
17. Mai 2025, 17:41 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Bei keinem anderen Sport werden so viele Kalorien verbrannt wie beim Cardiotraining. Wieso man deshalb trotzdem nicht zwangsläufig abnimmt, verraten eine Endokrinologin und ein Sportwissenschaftler.
Abnehmen durch Sport? Das funktioniert nur bedingt. Manchmal hat man das Gefühl, dass man trotz viel Training einfach dick bleibt. Sie laufen z. B. regelmäßig, aber Ihr Bäuchlein will nicht verschwinden? Dann machen Sie vielleicht ein paar entscheidende Fehler. Besonders beim Cardiotraining kann es so zu hormonellen Anpassungen und vermehrten Hunger kommen, die im schlimmsten Fall genau das Gegenteil bewirken: Wir nehmen zu statt ab. Was das Stresshormon Cortisol damit zu tun hat und woran Sie erkennen, dass Sie kontraproduktiv trainieren, haben uns zwei Experten verraten.
Übersicht
- Der Irrglaube: Laufen gleich weniger Gewicht
- Mehr Stress durch zu viel Cardiotraining
- Cortisol: Ein Stresshormon mit Nebenwirkungen
- Sport und Stresshormone
- Zu viel Cardiotraining? Warnzeichen erkennen
- Ein typisches Muster bei dauerhaft erhöhtem Cortisol
- Hypercortisolismus: dicker Bauch, dünne Arme
- Wie Sie Stress aus Ihrem Training nehmen
- Wie viel Cardio ist gesund?
- Was wirklich zählt: Regeneration, Ernährung und Achtsamkeit
- Fazit
Der Irrglaube: Laufen gleich weniger Gewicht
Abnehmen durch Ausdauersport? „Eine gute Idee“, denken sich viele, schnüren motiviert die Laufschuhe und eigentlich ist es ja auch ziemlich einleuchtend: Wer abnehmen möchte, muss ein Kaloriendefizit erzeugen, also mehr Kalorien verbrauchen, als aufgenommen werden. Ausdauersport wie Joggen, Schwimmen oder Radfahren ist dabei ein großer Hebel, weil hierbei besonders viele Kalorien verbrannt werden. Beim Laufen zum Beispiel werden je nach Tempo und Körpergewicht bis zu 800 Kalorien pro Stunde verheizt. Eine Stunde Joggen sollte reichen, oder? Und weil man sich danach so gut fühlt, geht man am besten gleich am nächsten Tag wieder laufen – und übermorgen auch. Schnell wird aus der anfänglichen Motivation ein ehrgeiziger Trainingsplan: viermal pro Woche je eine Stunde.
Prima – viel hilft viel! Oder nicht? „Das funktioniert nur bedingt“, sagt Endokrinologin Dr. Birgit Harbeck. „Besonders beim Cardiotraining kann es zu hormonellen Anpassungen und vermehrtem Hunger kommen – im schlimmsten Fall nimmt man sogar zu, statt ab.“
Mehr Stress durch zu viel Cardiotraining
„Wird durch das Training zu viel körperlicher Stress ausgelöst, holt sich der Körper die verbrannten Kalorien oft schnell zurück“, sagt der Berlliner Sportwissenschaftler und Personal Trainer Andreas Heumann. „Entweder durch Heißhunger – oder durch hormonelle Prozesse, die das Abnehmen blockieren.“ Entweder man sitzt dann nach dem Training erschöpft mit einem Riesenhunger vor dem Kühlschrank, und isst sich die hart abtrainierten Pfunde wieder an, oder der Körper lagert verstärkt Fett ein. Das Ergebnis: Man bleibt dick trotz Training.
Cortisol: Ein Stresshormon mit Nebenwirkungen
Ein zentraler Faktor dabei ist das Hormon Cortisol. Es wird immer dann ausgeschüttet, wenn der Körper unter Druck steht – emotional oder körperlich, also auch durch intensiven Sport.
„Cortisol ist ein kataboles Hormon, das den Körper mit Energie versorgt“, sagt Endokrinologin Dr. Birgit Harbeck, „dafür setzt es Zucker und Fette frei und bedient sich an körpereigenen Eiweißen aus der Muskulatur.“
„Cortisol macht allerdings nicht automatisch dick“, betont Dr. Harbeck. „Es ist ein lebenswichtiges Hormon, das morgens unseren Kreislauf in Schwung bringt und im Tagesverlauf wieder abnimmt.“ Problematisch wird es erst, wenn der Cortisolspiegel durch dauerhaftes, intensives Training ständig erhöht ist. Dann können sich Stoffwechselprozesse verändern, die das Abnehmen sogar erschweren. Das Tückische: Man erkennt nur schwer, wenn dies der Fall ist. Eigentlich essen wir ja gesund und machen Sport, insofern kann es sein, dass wir uns erst eine ganze Weile wundern, ehe wir bemerken, was mit unserem Körper los ist. Aber wenn es mit dem Abnehmen trotz Kaloriendefizit und Training nicht klappen will, könnte dies ein Indikator dafür sein.
Sport und Stresshormone
„Das ist vor allem ein Problem bei Freizeitsportlern, die zu schnell zu viel wollen“, erklärt Heumann. „Zu intensives oder zu häufiges Cardiotraining führt auf zwei Wegen zur Gewichtszunahme.“
Indirekt
Der Körper entwickelt selektiven Kohlenhydrathunger. Er möchte sich für die nächste Einheit wappnen.
Direkt
Cortisol setzt Fette und Zucker frei – und fördert in hohen Konzentrationen die Einlagerung von Bauchfett
Der Schlüssel liegt laut Heumann in einem guten Gleichgewicht aus Belastung und Regeneration. „Von einem einmaligen Marathonlauf stirbt niemand, aber wenn die Erholungsphasen fehlen, wird das Training schnell zur Dauerbelastung.“ Der Körper sei dann im dauerhaften Alarmzustand, die ein Abnehmen erschweren.
Zu viel Cardiotraining? Warnzeichen erkennen
Cardiotraining macht nicht per se dick. „Sonst wären ja alle Marathonläufer übergewichtig“, sagt Dr. Harbeck. Entscheidend seien die Dosis, die Häufigkeit und die Fähigkeit des Körpers, den Stress zu verarbeiten. „Ist der Cortisolspiegel dauerhaft erhöht, passt sich das Hormonsystem an“, warnt die Endokrinologin. „Bei exzessivem chronischem Cardiotraining sinkt auch das Schilddrüsenhormon T3, der Stoffwechsel verlangsamt sich – das macht das Abnehmen noch schwerer.“ Wichtig sei deshalb, sämtliche Faktoren für Stress ins Training einzubeziehen.
Ein typisches Muster bei dauerhaft erhöhtem Cortisol
- Fett lagert sich vor allem am Bauch ab
- Muskeln werden abgebaut (v. a. an Armen und Beinen)
- Schlafprobleme und Heißhungerattacken
- Wassereinlagerungen
- Schlechtere Regeneration

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Hypercortisolismus: dicker Bauch, dünne Arme
„Beim Hypercortisolismus – einer Hormonkrankheit – sieht man genau dieses Bild: dicker Bauch, dünne Arme“, erklärt Dr. Harbeck. Hypercortisolismus sei eine schwere Erkrankung und klar von der Gewichtszunahme bei Freizeitsportlern abzugrenzen. Dennoch sei auch hier bei exzessivem Training um den Bauch herum eine vermehrte Fetteinlagerung zu beobachten. „Wer trotz viel Bewegung zunimmt, sollte genau hinsehen“, rät Dr. Harbeck.
Wie Sie Stress aus Ihrem Training nehmen
„Ganz ohne Stressreiz funktioniert Training nicht“, stellt Andreas Heumann klar. „Ohne Reiz, keine Anpassung.“ Aber: Die Dosis macht das Gift. Gerade Freizeitsportler sollten nicht zu schnell zu viel wollen.
Einsteiger sollten sich realistische Ziele setzen. Von null auf fünf Trainingseinheiten pro Woche – das ist wahrscheinlich zu viel. „Wer sein eigenes Leistungsniveau ignoriert, überfordert sich und kommt eher in die hormonelle Schieflage, als fitter zu werden“, warnt der Sportexperte. Ein weiteres Warnsignal: plötzlicher Hunger nach dem Training oder Essattacken. „Das ist ein Hinweis, dass der Körper im Stressmodus ist“, erklärt Heumann.
Wie viel Cardio ist gesund?
„Das ist individuell verschieden“, sagt Dr. Birgit Harbeck. Grundsätzlich gilt: 30 bis 45 Minuten Ausdauertraining, bei moderater Herzfrequenz, belasten den Körper nicht übermäßig. Wer zu schnell, zu lange oder mit zu hoher Intensität trainiert, läuft hingegen Gefahr, den Stresslevel zu stark zu erhöhen. Orientierung bietet hier die Herzfrequenzvariabilität, so Andreas Heumann. „Dafür muss man natürlich wissen, wie die bei einem normalerweise aussieht. Auch wer schnell in den Ruhepuls zurückkehrt, ist gut trainiert und kann dem Körper mehr abverlangen“, sagt Dr. Birgit Harbeck.
Was wirklich zählt: Regeneration, Ernährung und Achtsamkeit
Bewegung, angepasst an das eigene Leistungsniveau, ausreichend Schlaf, Stressmanagement und natürlich eine gesunde Ernährung. „Sport allein reicht oft nicht aus, um Gewicht zu verlieren“, betont Andreas Heumann. Denn auch wenn 800 Kalorien beim Laufen verbrannt werden – eine Tafel Schokolade und einen Drink später sind sie wieder drin. Das Ziel von Sport sollte also sein: den Körper stärken, Stress reduzieren und sich gut fühlen, statt Sport als Strafe zu sehen.
Fazit
Cardiotraining kann bei einer zu hohen Intensität und ohne angemessene Regeneration zu einer Zunahme führen. Wer zu schnell zu viel will, überfordert sich körperlich und hormonell. Der Cortisolspiegel steigt, der Hunger nimmt zu – und der gewünschte Abnehmeffekt bleibt aus. Wer abnehmen möchte, sollte den Sport als das sehen, was er ist: ein Mittel, sich selbst etwas Gutes zu tun. Nicht als Ausgleich für Kalorien, nicht als Bestrafung, sondern als Investition in Gesundheit und Wohlbefinden. Langfristig zählt nicht, wie viel wir schwitzen, sondern wie gut wir auf uns selbst achten.

Machen Sie nicht den Fehler, zu wenig zu essen
„Regeneration nach dem Training ist wichtig – auch, damit er den Effekt entfalten kann, den wir uns wünschen. Diesen Prozess kann man mit angepasster Ernährung unterstützen. Einen Fehler, den viele Abnehmwillige machen: viel zu trainieren und dabei zu wenig zu essen. Auch das kann dazu führen, dass man insgesamt zwar dünner wird, aber trotzdem die Speckröllchen am Bauch nicht loswird. Da dieses in zunächst einmal die Organe schützen soll – es wird erst gefährlich, wenn es zu viel wird – nehmen wir dort am schlechtesten ab. Besonders wenn wir viel Cortisol im Körper haben. Dieses erhöht sich durch Training – ein ganz normaler Prozess. Wichtig ist, dass es danach auch wieder sinkt.
Um nach dem Training das durch die Aktivität produzierte Cortisol wieder abzubauen und in die Regeneration im Sinne von Fettverbrennung ohne Muskelabbau zu kommen, braucht der Körper Energie in Form von Nahrung. Gönnen Sie Ihrem Körper nach dem Training ein paar Kohlenhydrate, die er schnell verwerten kann, ja, auch Gummibärchen oder ein Schokoriegel sind dann okay. Und Eiweiß nicht vergessen. Denn fehlen die Nährstoffe, wird Fett gespeichert, während Muskeln für die Energiegewinnung genommen wird. Das Ergebnis ist das sogenannte „skinny fat“. Dünne Männer und Frauen, die dennoch kleine Bäuchlein nicht loswerden.“