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Studie liefert Hinweise

Können Depressionen und Angststörungen durch Küssen übertragen werden?

Kann eine Depression durch Küssen auf den Partner übertragen werden
Laut einer aktuellen Studie sind Partner von an Depression Erkrankten ebenfalls für die Erkrankung gefährdet Foto: Getty Images

26. Mai 2025, 19:01 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Was haben Bakterien im Mund mit der psychischen Gesundheit zu tun? Forscher haben Hinweise dafür gefunden, dass mentale Beschwerden auf Mitmenschen übertragen werden und die oralen Bakterien daran beteiligt sein könnten. Selbst alltägliche Nähe wie gemeinsames Essen oder Küssen könnte dabei eine bislang kaum beachtete Rolle spielen. Eine neue Studie warf einen Blick auf frische Ehen – und stellte eine überraschende Verbindung zwischen seelischem Wohlbefinden und körperlicher Nähe her.

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Ein- und Durchschlafprobleme, Stimmungsschwankungen, innere Unruhe – viele Paare kennen diese Symptome, sei es bei sich selbst oder beim Partner. Was aber, wenn sich solche Beschwerden nicht nur emotional, sondern auch körperlich zwischen Ehepartnern übertragen könnten? Eine aktuelle Studie, durchgeführt in Teheran und veröffentlicht im Fachjournal „Exploratory Research and Hypothesis in Medicine“, hat genau diesen Zusammenhang näher untersucht.1 Im Fokus standen frisch verheiratete Paare, bei denen einer der Partner an Depression, Angst und Schlafproblemen litt. Die Forscher wollten wissen, ob es einen biologischen Mechanismus gibt, durch den diese Beschwerden auch den gesunden Partner beeinflussen können – jenseits von Mitgefühl oder Stress. Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Depression oder Angststörung tatsächlich durch den Austausch oraler Bakterien von einer Person auf eine andere „übertragen“ werden könnten – wäre dann womöglich Küssen ein Risiko?

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Depression und Angst durch Küssen? Was die Forscher herausfinden wollten

Frühere Studien zeigen, dass die orale Mikrobiota – also die Bakterien im Mund – mit neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Depression, Angst und Schizophrenie in Verbindung steht.2 Gleichzeitig weiß man, dass Ehepartner zahlreiche physiologische Prozesse synchronisieren – vom Schlafrhythmus über den Herzschlag bis zum Hormonspiegel.3,4,5 Das Forschungsteam vermutete daher, dass der bakterielle Austausch zwischen Partnern (vielleicht beim Küssen, A. d. R.), mit seelischen Symptomen wie Depression und Angst einhergeht. Die zentrale Hypothese der Forscher: Die Übertragung oraler Mikroben spielt eine vermittelnde Rolle bei der Entwicklung depressiver und ängstlicher Zustände innerhalb von Paarbeziehungen. Es galt, zu klären, ob gesunde Partner, die mit einem depressiven und schlafgestörten Menschen zusammenleben, ähnliche bakterielle Veränderungen im Mund entwickeln. Und wenn ja, ob sich dies auf deren psychische Gesundheit auswirkt.

Studiendesign und Methode

Die iranischen Forscher führten eine prospektive, longitudinal angelegte Beobachtungsstudie mit Querschnittsdesign durch. Das bedeutet, dass man die Probanden über einen längeren Zeitraum hinweg begleitete, ohne in ihren Alltag einzugreifen. Man beobachtete also unter natürlichen Bedingungen, wie sich Gesundheit und psychisches Wohlbefinden im Laufe der Zeit veränderten.

Zwischen Februar und Oktober 2024 wurden 268 frisch verheiratete Paare (innerhalb der ersten sechs Monate nach Eheschließung) in zwei Schlafkliniken in Teheran untersucht. Bei jedem Paar hatte ein Partner einen sogenannten Depression-Angst-(DA)-Phänotyp – definiert durch Insomnie, moderate Depression und moderate Angst. Der andere Partner war bei Studienbeginn gesund. Weitere 268 Paare dienten als Kontrollgruppe. Bei diesen Paaren waren beide Partner gesund. Alle Paare waren angehalten, ihre gewohnte Alltagsroutine (Ernährung, Zahnpflege sowie Ausübung von Sport) beizubehalten.

Tests und Messungen

Die Untersuchung umfasste zum einen psychometrische Tests. Dabei kamen Fragebögen zum Einsatz, um bei den Probanden depressive Symptome, Angst und Schlafqualität zu ermitteln. Teil der Studie waren auch Speichelproben zur Cortisolmessung und mikrobiologische Analysen von Rachenabstrichen. Die orale Mikrobiota wurde zu Studienbeginn und nach sechs Monaten per DNA-Sequenzierung analysiert. Zudem berücksichtigte man Einflussfaktoren wie u. a. BMI, Alkohol-, Tabak- und Zuckerkonsum, Bluthochdruck, Nierenerkrankungen sowie sozioökonomische Daten.

Schließlich kam eine Regressionsanalyse zum Einsatz. Dies ist ein statistisches Verfahren, das untersucht, wie stark ein bestimmter Faktor mit einem anderen zusammenhängt. In diesem Fall setzte man die Zusammensetzung der Mundflora mit dem Auftreten von Depressionen oder erhöhtem Stress in Bezug. So konnten die Forscher abschätzen, ob Veränderungen in einem Bereich möglicherweise Einfluss auf einen anderen hatten.

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Zusammenhang zwischen oralem Mikrobiom und der Depression

Nach sechs Monaten zeigte sich bei ursprünglich gesunden Ehepartnern eine deutliche Zunahme von Depressions- und Angstsymptomen sowie eine Verschlechterung der Schlafqualität. Parallel erhöhte sich das Stresshormon Cortisol signifikant – insbesondere bei Frauen (von 11,3 Nanogramm pro Milliliter auf 20,8 Nanogramm pro Milliliter).

Die bakterielle Zusammensetzung der Mundflora ähnelte zunehmend der des Partners mit Depression und Angststörung. Insbesondere stieg die relative Häufigkeit von Bakterienstämmen wie Fusobacteria, Patescibacteria und Campylobacterota, die mit Depression und Schlafstörungen korreliert sind, an und glich sich beim gesunden Partner dem erkrankten an.

Die zuvor erwähnte Regressionsanalyse zeigte: Die Veränderung der oralen Mikrobiota erklärt 35 Prozent der Varianz in der Beziehung zwischen Cortisolspiegeln und psychischer Symptomatik. Das bedeutet: Rund ein Drittel der beobachteten Veränderungen beim Stressniveau und der psychischen Verfassung konnten die Wissenschaftler mit Unterschieden in der Mundflora in Verbindung bringen. Dies wiederum deutet darauf hin, dass die Bakterien im Mund ein bedeutender Teil der Erklärung für diese Veränderungen sein könnten.

Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?

Diese Ergebnisse legen nahe, dass psychische Symptome innerhalb von Paarbeziehungen nicht nur emotional oder sozial übertragen werden, sondern möglicherweise auch mikrobiologisch. Die Mundflora könnte als bisher unbeachteter Faktor die psychische Gesundheit in Beziehungen beeinflussen. Besonders relevant ist dies für Paare mit einem Partner, der unter Depressionen, Angstzuständen oder Schlafstörungen leidet.

Die Studie liefert erste Hinweise darauf, dass es durch alltägliche Nähe – denkbar wären hier Küssen, gemeinsame Mahlzeiten oder Zahnbürstenkontakt – zu einem bakteriellen Angleich kommt, der sich negativ auf die Psyche auswirken und womöglich sogar zur Erkrankung an Depressionen und Angststörungen führen könnte.

Für die Forschung öffnet dies neue Perspektiven im Bereich der sogenannten Mikrobiota-Hirn-Achse – also der Wechselwirkungen zwischen Mikroorganismen und neurologischen Funktionen. Auch therapeutisch könnten künftig mikrobiombasierte Ansätze – etwa Probiotika oder orale Hygiene-Interventionen – ergänzend zur Behandlung psychischer Erkrankungen geprüft werden.

Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen

Die Studie überzeugt durch ihre Größe, das longitudinale Design und die simultane Erhebung mikrobiologischer, hormoneller und psychologischer Daten. Dennoch gibt es Einschränkungen.

So wurde Cortisol nur einmal morgens gemessen – wiederholte Proben könnten genauere Ergebnisse liefern. Zudem wurden nur zwei orale Regionen (Tonsillen und Pharynx) beprobt. Auch gemeinsame Ernährung, Umweltfaktoren und Art und Häufigkeit des Intimitätsverhaltens könnten das Mikrobiom beeinflusst haben. Die psychischen Symptome wurden nur über Fragebögen, nicht durch offizielle psychiatrische Diagnosen erfasst. Die Studienautoren weisen selbst darauf hin, dass besonders männliche Teilnehmer möglicherweise Symptome unterschätzten – etwa aus sozialer Erwägung oder durch mangelnde Selbsterkenntnis.

Schließlich ist die Studie assoziativ. Das bedeutet, ein kausaler Zusammenhang zwischen Mikrobenübertragung und psychischer Belastung lässt sich (noch) nicht belegen.

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Fazit

Diese Studie betrachtete erstmals das orale Mikrobiom und mögliche Veränderungen bei Ehepaaren. Sie konnte so spannende Hinweise dafür liefern, dass das orale Mikrobiom eine Rolle bei der Übertragung von depressiven und ängstlichen Symptomen zu spielen scheint. Bei Paaren, in denen ein Partner an Schlafstörungen, Depression und Angst leidet, nähert sich die Mundflora des gesunden Partners bakteriell der des erkrankten an – und dies ging in der aktuellen Studie mit einer messbaren psychischen Belastung einher.

Wie genau die orale Mikrobiom-Angleichung stattgefunden hat, haben die Forscher nicht untersucht bzw. detailliert in ihrer Studie erklärt. Logisch wäre bei Paaren aber, dass Küssen oder sonstige intime Nähe, etwa das Teilen von Essen, Faktoren sein könnten.

Auch, ob der Zusammenhang zwischen oralen Bakterien und der Entstehung depressiver und angstbezogener Beschwerden kausal ist, bleibt offen. Klar ist: Die Rolle des Mikrobioms in engen sozialen Beziehungen wird bislang unterschätzt – und könnte neue Impulse für Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen liefern. Vor allem Letztere sollte nämlich womöglich auch stärker gesunde, den erkrankten Personen, nahestehende Menschen einbeziehen. Spannend wäre zukünftig zudem die Frage, inwieweit nicht nur Partner, sondern auch Kinder von Erkrankten gefährdet sind, ebenfalls ähnliche Symptome zu entwickeln.

Themen Depression Psychologie

Quellen

  1. Rastmanesh, R., Vellingiri, B., Isacco, C.G. et al. (2025). Oral Microbiota Transmission Partially Mediates Depression and Anxiety in Newlywed Couples. Explor Res Hypothesis Med. ↩︎
  2. Tao, K., Yuan, Y., Xie, Q., Dong, Z. (2024). Relationship between human oral microbiome dysbiosis and neuropsychiatric diseases: An updated overview. Behav Brain Res. ↩︎
  3. Liu, S., Rovine, MJ., Klein, L.C., Almeida, D.M. (2013). Synchrony of diurnal cortisol pattern in couples. J Fam Psychol. ↩︎
  4. Coutinho, J., Pereira, A., Oliveira-Silva, P. et al. (2021). When our hearts beat together: Cardiac synchrony as an entry point to understand dyadic co-regulation in couples. Psychophysiology. ↩︎
  5. Gunn, H.E., Buysse, D.J., Hasler, B.P. et al. (2015). Sleep Concordance in Couples is Associated with Relationship Characteristics. Sleep. ↩︎

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