
17. Juli 2025, 17:46 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Millionen Menschen leiden unter chronischen Schmerzen im unteren Rücken, nicht wenige noch dazu unter schweren Folgeerkrankungen. Dabei wäre Vorbeugung möglich – mit einer einfachen, kostenlosen Gewohnheit und ganz ohne Medikamente. Neue Forschung zeigt: Wer täglich genug geht, reduziert sein Risiko eines chronischen Lumbalsyndroms. Die Geschwindigkeit ist dabei gar nicht so wichtig.
Ein Schutz vor chronischen Rückenschmerzen würde die Lebensqualität vieler Menschen verbessern. Eine norwegische Studie zeigt klar: Mehr tägliches Gehen, ob in Etappen oder am Stück, kann vor chronischen Rückenschmerzen schützen. Ab etwa 100 Minuten Gehen pro Tag beobachteten Forscher einen relevanten Schutzeffekt. Dieser Effekt ist vor allem bei älteren Menschen ausgeprägt und scheint unabhängig vom Geschlecht zu sein. Für Betroffene und Gesundheitsinteressierte bedeutet das: Wer regelmäßig und ausreichend geht, kann chronische Rückenschmerzen womöglich von vornherein vermeiden.
Untersucht: Kann Gehen vor chronischen Rückenschmerzen schützen?
Die Gesundheitswissenschaftlerin Rayane Haddadj und ihr Team von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie untersuchten mit rückengesunden Über-20-Jährigen, ob das tägliche Gehen – gemessen in Minuten pro Tag sowie die Intensität des Gehens – mit dem Risiko zusammenhängt, irgendwann chronische Rückenschmerzen zu entwickeln.1 Um die Gehbewegungen ihrer 11.000 Probanden genau zu erfassen, trugen sie für einige Tage Bewegungssensoren, einen am Oberschenkel und einen am unteren Rücken. Anschließend beobachteten die Forscher, wer in den kommenden Jahren Schmerzen im unteren Rücken bekam, die langfristig anhielten – und wer von solchen Schmerzen verschont blieb.
Ab wann es chronische Rückenschmerzen sind
Rückenschmerzen sitzen am häufigsten im unteren Rücken, weil die Lendenwirbelsäule anfälliger für Verletzungen und Schädigungen ist als etwa die Hals- oder Brustwirbelsäule. Haben Menschen diese Schmerzen mal stärker und mal schwächer, jedoch länger als 12 Wochen, sind sie chronisch. Das große Problem chronischer Rückenschmerzen: Sie gehen oft mit weiteren Krankheiten einher. Die Liste reicht von verschleißbedingten und entzündlichen Gelenkerkrankungen wie Arthrose und Arthritis über Osteoporose, Schlaganfall, Herzschwäche und Depression bis hin zu starkem Übergewicht.2
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Jeder Sechste hatte mindestens einmal 12 Wochen am Stück Schmerzen
Binnen der nächsten vier Jahre hatte jeder sechste bis siebte Erwachsene (14,8 Prozent der über 11.000 Studienteilnehmer) mindestens einmal zwölf Wochen und länger am Stück Rückenschmerzen gehabt – und war damit definitionsgemäß an chronischen Rückenschmerzen erkrankt. Am größten war das Risiko, zu erkranken, bei denjenigen, die am wenigsten gingen: Im Fall dieser Studie bedeutete das weniger als 78 Minuten Gehen pro Tag (egal, ob am Stück oder in Etappen).
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Größter Schutzeffekt bei 125 Minuten Gehen
Diejenigen, die täglich 78 bis 100 Minuten gingen, hatten ein um 13 Prozent reduziertes relatives Risiko, zu erkranken. Um 23 Prozent reduziert war es bei denen, die täglich zwischen 101 und 124 Minuten spazierten. Den größten gemessenen Schutzeffekt vor chronischen Rückenschmerzen hatten diejenigen, die sich draußen täglich gar 125 Minuten und länger die Füße vertraten, also zwei Stunden und mehr: bei ihnen war das Risiko 24 Prozent geringer.
Spannend: Waren die Leute flott zu Fuß unterwegs, wirkte sich das – wenn auch nicht massiv – risikosenkend aus. Um das messbar zu machen, verwenden Wissenschaftler die Einheit MET pro Minute: MET steht für Metabolic Equivalent of Task und gibt an, wie viel Energie eine körperliche Aktivität im Vergleich zum Ruhen verbraucht. So entspricht 1 MET dem Energieverbrauch im Sitzen oder Liegen, während 3 MET bedeuten, dass man dreimal so viel Energie wie im Sitzen oder Liegen verbrennt. Man sagt, dass 3 MET typisch sind für zügiges Gehen bei etwa fünf Kilometern pro Stunde und 5 MET für schnelles Gehen. Ein um 15 Prozent geringeres Risiko, chronische Rückenschmerzen zu entwickeln, hatten in dieser Studie jene Teilnehmer, die zügig gingen.
Schutz vor chronischen Rückenschmerzen: Dauer schlägt Anstrengung
Interessant ist: Der Geschwindigkeitseffekt war schwächer als der Einfluss der täglichen Gehzeit. Bedeutet: Lange gehen ist wichtiger als schnell zu gehen. Dieser Zusammenhang (mehr ist besser als schneller) war besonders ausgeprägt bei Teilnehmern, die älter als 65 waren. Keine Rolle spielte hingegen das Geschlecht.
Wie ist die Schutzwirkung zu erklären?
Die Schutzwirkung des Gehens in Bezug auf chronische Rückenschmerzen ist bisher nicht zweifelsfrei geklärt. Unter anderem stärkt Gehen durch die rhythmische Rumpf-Aktivierung eine Gruppe von Muskeln, die entlang der Wirbelsäule von Kopf bis Becken verlaufen und die man durch ein Muskeltraining gar nicht bewusst ansteuern kann – die aber entscheidend sind für die Stabilität und Beweglichkeit der Wirbelsäule. Die Rede ist von den tiefen autochthonen Rückenmuskeln. Hinzu kommt eine stressabbauende Wirkung von Spaziergängen, weil dabei Glückshormone ausgeschüttet werden.
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Einordnung der Studie
Aus einer Beobachtungsstudie wie dieser lassen sich keine kausalen Zusammenhänge ableiten. Man kann also nicht sagen: Person A blieb von den Rückenschmerzen verschont, weil sie 100 Minuten täglich ging. Auch kann ein Einfluss von nicht erfassten Einflussfaktoren nicht ganz ausgeschlossen werden. Ein weiterer Minuspunkt: Das Gehverhalten der Leute wurde nur einmalig über wenige Tage erfasst, somit blieben – sehr wahrscheinliche – Veränderungen über die Jahre unberücksichtigt. Jeder weiß von sich selbst, dass sich das Bewegungsverhalten auch mal ändert. Und: Die Rückenschmerzen wurden per Selbstauskunft erhoben, was zu Ungenauigkeiten führen kann.
Dennoch zeigt die Studie klar: Mehr tägliches Gehen ist mit einem deutlich geringeren Risiko für chronische Rückenschmerzen verbunden – vor allem, wenn täglich mehr als 100 Minuten zusammenkommen. Gehen ist damit sehr wahrscheinlich ein recht effektives Mittel zur Vorbeugung dieser Erkrankung, sprich: Gehen kann einen Schutz bieten vor chronischen Rückenschmerzen. Also, gehen Sie! Was mangelnder Motivation einen Anstoß geben könnte: In der Auswertung wurde nicht zwischen kontinuierlichem Gehen (z. B. einem 100-minütigen-Spaziergang) und unterbrochenem Alltagsgehen (z. B. zehnmal zehn Minuten) unterschieden. Wir haben es also mit einem zusätzlichen Gesundheitsvorteil zu tun, der absolut alltagstauglich ist. Gehen kann aber längst nicht nur chronische Rückenschmerzen verhindern …

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Nicht nur Schutz vor chronischen Rückenschmerzen – Gehen bringt noch mehr Gesundheitsvorteile
Der Gesundheitsvorteil durch Gehen beschränkt sich nicht darauf, chronische Rückenschmerzen vermeiden zu können. 20 Minuten Gehen an fünf Tagen die Woche senken bspw. auch signifikant die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken. Studienergebnisse aus der Vergangenheit zeigen, dass Gehen auch vor anderen – insbesondere langfristigen, also chronischen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen – schützt.3 Wer sich regelmäßig bewegt, das zeigt etwa eine Studie aus dem Jahr 2016, profitiert von einer entzündungshemmenden Wirkung dieser Tätigkeit.4 Entzündungen im Körper spielen eine Schlüsselrolle bei der Entstehung vieler chronischer Krankheiten, die oft nicht heilbar sind und eine dauerhafte Behandlung oder Überwachung erfordern.
Wenn die Rückenschmerzen schon da sind, hilft Gehen übrigens auch. Eine australische Studie mit 700 durchschnittlich 50-Jährigen, die eingangs unter starken Rückenschmerzen litten, zeigte: Mit 30 Minuten Gehen an fünf Tagen pro Woche sank die Häufigkeit von Schmerzattacken um 28 Prozent zurück.5