
6. Juni 2025, 4:21 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Die oligoantigene Diät ist zwar nicht ganz neu, hat sich aber zu einer Art Geheimtipp für Familien gemausert. Der Grund: Kinder und Jugendliche mit ADHS sollen von den Diätregeln profitieren können. Ich habe für FITBOOK die wichtigsten Fakten gesammelt und erkläre, wie das Ernährungsprinzip funktioniert und ob es alltagstauglich und Erfolg versprechend ist.
Zahlreiche Lebensmittel wie Milch, Soja und Getreide sowie Inhaltsstoffe von Fertiggerichten wie Azofarbstoffe oder Natriumbenzoat stehen in Verdacht, die Symptome bei ADHS – der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – zu verschlimmern oder sogar auszulösen. Wenn Familien bereit sind, die Regeln der oligoantigenen Diät zu berücksichtigen, kann der Familienfrieden laut Betroffenen und Wissenschaftlern deutlich profitieren.
Übersicht
- Was ist die oligoantigene Diät?
- Was verspricht die oligoantigene Diät?
- Ziel der Diät
- Prinzip der oligoantigenen Diät
- Das sagt die Wissenschaft zur Eliminationsdiät
- Welche Nahrungsmittel sind bei der ADHS-Diät erlaubt?
- Diätregeln: Welche Lebensmittel sind tabu?
- Die oligoantigene Diät im Praxischeck
- Für wen ist die ADHS-Diät geeignet und für wen nicht?
- Vor- und Nachteile der oligoantigene Diät
- Ernährungsphysiologisches Fazit : Top oder Flop?
- Quellen
Was ist die oligoantigene Diät?
Die oligoantigene Diät ist eine Eliminationsdiät, in der solche Nahrungsmittel und Zusatzstoffe (vorübergehend) weggelassen werden, die häufig zu Unverträglichkeiten führen. Dieses Ernährungskonzept dient in der Testphase als wichtiges Instrument zur Diagnose von individuellen Nahrungsmittelsensitivitäten.
Im Gegensatz zu vielen anderen Diäten zielt die oligoantigene Diät nicht auf einen Gewichtsverlust, sondern auf Symptomlinderung bei ADHS ab. Denn die Beschwerden können in direktem Zusammenhang mit dem individuellen Ernährungsverhalten stehen.
Die oligoantigene Diät ist keine dauerhafte Ernährungsform, sondern eine zeitlich begrenzte Basisdiät – inklusive anschließender Wiedereinführung der weggelassenen Lebensmittel, mit Ausnahme derer, die sich als unverträglich herausstellen. Die ADHS-Diät zielt darauf ab, das Wohlbefinden zu verbessern. Dafür müssen Betroffene kritische Nahrungsmittel dauerhaft vom Speiseplan streichen – in Abhängigkeit von individueller Verträglichkeit.
Was verspricht die oligoantigene Diät?
Wenn sich Familien konsequent an die Ernährungsregeln der Testphase halten und auf zahlreiche Nahrungsmittel (vorübergehend) verzichten, sollen sich charakteristische ADHS-Symptome wie Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten verbessern. Für einen dauerhaften Erfolg ist es wichtig, dass Betroffene auf solche Lebensmittel bzw. Zusatzstoffe im Anschluss an die Testphase verzichten, die die Symptome erneut triggern.
Ziel der Diät
Im Fokus steht, dass Ernährungsmediziner Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze identifizieren, bei denen die ADHS-Symptome verstärkt auftreten, bzw. durch sie ausgelöst werden. Im Anschluss erstellt eine Diätassistentin aufgrund der Beobachtungen eine individuelle Diät-Empfehlung, bei der ein oder mehrere Lebensmittel bzw. Zusatzstoffe dauerhaft vom Speiseplan gestrichen werden.
Prinzip der oligoantigenen Diät
Zu Beginn müssen ADHS-Betroffene für einen Zeitraum von ungefähr vier Wochen auf solche Lebensmittel verzichten, die häufig mit Nahrungsmittelallergien und Unverträglichkeiten assoziiert werden. Dadurch soll dem Immunsystem eine Regenerationsphase ermöglicht werden. Gleichzeitig zielt die oligoantigene Diät darauf ab, dass sich charakteristische Beschwerden wie Hyperaktivität während des Verzichts von Milchprodukten, glutenhaltigem Getreide, Fisch und Co. verbessern.
In der anschließenden Wiedereinführungsphase werden die Lebensmittel einzeln nach und nach für einen Zeitraum von fünf Tagen wieder eingeführt. Bei Symptomfreiheit können die jeweiligen Nahrungsmittel danach wieder regelmäßig gegessen werden.
Ablauf der oligoantigenen Diät:
- Basisdiät (Testphase mit reduzierter Nahrungsmittelauswahl)
- reintroduktive Phase (Wiedereinführungsphase)
- dauerhafte, individuell zusammengestellte Diät
Wenn in den ersten zwei Wochen der Testphase keine deutliche Besserung zu beobachten ist, wird eine weitere Anpassung der Lebensmittelauswahl vorgenommen – beispielsweise können mögliche Kreuzallergien berücksichtigt werden. Sollte sich dennoch keine Veränderung der ADHS-Symptome ergeben, ist dies ein Hinweis dafür, dass es keinen Zusammenhang zwischen Ernährungsverhalten und Symptomen zu geben scheint. In diesem Fall kann auf die Wiedereinführungsphase verzichtet werden.
Während Basisdiät und Wiedereinführungsphase wird die Verhaltensbeurteilung durch sogenannte Conners-Skalen (via Fragebögenn) erfasst. Dadurch gewinnen Ärzte, Eltern und Diätassisten einen Überblick über „harmlose“ und triggernde Lebensmittel.
Das sagt die Wissenschaft zur Eliminationsdiät
Ein Zusammenhang zwischen hyperaktivem Verhalten und bestimmten Nahrungsmitteln wurde bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts beobachtet.1
Aus neueren Studien geht hervor, dass Diäten mit reduzierter Auswahl an Nahrungsmitteln die ADHS-Symptome bei Kindern erheblich verringern können. Forscher konnten diesbezüglich signifikante Effekte hinsichtlich Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung belegen und zeigen, dass Betroffene von den zugrundeliegenden neurokognitiven Mechanismen profitieren.2,3
Auch interessant: ADHS bei Kindern – so erkennen Sie die Symptome rechtzeitig
Welche Nahrungsmittel sind bei der ADHS-Diät erlaubt?
Die oligoantigene Diät basiert auf solchen Lebensmitteln, die mit einem sehr geringen allergenen Potenzial assoziiert werden. Dabei lautet die Devise: frisch statt Convenience!
Erlaubte Lebensmittel (Auswahl):
- Wasser und verschiedene Tees, einzelne Obstsäfte
- glutenfreies Getreide (z. B. Reis und Hirse)
- die meisten Gemüsesorten
- Kartoffeln
- die meisten Obstsorten
- Kichererbsen
- Pseudogetreide wie Buchweizen
- ausgewählte frische Kräuter
- Geflügel wie Huhn
- Kokosnuss
Diätregeln: Welche Lebensmittel sind tabu?
Auf folgende Lebensmittel und Zusatzstoffe muss während der oligoantigenen Diät verzichtet werden, da diese die Symptome von ADHS verstärken können. Insbesondere Fertiggerichte sind problematisch, da diese zahlreiche triggernde Bestandteile enthalten können.
Verbotene Lebensmittel (Auswahl):
- Milchprodukte
- Eier
- Fisch und Krustentiere
- Meeresfrüchte bzw. Weichtiere
- Gluten
- Nüsse
- Zusatzstoffe*
- Fertigprodukte
- Soja, Lupine
- Wurstwaren
- Schalenfrüchte (u. a. Erdnüsse)
- Auberginen und Tomaten
- Paprika und Sellerie
- Senf und Sesam
- Schokolade
*Zusatzstoffe wie Natriumbenzoat, Süßstoffe, Glutamat, Phosphat, Salicylate und Azofarbstoffe (Achtung: können teilweise auch in Kosmetika, Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sein).
Die oligoantigene Diät im Praxischeck
Die Theorie hinter der nahrungsmittelinduzierten ADHS-Symptomatik klingt schlüssig; so viel steht fest. Aber sind die strikten Diätregeln der ADHS-Diät auch im mitunter stressigen Alltag von Familien praxisnah? Und wie gelingt es, Kleinkindern zu vermitteln, auf geliebte Lebensmittel zu verzichten?
Ist die oligoantigene Diät alltagstauglich?
Jain: Wer bereit ist, die Empfehlungen zur eingeschränkten Lebensmittelauswahl während der Testphase umzusetzen, kann aus den unproblematischen Lebensmitteln alltagstaugliche Mahlzeiten zubereiten. Speziell bei Kleinkindern und Grundschulkindern müssen Erzieher bzw. Lehrer allerdings einbezogen werden. Gleiches gilt für die Wiedereinführungsphase und die anschließende Dauerkost, falls bestimmte Lebensmittel tabu bleiben.
Ist die oligoantigene Diät ausgewogen?
Da allgemeine Ernährungsempfehlungen berücksichtigt und solche Nahrungsmittel, die häufig zu Unverträglichkeiten führen, ersetzt werden, ist die oligoantigene Diät theoretisch ausgewogen. Vorausgesetzt, ein grundsätzliches Ernährungsverständnis ist vorhanden. Es ist empfehlenswert, sich zur Unterstützung eine professionelle Ernährungsberatung an die Seite zu holen, die bei Unsicherheiten weiterhelfen kann.
Da Milchprodukte während der Testphase zu den zu meidenden Lebensmitteln gehören, kann zusätzlich ein Calciumpräparat supplementiert werden – insbesondere, falls dauerhaft auf Milchprodukte verzichtet werden muss.
Achtung: Kinder, die „schlechte“ Esser sind, haben ein erhöhtes Risiko für einen Energie- und Nährstoffmangel. Vornehmlich dann, wenn die Lieblingsspeisen zu den „verbotenen“ Lebensmitteln gehören. Dann sind viel Feingefühl und Kreativität gefragt, um akzeptierte Alternativen zu finden.
Für wen ist die ADHS-Diät geeignet und für wen nicht?
Die oligoantigene Diät richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS, bei denen die Differenzialdiagnostik abgeschlossen und die Diagnose bestätigt ist. Gleichzeitig muss die Bereitschaft der Betroffenen bestehen, sich auf das „Ernährungsexperiment“ freiwillig einzulassen.4 Last but not least sollten alle Familienmitglieder an einem Strang ziehen. Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist es, dass geliebte, vorübergehend gestrichene Nahrungsmittel nicht von vor den Augen des betroffenen Kindes gegessen werden – nur außerhalb einer gemeinsamen Mahlzeit.
Vor- und Nachteile der oligoantigene Diät
Grundsätzlich besitzt die ADHS-Diät ein großes Potenzial, das Wohlbefinden von Betroffenen und Angehörigen nachhaltig zu verbessern.
Vorteile der oligoantigenen Diät:
Das Prinzip der Eliminationsdiät ist einfach und ohne großen Aufwand durchführbar. Sollten spezielle Lebensmittel als Trigger entlarvt werden, profitieren Betroffene und die ganze Familie von den individuellen Diätregeln.
Nachteile der ADHS-Diät:
In der Praxis kann die oligoantigene Diät allerdings auf psychischer Ebene herausfordernd sein. Insbesondere Eltern müssen in ihrer Vorbildfunktion überzeugen: sowohl in der Testphase, während der Wiedereinführung und der anschließenden Dauerkost – inklusive Konsequenz, weil bereits kleine Mengen der „verbotenen“ Lebensmittel das Ergebnis bzw. die Diagnose verfälschen können.
Weitere Nachteile im Überblick:
- Kinder und Jugendliche müssen freiwillig mitmachen wollen
- für viele ist es bequemer, direkt auf eine Medikation zu setzen
- es muss die Bereitschaft bestehen, sich mit den Ernährungsregeln zu befassen
- ohne Konsequenz funktioniert die oligoantigene Diät nicht
- Kinder müssen ggf. dauerhaft auf Lieblingsspeisen verzichtet

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Ernährungsphysiologisches Fazit: Top oder Flop?
Die oligoantigene Diät bietet eine sinnvolle Möglichkeit, um einen Zusammenhang zwischen Ernährung und der Ausprägung von ADHS-Symptomen zu diagnostizieren. Idealerweise sollte die Test- und Wiedereinführungsphase medizinisch oder ernährungswissenschaftlich betreut werden. Wenn Familien bereit sind, die Diätregeln strikt zu befolgen, stehen die Chancen gut, eine dauerhafte Verbesserung der ADHS-Symptomatik zu erzielen.