von Stress, Angst und Schlafstörung, der typische Teufelskreis aus Grübeln und Nicht-Schlafen-Können.
- Sekundäre Insomnie: Schlaflosigkeit als Folge einer Erkrankung wie Depression, Angststörung oder chronischen Schmerzen.
- Paradoxe Insomnie: Betroffene glauben, nicht zu schlafen, obwohl sie aber tatsächlich Schlafphasen haben.
- Sporadische fatale Insomnie (sFI): Eine ebenfalls tödliche, aber nicht genetisch vererbbare Form.
- Letale familiäre Insomnie (FFI): Eine seltene, genetisch bedingte und tödlich verlaufende Form, bei der das Gehirn nach und nach die Fähigkeit verliert, Schlaf zu erzeugen.
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Sind alle Arten von Insomnie gefährlich?
„Zum Glück ist nicht jede Schlafstörung automatisch lebensbedrohlich. Die meisten Formen der Insomnie lassen sich gut behandeln oder verschwinden von selbst. Kritisch wird es jedoch, wenn Schlafmangel über längere Zeit anhält. Dann kann er Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ein geschwächtes Immunsystem und psychische Probleme fördern.“, so Prof. Dr. Göbel.
Die letale familiäre Insomnie
Die letale familiäre Insomnie (engl. Fatal Familial Insomnia, kurz FFI) ist eine genetisch bedingte Erkrankung. Der Begriff „letal“ bedeutet „tödlich“, „familiär“ weist auf die Vererbbarkeit hin, und „Insomnie“ beschreibt das Hauptsymptom: vollständiger Verlust der Schlaffähigkeit, bei der das Gehirn zunehmend die Fähigkeit verliert, physiologisch erholsamen Schlaf zu erzeugen. Das Krankheitsbild wurde erstmals 1986 bei einer italienischen Familie entdeckt, in der mehrere Mitglieder über Generationen hinweg betroffen waren.
Was FFI mit Demenz zu tun hat
„FFI gehört zu den prionbedingten Demenzerkrankungen, da sie durch fehlgefaltete Prionproteine entsteht, die Nervenzellen zerstören, indem sie andere Eiweiße in dieselbe schädliche Struktur bringen. Dadurch entsteht ein fataler Dominoeffekt im Gehirn“, erläutert Prof. Dr. Göbel. „Betroffene zeigen zusätzlich zu den schweren Schlafstörungen im Verlauf der Erkrankung typische Demenzsymptome wie Gedächtnisverlust, Verwirrtheit und Persönlichkeitsveränderungen. Die Krankheit betrifft also nicht nur den Schlaf, sondern führt auch zu einem schnell fortschreitenden geistigen Abbau.“
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Wie entsteht letale familiäre Insomnie?
FFI wird durch eine Mutation im PRNP-Gen verursacht. Dieses Gen liefert die Bauanleitung für das Prionprotein (PrP), das im Nervensystem eine Rolle spielt. Durch die Mutation wird PrP fehlgefaltet und lagert sich im Gehirn ab, insbesondere im Thalamus, der den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert. Die Ablagerungen führen zum Absterben von Nervenzellen.
Die Symptome von FFI
- Progressive Schlaflosigkeit mit zunächst verkürzten Tiefschlafphasen, dann völliger Schlafunfähigkeit.
- Autonome Dysfunktion wie unregelmäßiger Blutdruck, starkes Schwitzen, Fieber, Herzrasen.
- Neuropsychiatrische Symptome wie Angstzustände, Halluzinationen, Reizbarkeit und schließlich Demenz ähnliche Zustände.
- Koordinationsstörungen beim Gehen und Bewegen (Ataxie).
- Unwillkürliche Muskelzuckungen (Myoklonien), die insbesondere in fortgeschrittenen Krankheitsphasen auftreten und das nächtliche Verhalten zusätzlich beeinträchtigen
Was macht diese Schlafstörung so tückisch?
Der schleichende Beginn und die unspezifischen Symptome erschweren die Diagnose. Die Erkrankung tarnt sich oft anfangs als Burn-out, Depression oder Angststörung. Außerdem wirkt sie zunächst harmlos, weil Schlaflosigkeit zwar als lästiges, aber nicht als gefährliches Symptom angesehen wird. Wenn der Körper aber ohne Schlaf nicht mehr regenerieren kann, kommt es zu einem unaufhaltsamen körperlichen und geistigen Verfall.
Wer ist betroffen?
„Betroffen sind vor allem Menschen mit einer familiären, genetischen Vorbelastung. Die FFI wird autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, wenn ein Elternteil das veränderte Gen trägt, besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, es weiterzugeben“, so Prof. Dr. Göbel „Die ersten Symptome zeigen sich meist zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr.“
Verlauf der Erkrankung
Obwohl FFI selten ist, ist der Verlauf medizinisch gut dokumentiert. Der gesamte Krankheitsverlauf erstreckt sich im Durchschnitt über sieben bis 73 Monate nach Symptombeginn und durchläuft vier Phasen.
- Zu Beginn treten Einschlafstörungen auf, begleitet von sogenannten autonomen Störungen wie Schweißausbrüchen, Herzrasen, Blutdruckschwankungen und Fieber.
- In der zweiten Phase verschärft sich die Schlaflosigkeit zunehmend. Die Betroffenen leiden unter Halluzinationen, Panikattacken und nächtlicher Verwirrtheit.
- In der dritten Phase verlieren sie schließlich vollständig die Fähigkeit, zu schlafen. Hinzu kommen kognitive Defizite wie Sprachstörungen, Gedächtnisverlust und Koordinationsprobleme.
- Die finale Phase ist geprägt von einem völligen körperlichen und geistigen Verfall, der schließlich in ein Koma und den Tod mündet.
Heilungschancen und Lebenserwartung
Bislang gibt es keine Heilung und Therapien können den Verlauf höchstens leicht verlangsamen.
Behandlung
Medizinisch
„Die Therapie ist in erster Linie symptomatisch und beinhaltet schlaffördernde Medikamente, Antidepressiva und Beruhigungsmittel, die aber meist nur geringe Wirkung zeigen. Daneben werden experimentelle Ansätze wie Immuntherapien und sogenannte Prion-Inhibitoren erforscht, bislang jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Im Vordergrund steht daher oft die rein palliative Behandlung, also die Linderung von Schmerzen, Ängsten und anderen belastenden Symptomen sowie die Begleitung in der Endphase der Erkrankung“, erklärt Prof. Dr. Göbel.
Was Sie selbst tun können
Bei familiärer Vorbelastung ist eine frühzeitige genetische Beratung sinnvoll, um Risiken besser einschätzen zu können. Suchen Sie sich als Betroffener sowie Angehöriger psychologische Begleitung, um mit der emotionalen Belastung umzugehen.
Was passiert, wenn FFI nicht behandelt wird?
Da es keine wirksame kausale Therapie gibt, endet die Erkrankung tödlich – unabhängig von medizinischen Maßnahmen. Ohne palliative Unterstützung kann der Verlauf jedoch besonders quälend sein. Daher ist die Linderung der Symptome und die Begleitung im Sterbeprozess essenziell.
Kann man der Erkrankung vorbeugen?
Da es sich um eine genetische Erkrankung handelt, lässt sich die Entstehung nicht verhindern. Bei bekannter familiärer Belastung kann jedoch ein Gentest Klarheit verschaffen und gerade für Paare mit Kinderwunsch ist eine genetische Beratung sinnvoll.
Erste Warnzeichen
Frühwarnzeichen können sich schleichend zeigen, sollten aber ernst genommen werden, insbesondere bei familiärer Vorbelastung. Dazu zählen eine plötzlich einsetzende und anhaltende Schlaflosigkeit, obwohl körperliche Erschöpfung besteht, ebenso wie unerklärliches Herzrasen, starkes Schwitzen oder Angstzustände ohne erkennbaren Auslöser. Auch zunehmende Vergesslichkeit oder Schwierigkeiten bei der Koordination können Warnhinweise sein. Wenn Sie solche Symptome bei sich beobachten, sollten Sie frühzeitig eine neurologische Fachklinik aufsuchen, um mögliche Ursachen abklären zu lassen.
Stimmt es, dass Schlafstörungen psychische Störungen sind?
Viele Formen der Schlaflosigkeit sind tatsächlich psychisch bedingt, wie z. B. durch Stress, Angst oder Depressionen. FFI hingegen ist eine organisch-neurodegenerative Erkrankung, also eine körperlich bedingte Krankheit des Nervensystems.
Selbsttest: Könnte ich betroffen sein?
- Hat jemand in meiner Familie plötzlich die Fähigkeit zu schlafen verloren?
- Gab es in meiner Familie eine schnell verlaufende Demenz?
- Leide ich selbst unter unerklärlichen Schlafproblemen und belastenden neurologischen Symptomen?

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Fazit
Die letale familiäre Insomnie ist eine der rätselhaftesten und tragischsten Krankheiten der modernen Medizin. Sie ist extrem selten, aber hochkomplex und ein erschütterndes Beispiel dafür, wie zentral Schlaf für unser Leben ist. Wer betroffen ist, kämpft nicht nur gegen den körperlichen und geistigen Verfall, sondern gegen den vollständigen Verlust eines menschlichen Grundbedürfnisses: den Schlaf. Umso wichtiger ist ein wachsames Auge bei familiärer Vorbelastung.