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Ursachen und Verlauf der Erkrankung

Anzeichen, die schon bei Babys auf das Prader-Willi-Syndrom hindeuten

Das Prader-Willi-Syndrom kann schon bei Säuglingen für Auffälligkeiten sorgen
Das Prader-Willi-Syndrom ist ein seltener Gendefekt, bei dem die Betroffenen unterschiedliche Folgeerkrankungen entwickeln können. Foto: Getty Images
Julia Freiberger
Werkstudentin in der Redaktion

16. November 2024, 17:17 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Bei dem Prader-Willi-Syndrom handelt es sich um eine Störung, ausgelöst durch einen seltenen Gendefekt, der zu einer Fehlfunktion im Zwischenhirn (Hypothalamus) führt. Menschen, die mit dem Syndrom geboren werden, können unter anderem kleinwüchsig und unfruchtbar sein und ein fehlendes Sättigungsgefühl haben – was in die Entstehung weiterer gefährlicher Erkrankungen wie Esssucht münden kann. Zudem sind sie in ihrer geistigen Entwicklung eingeschränkt.

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Auf fachliche Richtigkeit geprüft von
Prof. Dr. med. Frank Erbguth
Prof. Dr. med. Frank Erbguth, Neurologe und Präsident der Deutschen Hirnstiftung

Ein bekanntes Symptom der Erkrankung ist eine ausgeprägte Muskelschwäche, die sich bereits bei einem Neugeborenen bemerkbar machen kann. Infolgedessen können sogar beim Trinken und Schlucken im Säuglingsalter Probleme auftreten. Betroffene des Prader-Willi-Syndroms haben zusätzlich mit einem auffälligen Erscheinungsbild sowie Verhaltensstörungen zu kämpfen. FITBOOK erklärt, welche Ursachen und Symptome es gibt und wie das Prader-Willi-Syndrom verläuft.

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Was ist das Prader-Willi-Syndrom?

Das Prader-Willi-Syndrom (kurz „PWS“ genannt) ist eine seltene Erkrankung, die zu einer Entwicklungsstörung des Nervensystems führt. Grund dafür: ein Gendefekt auf einem Chromosom. Diese genetische Veränderung führt dazu, dass wichtige Funktionen im Hypothalamus (einem Teil des Zwischenhirns) unterbunden werden, was gefährliche Folgen für den Betroffenen hat. Der Hypothalamus ist nämlich dafür zuständig, lebensnotwendige Prozesse zu regulieren. Darunter fallen der Blutdruck, der Wasser- und Salzhaushalt, die Körpertemperatur, Nahrungsaufnahme und das emotionale Verhalten eines Menschen.1

Zusätzlich werden verschiedene Hormone produziert, die entweder direkt auf bestimmte Zielorgane (wie Schilddrüse und Geschlechtsorgane) wirken oder für die Bildung neuer Hormone verantwortlich sind. Die im Hypothalamus gebildeten Hormone sind zudem in der Lage, das Wachstum eines Menschen zu beeinflussen.

Säuglinge, die von diesem Gendefekt betroffen sind, leiden oft an einer geistigen Entwicklungsverzögerung, Kleinwüchsigkeit und einer geringen Muskelspannung. Zudem kann sich im Kleinkindalter aufgrund eines fehlenden Sättigungsgefühls Fettleibigkeit entwickeln. Dies kann unterschiedliche Folgeerkrankungen nach sich ziehen.

Entdeckung der Störung

Das Prader-Willi-Syndrom ist eine seltene Krankheit, die ungefähr eines von 15.000 Neugeborenen trifft. Im Jahr 1965 beschrieben die Schweizer Kinderärzte Andrea Prader, Heinrich Willi und Alexis Labhart erstmals die Symptome der Erkrankung.2

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Erste Symptome während der Schwangerschaft

Erste Symptome der Erkrankung können bereits während der Schwangerschaft deutlich werden. So bewegen sich Kindern, die an dem Prader-Willi-Syndrom leiden, wenig. Zudem haben sie auch eine niedrigere Herzfrequenz vorzuweisen.

Anzeichen bei Babys

Eine weitere Auffälligkeit tritt nach der Geburt ein: Die Babys haben nicht nur eine auffällige Bewegungsarmut vorzuweisen, sondern leiden an einem geringen Geburtsgewicht und Muskelschwäche. Die meisten Neugeborenen haben aufgrund der Muskelschwäche Schwierigkeiten, zu schreien, zu saugen oder zu schlucken – und haben so mit Komplikationen beim Trinken zu kämpfen. Häufig sind sie untergewichtig und können nur langsam an Gewicht zunehmen.3

Weitere Anzeichen der Erkrankung

Neben den bereits genannten Aspekten treten auch äußere Auffälligkeiten bei den Betroffenen auf. Charakteristisch für die Erkrankung sind:

  • Langes, schmales Gesicht
  • Dünne Oberlippe
  • Mandelförmige Augen
  • Nach unten gebogener Mund
  • Verlängerter Schädel (auch „Dolidochozephalie“ genannt)
  • Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose)
  • Osteoporose (Knochenschwund)
  • Auch die Pigmentierung der Haare und Haut kann etwas reduziert sein

Zusätzlich können sich Sehstörungen oder Schielstellungen (Strabismus) der Augen bilden.

Unkontrollierte Nahrungsaufnahme

Eine der Aufgaben des Hypothalamus ist die Steuerung der Nahrungsaufnahme. Durch die Fehlfunktion haben die Betroffenen kein Sättigungsgefühl mehr, wodurch es zu einer unkontrollierten und übermäßigen Nahrungsaufnahme (Hyperphagie) kommt. Es findet also keine richtige Regulation des Essverhaltens statt. Langfristig können schwerwiegende Erkrankungen, wie Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder sogar eine Esssucht die Folge sein.

Gestörte Pubertätsentwicklung

Auch der für Jugendliche typische Wachstumsschub in der Pubertät ist stark abgeschwächt. Obgleich es dazu kommen kann, dass die Pubertät frühzeitig einsetzt, verbleibt die Pubertätsentwicklung bei den Betroffenen häufig unvollständig. Oder aber Merkmale der körperlichen Entwicklung (z. B. Schambehaarung) bleiben komplett aus.4

Im Zuge der Erkrankung kann es zu einer Unterentwicklung der Geschlechtsorgane bei Jungen und Mädchen kommen. Durch einen Mangel an Geschlechtshormonen und die eingeschränkte Funktion von Geschlechtsorganen kann Unfruchtbarkeit eine mögliche Folge sein.

Gestörte geistige und psychische Entwicklung

Das Prader-Willi-Syndrom ist in der Lage, die geistige und psychische und Entwicklung des Erkrankten zu beeinflussen. Typisch für die Erkrankung ist auch die allgemeine verzögerte Entwicklung des betroffenen Kindes. Beispielsweise kann es fast doppelt so lange Zeit in Anspruch nehmen, die motorischen und sprachlichen Fähigkeiten zu entwickeln, wie es bei gesunden gleichaltrigen Kindern der Fall ist.

Betroffene der Erkrankung haben eine leicht bis mittelstark ausgeprägte geistige Beeinträchtigung. Zudem haben die Betroffenen oft Lern- und Rechenschwierigkeiten.

Auffällige emotionale Entwicklung

Vom Prader-Willi-Syndrom betroffene Kinder weisen oft Auffälligkeiten bei der emotionalen Entwicklung auf. Mangelnde Impulskontrolle, Wutanfälle oder trotziges, feindseliges Verhalten gegenüber anderen Kindern sind nur einige Symptome, die auftreten können. Menschen, die am Prader-Willi-Syndrom leiden, sind oft feinmotorisch sehr begabt und ordnen Ritualen einen wichtigen Stellenwert zu. Besonders sicher fühlen sie sich, wenn alles nach festen Strukturen verläuft. Allerdings haben Betroffene der Erkrankung Schwierigkeiten damit, ihre eigenen Gefühle und die von anderen nachzuvollziehen – was zu Konflikten im Zusammenleben führen kann.

Die Symptome verschlimmern sich im Laufe der Zeit. Im Erwachsenenalter ist es jedoch möglich, dass sich die Symptome leicht zurückbilden können. Fast zehn Prozent der Betroffenen entwickeln Psychosen. Dazu können ebenfalls Formen der Narkolepsie und Epilepsien auftreten. Zu den weiteren Symptomen gehören Wassereinlagerungen, Schlafstörungen sowie Venenerkrankungen. Auch Atempausen oder Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus oder depressive Phasen können möglich sein.

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Ursachen

Das Prader-Willi-Syndrom äußert sich in einer Funktionsstörung des Hypothalamus, wobei es durch einen Defekt auf einem Chromosom verursacht wird. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um einen fehlenden Abschnitt des Chromosoms 15 (15q11-13). Bei gesunden Menschen ist dieser Genabschnitt zweimal vorhanden. Bei Prader-Willi-Syndrom-Patienten liegt der Genabschnitt nur einmal vor, da er auf einem der beiden elterlichen Chromosomen fehlt.

Die Entstehung der Erkrankung in verschiedene Ursachen aufteilen:

Deletion auf dem väterlichen Chromosom

Mit „Deletion“ ist das Fehlen des väterlichen Chromosomenabschnittes gemeint. Mit ungefähr 75 Prozent handelt es sich bei der Deletion um die häufigste Ursache des Prader-Willi-Syndroms.

Maternale Disomie

Von einer „maternalen Disomie“ ist die Rede, wenn die Betroffenen zwei mütterliche Chromosomen aufweisen – was bei ungefähr 20 Prozent der Betroffenen der Fall ist.

Mutation im Imprinting-Center

Bei fast zwei Prozent der Fälle vom Prader-Willi-Syndrom liegt die Ursache einer Mutation im Imprinting-Center zugrunde. Hierbei sind sowohl die mütterliche als auch väterliche Genkopie vorhanden, allerdings sind beide Genkopien nicht funktionstüchtig.Auch das Angelman-Syndrom ist auf eine Mutation auf dem Chromosom 15 zurückzuführen, betrifft allerdings eine andere Region des Chromosoms.5

Ist das Prader-Willi-Syndrom vererbbar?

In der Regel ist ein Wiederholungsrisiko bei einem weiteren Kind gering. Das Prader-Willi-Syndrom entsteht nämlich meistens bereits nach der Befruchtung oder während der Entwicklung der Keimzellen. Allerdings ist es auch möglich, dass die Erkrankung durch schon existierende Genmutationen ausgelöst wird. In diesem Fall steigt das Risiko einer möglichen Vererbung an. Daher wird Eltern mit Kinderwusch, die bereits ein Kind mit dem Prader-Willi-Syndrom haben, eine genetische Beratung empfohlen.6

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Diagnose des Prader-Willi-Syndroms

Bereits durch eine Erstuntersuchung bei Neugeborenen, die eine anhaltende oder unerklärliche Schwäche zeigen, lässt sich feststellen, ob ein Prader-Willi-Syndrom vorliegt. Zur Feststellung der Erkrankung gibt es zwei Methoden:

Körperliche Untersuchung

Zu den auffälligsten Symptomen der Erkrankung zählt die ausgeprägte Muskelschwäche. Sie kann etwa dann auffallen, wenn der Säugling Probleme beim Trinken und Schlucken hat. Gleichzeitig kann das äußere Erscheinungsbild der Person ebenfalls Hinweise darauf geben, ob das Prader-Willi-Syndrom vorliegt.

Bei Erwachsenen oder älteren Kindern kann man durch einen Bluttest Hilfestellung bekommen: So wird im Falle der Erkrankung einen Mangel am Wachstumshormon festgestellt. Aber auch die Konzentration weiblicher Geschlechtshormone (wie Östrogen) ist mitunter reduziert, was auf die Unterentwicklung der Geschlechtsorgane zurückzuführen ist. Indem man Hirnströme mittels Elektroenzephalogramm (EEG) untersucht, können bei den Betroffenen ebenfalls Auffälligkeiten festgestellt werden.

Genetische Untersuchung

Mithilfe einer genetischen Untersuchung kann ein Verdacht auf das Prader-Willi-Syndrom bestätigt und andere Erkrankungen können ausgeschlossen werden.

Verlauf der Erkrankung und Prognose

Die Lebenserwartung von Menschen mit Prader-Willi-Syndrom ist aufgrund der Folgeerkrankungen (z. B. Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) verkürzt. Dennoch ist es grundsätzlich möglich, mit der Erkrankung ein normales Leben zu führen. Dies ist aber abhängig von einer frühzeitigen Diagnose: Je früher sie erfolgt, desto positiver ist der Einfluss auf eine langfristige Prognose. Gerade die Lebensqualität der Kinder kann verbessert werden, indem die Eltern etwa das Essverhalten kontrollieren und so das Risiko für Fettleibigkeit minimieren.

Das wohl gefährlichste Gesundheitsrisiko geht von der zunehmende Fettleibigkeit aus und den damit verbundenen Komplikationen. Auch wenn viele Betroffene des Prader-Willi-Syndroms zu einem gewissen Grad selbstständig sein können, reicht es doch nicht aus, um ein unabhängiges Leben ohne Betreuung zu führen.

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Behandlung des Prader-Willi-Syndroms

Das Prader-Willi-Syndrom ist nicht heilbar. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome der Erkrankung, so gut es geht, zu verbessern. Dazu gehören eine Hormonersatztherapie, Kontrolle der Nahrungsaufnahme und der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten durch psychologische Betreuung. Zudem ist es ratsam, die motorische Aktivität der Betroffenen regelmäßig untersuchen zu lassen. Auch eine Physiotherapie kann dabei hilfreich sein, körperliche Beschwerden zu lindern. In seltenen Fällen sind operative Eingriffe notwendig, beispielsweise ein Magen-Bypass zur Behandlung der Adopositas. Die genauen Therapiemaßnahmen müssen idividuell auf die betroffene Person zugeschnitten sein und müssen mit dem zuständigen Arzt abgesprochen werden. In Deutschland gibt es mit dem Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Deutschland e.V. eine Selbsthilfeorganisation und spezialisierte Behandlungszentren – etwa das Essener Zentrum für Seltene Erkrankungen (EZSE) des Universitätsklinikums Essen.

Dieser Artikel wurde fachlich geprüft von Prof. Dr. med. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.

Themen Krankheiten Krankheiten A bis Z

Quellen

  1. Medizinisch Genetisches Zentrum. Prader-Willi-Syndrom. (aufgerufen am 14.11.2024) ↩︎
  2. Prader-Willi-Syndrom Vereinigung Deutschland e.V. Das Prader-Willi-Syndrom. (aufgerufen am 14.11.2024) ↩︎
  3. Prader-Willi-Zentrum. Prader-Willi-Syndrom im Überblick. (aufgerufen am 14.11.2024) ↩︎
  4. PEZZ Kinderhormonzentrum. Prader-Willi-Syndrom – eine seltene, genetische Krankheit. (aufgerufen am 14.11.2024) ↩︎
  5. DocCheck Flexikon. Prader-Willi-Syndrom. (aufgerufen am 14.11.2024) ↩︎
  6. Onmeda. Prader-Willi-Syndrom: Seltener Gendefekt. (aufgerufen am 214.11.2024) ↩︎
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