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Fallbericht

Forscher identifizieren neues, kurioses Long-Covid-Symptom

Menschen, die an Gesichtsblindheit leiden, können zwar einzelne Gesichter erkennen, aber sie nicht voneinander anhand der individuellen Merkmale unterscheiden
Menschen, die an Gesichtsblindheit leiden, können zwar einzelne Gesichter erkennen, aber sie nicht voneinander anhand der individuellen Merkmale unterscheiden Foto: Prostock-Studio
Martin Lewicki
Freier Autor

15.03.2023, 15:32 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Das Thema Corona ist leider noch nicht abgehakt. Denn nach der weltweiten Pandemie gibt es immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zu den möglichen Folgen einer Coronainfektion. Nun haben Forscher herausgefunden, dass Covid-19 zum seltenen Phänomen der Gesichtsblindheit führen kann.

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Mittlerweile ist viel über die Spätfolgen einer Coronainfektion bekannt. Neben Lungenschäden und anhaltenden Atemproblemen treten meist neurologische Beschwerden auf. Dazu gehören Geruchs- und Geschmacksverlust, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisstörungen sowie Sprachprobleme. Oft beschreibt man die Symptome unter dem Sammelbegriff „Brain Fog“, zu Deutsch Gehirnnebel. Offenbar kann das Coronavirus aber noch andere Schäden am Gehirn verursachen. So fanden amerikanische Forscher heraus, dass Corona auch eine Gesichtsblindheit auslösen kann.

28-Jährige kann nach Coronainfektion keine Gesichter erkennen

Forscher von der amerikanischen Dartmouth-Universität in Hanover (New Hampshire) haben sich mit dem Fall einer 28-jährigen Corona-Patientin (Annie) beschäftigt.1 Die angestellte Kundenbetreuerin und Porträt-Zeichnerin habe sich im März 2020 mit dem Coronavirus infiziert, berichtet das Wissenschaftsportal „Neuroscience News“.2 Nachdem Annie die Infektion zunächst überstanden hatte, erlitt sie zwei Monate später einen Symptom-Rückfall. Anschließend bemerkte sie Schwierigkeiten bei der Orientierung und beim Erkennen von ihr vertrauten Gesichtern.

„Als ich Annie zum ersten Mal traf, sagte sie mir, dass sie die Gesichter ihrer Familie nicht erkennen könne“, wird die Hauptautorin der Studie Marie-Luise Kieseler von „Neuroscience News“ zitiert. Als die Patientin ihre Familie zum ersten Mal nach der Coronainfektion in einem Restaurant traf, erkannte sie ihre Gesichter nicht. „Es war, als käme die Stimme meines Vaters aus dem Gesicht eines Fremden“, sagt Annie. Nun müsse sie sich auf Stimmen verlassen, um ihr vertraute Personen zu erkennen.

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Corona als Auslöser für die Gesichtsblindheit?

Um herauszufinden, ob die Infektion mit Corona tatsächlich zu einer Gesichtsblindheit geführt hat, wurde die Patientin umfangreichen Tests unterzogen. So musste sie etwa die Gesichter von ihr bereits bekannten Prominenten auf Bildern zuordnen. Dabei konnte sie lediglich 29 Prozent von den 48 Prominenten, die sie eigentlich kennt, benennen. Gesunde Menschen erreichen im Durchschnitt 84 Prozent bei diesem Test. Beim sogenannten Doppelgängertest, bei dem sie Prominente und ihre Doppelgänger voneinander unterscheiden soll, lag sie in 69 Prozent der 58 Fälle richtig. Bei der gesunden Kontrollgruppe waren es 87 Prozent. Auch beim Abspeichern und Wiedererkennen neuer Gesichter war sie lediglich in der Lage, 56 Prozent der Personen richtig zu erkennen. Gesunden Menschen gelingt es in 80 Prozent der Fälle.

Im Gegensatz dazu hatte sie keine Probleme, Landschaften und Gegenstände richtig zu erkennen und voneinander zu unterscheiden. Deswegen erklären sich die Wissenschaftler ihrer Orientierungsprobleme wie folgt: „Diese Art von Dissoziation, wie wir sie bei Annie sehen, ist bei einigen Menschen mit Navigationsschwierigkeiten zu beobachten, wobei sie erkennen können, wo sie sind, aber die Entfernung zu einem anderen Ort nicht richtig bestimmen können“, sagt der Studien-Co-Autor Brad Duchaine.

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Probleme mit Gesichtserkennung bei Long-Covid-Patienten

Um herauszufinden, ob auch andere Covid-Patienten Wahrnehmungs-, Erkennungs- und Orientierungsprobleme hatten, werteten die Forscher Daten von 54 Personen aus, die von Long Covid betroffen waren. Zusätzlich wurden 32 weitere Personen in die Analyse miteinbezogen, die vollständig nach einer Coronainfektion genesen waren. Die Befragten wurden gebeten, ihre visuelle Wahrnehmung und weitere kognitive Funktion zu bewerten. Insbesondere ob sich die Gesichtserkennung von Personen im Fernsehen und im normalen Umfeld nach einer Coronainfektion verändert hat. Dann verglichen die Wissenschaftler die Aussagen von den gänzlich Genesenen mit den Long-Covid-Patienten.

„Die meisten Long-Covid-Betroffenen berichteten, dass ihre kognitiven und wahrnehmungsbezogenen Fähigkeiten seit der Coronainfektion abgenommen haben“, sagt die Wissenschaftlerin Marie-Luise Kieseler. Dazu gehört bei einigen auch das Visualisieren von Freunden und Familienmitgliedern. Deswegen raten die Forscher sowohl Coronapatienten als auch den behandelnden Ärzten auf Wahrnehmungsprobleme bei der Gesichtserkennung wie einer Prosopagnosie, aber auch der Orientierung als weiteren Symptomen von Long Covid zu achten.

Was ist eine Gesichtsblindheit (Prosopagnosie)?

Wird ein bestimmtes Gehirnareal geschädigt, kann es zu einer sogenannten Gesichtsblindheit kommen. Der Fachbegriff dafür lautet Prosopagnosie (PA) und bezeichnet die Unfähigkeit, Personen nur anhand ihres Gesichts zu erkennen.3 Wer an Gesichtsblindheit leidet, der erkennt zwar die Gesichter anderer Menschen, kann sie aber voneinander nicht unterscheiden. Weil das Erkennen von Gesichtern für die zwischenmenschliche Kommunikation besonders wichtig ist, gibt es im Gehirn speziell dafür zuständige Areale. Laut der Fakultät für Psychologie an der Ruhr Universität Bochum nimmt man an, dass insbesondere zwei Bereiche dafür zuständig sind: das Fusiforme Gesichtsareal (fusiform face area) und das Occipitale Gesichtsareal (occipital face area). Beide liegen im hinteren Bereich des Gehirns im sogenannten Schläfenlappen.

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Wie kommt es zu diesem Phänomen?

Sind die Funktionen in den oben genannten Gehirnarealen beeinträchtigt, kann es zu einer Gesichtsblindheit kommen. Dabei unterscheidet man zwischen einer angeborenen und einer erworbenen Prosopagnosie.

  • Angeborene Prosopagnosie: Hierbei haben Betroffenen schon seit ihrer Geburt Probleme, anderen Menschen lediglich am Gesicht zu erkennen. Vermutlich wird diese Gehirnstörung vererbt, ist jedoch wissenschaftlich noch nicht erwiesen.
  • Erworbene Prosopagnosie: Hier kommt es zu Problemen mit der Gesichtserkennung durch eine Verletzung der dafür verantwortlichen Gehirnareale (Fusiformes und Occipitales Gesichtsareal). Es kann als Folge eines Schädelhirntraumas oder eines Schlaganfalls auftreten. Laut der aktuellen Studie kann offenbar auch Corona in seltenen Fällen Gesichtsblindheit auslösen.
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Quellen

Themen: Coronavirus
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