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Daten vs. Körpergefühl

Experte warnt vor Suchtgefahr durch Fitnesstracker 

Süchtig durch Fitnesstracker: Junge Frau blickt auf Smartwatch
Fitnesstracker können zu mehr Bewegung motivieren, aber auch zu ungesunden Zwängen führen Foto: Getty Images
Nina Ponath
Freie Autorin

12.09.2023, 14:08 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Sie zeigen die Anzahl der Schritte, den Kalorienverbrauch und geben Feedback zum Lifestyle. Fitnesstracker und Smartwatches werden von immer mehr Menschen genutzt und motivieren zu mehr Bewegung. Das kann mitunter auch ungesunde Tendenzen annehmen.

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Ein kurzer Blick auf die Smartwatch nach Feierabend. „Noch mal eben ein kleiner Spaziergang am Feierabend, dann habe ich meine 10.000 Schritte voll.“ Kommt Ihnen dieser Gedanke bekannt vor? Smartwatches sind die wohl unbestechlichsten Personal Trainer unserer Zeit. Auf der Anzeige fassen sie Bewegungskalorien, Stehstunden und Schrittzahl so ungeschönt zusammen, dass jede Ausrede zwecklos ist: Heute einfach nur am Schreibtisch gesessen! Also, ab zum Sport, oder? Ich habe eine Zeit lang mehr auf meine Smartwatch als auf den Muskelkater in meinen Beinen gehört. Müdigkeit? Kann nicht sein, die muss daher kommen, dass ich mich heute kaum bewegt habe. Rest Day? Ach nö, ich war diese Woche schon zwei Mal unter meinem Aktivitätsziel. Außerdem habe ich ja noch Pizza gegessen, die muss noch verbrannt werden. Zahlen geben Halt. Wir klammern uns an ihnen fest. Manchmal auch zu sehr. Ein Experte erklärt, wann es gefährlich werden kann und Fitnesstracker süchtig machen.

Zahlen lügen nicht – oder doch?

„Zahlen geben erst einmal Halt, weil sie uns einen objektiven Anhaltspunkt dafür geben, was wir essen und wie viel wir essen, denn unsere Erinnerung darauf bezogen, ist erstaunlich schlecht. Das kann beim Gewichtsmanagement helfen“, sagt Psychologe Lukas Mahler von „Systemische Gesundheit“. Das Problem dabei? „Für Menschen, deren Essverhalten gestört ist oder die unter einer Essstörung leiden, kann das Obsessive dazu führen, sich in dem Kontext (kurzfristig) sicher zu fühlen. Das hat für die Psyche aber meist andere langfristig negative Konsequenzen“, sagt Lukas Mahler.

Was bei verbrannten Kalorien, Stehstunden und Schrittanzahl mitunter vergessen wird: Die Zahl, die uns die Fitnessuhr anzeigt, ist ohnehin ziemlich beliebig. Ob ich mal irgendwann entschieden habe, 400 oder 600 Kalorien am Tag durch Bewegung zu verbrennen, mag vielleicht von irgendeiner Empfehlung oder Diät beeinflusst sein. Letztlich gibt es für eine bestimmte Zahl aber keinerlei gesundheitliche Evidenz. Selbst der Mythos von den 10.000 Schritten, die man angeblich pro Tag zurücklegen soll, geht ursprünglich nur auf die Werbung eines japanischen Unternehmens zurück, das Schrittzähler verkaufte – eine wissenschaftliche Grundlage für die magische Zahl gibt es nicht.

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Wie viel sich jemand bewegen sollte, hängt immer ganz von individuellen Faktoren wie dem Fitnessniveau, dem Gesundheitszustand und den Lebensumständen ab: Jemand, der Zeitungen austrägt und dafür den ganzen Tag auf dem Fahrrad unterwegs ist, muss selbstredend weniger Schritte zurücklegen als jemand, der keinen Sport macht und nur sitzt. Der Fitness-Athlet, der in seinem letzten Beintraining den Puls auf 140 gebracht hat, kann dafür auch getrost die Beine abends hochlegen.

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Wenn die Uhr lauter als das Körpergefühl ist

„Smartwatches sind eigentlich ein positiver Anreiz“, sagt Dajana Eder. Die selbstständige Gründerin war bis 2017 als Fitnessbloggerin tätig. Damals wie heute immer dabei: ihr Aktivitätstracker. Zum Teil nahm der Drang, Aktivitätsziele zu erreichen, ungesunde Züge an, wie die ehemalige Bloggerin heute weiß.

„Früher habe ich, wenn die Aktivitätskalorien zu niedrig waren, deshalb manchmal weniger gegessen. Ich habe mir dann gedacht: ‚Das habe ich mir nicht verdient‘.“ Als Dajana Eder sich bei solchen Gedanken ertappte, zog sie schnell die Reißleine: „Das ist Bullshit, weil das total in die falsche Richtung geht.“

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Mögliche Warnzeichen

Kann aus solch einer falschen Richtung am Ende eine Sucht werden? „Es handelt sich dabei eher um ein zwanghaft-obsessives Verhalten, um bestimmte psychologische Motive zu erfüllen (z. B. Kontrolle und Sicherheit), was im Rahmen von zwanghaften Persönlichkeitsstilen oder Essstörungen auftreten kann“, erklärt Lukas Mahler.

Eine Sucht, so der Psychologe, sei das zwar nicht; Betroffene würden aber immer unflexibler und können nicht mehr auf den Tracker verzichten, ohne in eine massive Verunsicherung und Angst zu rutschen.

Fitnessuhren und Aktivitätstracker auf gesunde Art nutzen

Heute hat Dajana Eder mehr Abstand zu ihrer Uhr. Dazu hat sie ein Aktivitätsziel gewählt, das sie problemlos erreichen kann. „Ich habe bei mir 9500 Schritte als Ziel eingegeben, weil ich weiß, dass ich die erreichen kann, ohne mich zu überfordern“, sagt sie. Sie wisse zudem, dass ein Tag mit wenig Aktivität kein Weltuntergang ist. Am Ende zähle ja die Gesamtbilanz. „Gehe ich einen Tag mal kaum, weil ich für meine Arbeit so viel am Schreibtisch sitzen muss, weiß ich, dass ich an einem anderen Tag dafür wieder 20.000 Schritte gehe. Das gleicht sich ja immer irgendwie aus.“

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Ganz ohne Uhr geht es für Eder dennoch nicht. „Wenn ich morgens aus dem Haus gehe und meinen Tracker vergessen habe, kehre ich wieder um“, sagt sie lachend. Schlimm findet sie das nicht; lieber weiß sie um ihren Tick und beobachtet sich mit einem wachsamen Auge. „Man kann Fitnesstracker auch positiv nutzen“, sagt Lukas Mahler. Laut dem Psychologen können Fitnesstracker manchen Menschen dabei helfen, ihr Gewicht so besser zu halten und achtsamer zu essen. „Man bekommt so auch eher einen Überblick, was man eigentlich isst, und welche Zusammensetzung die Nahrung hat.“

Tracker als Hilfe beim Monitoring von Erkrankungen

Für Dajana Eder hat ihr Fitnessarmband heute noch eine weitere Bedeutung: 2018 wurde bei der jungen Frau eine Autoimmunerkrankung festgestellt, die sich auch in Zahlen auf ihrem Fitnessarmband bemerkbar macht. „Ich kann ziemlich genau an meinem Ruhepuls sehen, wenn sich ein Schub ankündigt“, sagt Dajana, „wenn der über 70 geht, ist das ein Indikator.“

In Bezug auf ihre Krankheit sei der Tracker ein echter Segen, sagt Dajana Eder, weil sie so bei einem erhöhten Ruhepuls direkt gegensteuern kann. Sie achtet dann besonders bewusst auf sich und versucht, Stress zu reduzieren. „Ich trinke dann keinen Alkohol, meditiere und gehe früher schlafen. Das bringt was“, sagt sie. Auch Sport wird dann reduziert oder gestrichen, damit ihr Körper all seine Kräfte mobilisieren kann. „Sport ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Ich brauche den, um gut durch den Tag zu kommen“, sagt Dajana Eder.

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Süchtig durch Fitnesstracker? Checkliste

Bei der Frage danach, ob der Tracker eine zu große Rolle im Leben einnimmt, hilft, so Psychologe Lukas Mahler, die Beantwortung der folgenden Fragen:

  • Wie fühle ich mich, wenn ich auf Sport verzichte?
  • Mit welchem Motiv gehe ich zum Sport? (Möchte ich eher unangenehme Gefühle vermeiden oder eher aktiv eines oder mehrere Ziele verfolgen?)
  • Wie priorisiere ich meine Gesundheit?
  • Brauche ich immer mehr Sport, um ausgelastet zu sein, und gehe dann auch, wenn ich verletzt bin, oder schaffe ich es auf meinen Körper und dessen Bedürfnisse zu hören?

„Auch hier geht es um Flexibilität“, erklärt der Psychologe, „je unflexibler ich bin, je weniger ich auf körperliche oder psychologische Signale achte und je weniger das alles zu meinem Lebensstil passt (z. B. abseits des Hochleistungssports), desto eher liegt ein zwanghaftes Sportverhalten vor.“

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Fazit

Fitnesstracker sind eine tolle Möglichkeit, die Motivation für Sport zu steigern und können sogar dabei helfen, die Gesundheit im Auge zu behalten – etwa anhand der Auswertung von Daten wie der Herzfrequenz. Sie sollten jedoch keinen zu großen Platz im Leben einnehmen. Ob man sich bewegen sollte oder nicht, sollte man am Ende immer noch selbst und nicht der Fitnesstracker am Handgelenk entscheiden.

Grundsätzlich sollte man sich die Frage stellen, aus welchem Motiv man Sport treibt. Solange Sie aus Ihrem Sportpensum Kraft schöpfen und sich auf den Sport freuen, schadet auch ein Tracker, der gelegentlich an Bewegung erinnert, nicht. Wichtig ist aber, dass Sie Ihrem Körper und seinen Signalen mehr Glauben schenken als einer Zahl.

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