
5. Mai 2025, 15:38 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
In den sogenannten „Blauen Zonen“ leben weltweit die meisten über 100-Jährigen. Der Autor Dan Buettner hat diese Orte bereist und beobachtet, wie deren Bewohner Alkohol konsumieren. Seine Erkenntnis: Menschen, die außergewöhnlich lange leben, sind keineswegs abstinent.
Alkoholkonsum gilt bekanntermaßen nicht als gesundheitsfördernd, zahlreiche Studien belegen dies.1,2 Ein etwas anderes Bild zeichnet sich, wirft man den Blick auf die Bewohner der sogenannten „Blauen Zonen“ bzw. „Blue Zones“: Hier leben Menschen überdurchschnittlich lang – und sie sind keinesfalls abstinent. Die 100-Jährigen aus Ikaria (Griechenland), Loma Linda (Kalifornien), Sardinien, (Italien), Okinawa (Japan) und Nicoya (Costa Rica) leeren gerne mal ein Gläschen. Das fand der Langlebigkeitsexperte und Autor Dan Buettner bei seinen Recherchen zu den Trinkgewohnheiten der 100-Jährigen heraus.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Die Trinkgewohnheiten der 100-Jährigen in den Blue Zones
Dan Buettners erste Beobachtung: Die 100-Jährigen in den Blue Zones nehmen Alkohol sehr bewusst und mit viel Genuss zu sich. Vor allem trinken sie in Gesellschaft und grundsätzlich zum Essen. „Ich weiß, dass es Studien gibt, die zeigen, dass Alkohol das Risiko für Brustkrebs bei Frauen erhöht oder Stürze, Autounfälle und andere tödliche Ereignisse verursachen kann“, erklärte Buettner im Interview mit dem US-Magazin „Well+Good“. „Aber ich kann Ihnen sagen, dass die geringe Menge an Alkohol, die in allen fünf Blue Zones getrunken wird, zu ihrer Lebensqualität beiträgt.“ Fasziniert von den außergewöhnlich lange lebenden Menschen in bestimmten Teilen der Welt, recherchiert und forscht Buettner schon lange zum Thema Langlebigkeit. Er schrieb zahlreiche Bücher zu dem Thema, seine Erkenntnisse teilt er auch auf der Webseite „bluezones.com“.
Wie regelmäßig wird Alkohol konsumiert?
Die ältesten Menschen der Welt haben sehr regelmäßige Trinkgewohnheiten. Das heißt, sie konsumieren so gut wie jeden Tag Alkohol. Aber davon nur recht wenig. „Diese Menschen, die von allen Menschen auf der Erde am längsten leben, genießen jeden Tag ein bisschen von ihrem alkoholischen Lieblingsgetränk“, beobachtete Buettner weiter. Ein bisschen heißt in diesem Fall ein oder zwei Gläschen. Was sie also nicht tun, ist, zwei Wochen enthaltsam zu bleiben, um daraufhin 14 Drinks auf einmal zu trinken. Genau das wäre fatal für die Gesundheit.
Auch interessant: Männer oder Frauen? Wessen Insulinspiegel von schwarzem Kaffee profitiert
Welchen Alkohol trinken die ältesten Menschen der Welt?
Es kommt auch sehr darauf an, was die Blue Zoners trinken. Schnäpse und verzuckerte Cocktails zählen nicht zu den Trinkgewohnheiten der 100-Jährigen. Besonders auffällig ist – vor allem in den mediterranen Regionen – die Liebe zum Rotwein. In Sardinien kommt hauptsächlich Cannonau auf den Tisch. Diese Sorte enthält dreimal mehr Flavonoide als herkömmlicher Rotwein. Flavonoide sind aktive Pflanzenverbindungen, die für die kräftige rote Farbe sorgen und zudem hochwirksame Antioxidantien sind. Sie senken z. B. den Blutdruck, sind gut für Herz und Gehirn und schützen einer Studie zufolge vor kognitiven Verfall und sogar Depressionen (FITBOOK berichtete).3 All dies sind Voraussetzungen, um gesund zu altern und ggf. ein hohes Alter zu erreichen.
In der japanischen Präfektur Okinawa, wo die Menschen auch außergewöhnlich lange leben, wird Awamori getrunken. Das Destillat auf Reisbasis ist seit über 600 Jahren Teil der Kultur der dort lebenden Menschen und wird in kleinen Schlücken, mit reichlich Wasser vermischt, genossen. Auch hier fiel Buettner auf, dass Alkohol in Maßen konsumiert wird. Die Ernährung der Menschen dort ist überwiegend pflanzlich.
Aus welchen Gründen trinken Menschen, die außergewöhnlich lange leben?
Blue Zoners benutzen Alkohol weder, um Frust abzubauen, noch, um Sorgen zu vergessen oder anderen Stress zu reduzieren. Der einzige Grund, warum ein Fläschchen geöffnet wird, ist, weil Freunde zu Besuch kommen oder die Familie sich zum Essen um den Tisch versammelt hat. Alkohol wird als verbindendes Element betrachtet, welches die Stimmung hebt und der Lebensfreude zuträglich ist. Aber er ist nicht der Grund dafür, nur eine Art Träger. Wer einzig aus Freude zu ebenso freudigen Anlässen trinkt, tappt seltener in die Suchtfalle – für Dan Buettner eine der interessantesten Beobachtungen.
Taugen die Trinkgewohnheiten der 100-Jährigen als Vorbild? Das sagt die Wissenschaft
Buettner betont immer wieder, dass er sich als reisender Beobachter verstehe und keinesfalls als Wissenschaftler im klassischen Sinne. Die Anzahl an Studien, die bereits geringe Mengen an Alkohol problematisch sehen, sowie jene Untersuchungen, die ein Gläschen in Ehren einer guten Herzgesundheit zuschreiben, würde hier den Rahmen sprengen. Interessant ist an dieser Stelle eine Studie aus dem Jahr 2014, die moderate Rotwein-Liebe, eingebettet in eine mediterrane Ernährung, als Teil einer gesunden Lebensweise betrachtet.4 Die Erkenntnis lautete: Rotwein könne tatsächlich das Herz schützen, sofern viel Fisch, Hülsenfrüchte, Olivenöl und Gemüse dazu kombiniert werde. Wichtig sei auch regelmäßige Bewegung und etwas „Dolce-Vita-Feeling“ – ganz die Blue Zoners eben. Tatsächlich sollen die herzschützenden Flavonoide erst in Verbindung mit wichtigen Nährstoffen aus gesunden Lebensmitteln ihre volle Wirkung entfalten.5
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Alkohol-Studie aus dem Jahr 2021 (FITBOOK berichtete). Ergebnis: Leichter bis mäßiger Alkoholkonsum kann bei Menschen mit bereits bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall um 50 Prozent senken. Gemeint sind etwa sechs Gramm pro Tag, was einem halben Glas Wein oder einer Flasche pro Woche entspricht.6
Möglicher Zusammenhang zwischen Alkohol, Stressreaktion und Herzgesundheit
Forscher des Massachusetts General Hospital haben im Jahr 2023 die Daten von über 50.000 Erwachsenen untersucht. Mithilfe von Hirn-Scans wurde gemessen, wie aktiv die Amygdala – ein Bereich im Gehirn, der bei Stress reagiert – bei unterschiedlichen Trinkgewohnheiten ist. Das Ergebnis: Personen, die regelmäßig geringe Mengen Alkohol tranken (z. B. ein Glas Wein am Tag), hatten eine niedrigere Aktivität in der Amygdala. Gleichzeitig trat bei ihnen seltener eine Herz-Kreislauf-Erkrankung wie ein Herzinfarkt oder Schlaganfall auf.
Die Studie zeigt einen möglichen Zusammenhang zwischen geringem Alkoholkonsum, reduzierter Stressverarbeitung im Gehirn und einem niedrigeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ob der Alkohol dabei tatsächlich die Ursache ist, bleibt unklar. Die Forscher sprechen zudem keine Empfehlung für Alkoholkonsum aus.7
Kein klarer Vorteil von Alkohol in Bezug auf die Lebenserwartung
Eine große Auswertung von 107 internationalen Studien mit insgesamt rund 4,8 Millionen Teilnehmenden hat 2023 untersucht, ob Alkoholtrinken mit einer längeren Lebenserwartung zusammenhängt. Das Ergebnis: Menschen, die gelegentlich oder in kleinen Mengen Alkohol trinken, leben statistisch nicht länger als Menschen, die ganz auf Alkohol verzichten. Hinweise aus älteren Studien, wonach ein Glas Wein am Tag gut fürs Herz sei, könnten laut den Forschern auf Schwächen in der damaligen Datenauswertung beruhen.
Außerdem zeigte sich: Bei Frauen steigt das Risiko, früher zu sterben, bereits ab etwa zwei Gläsern Wein pro Tag. Bei Männern lag dieser Anstieg bei etwa drei Gläsern. Je mehr Alkohol konsumiert wurde, desto höher war das Risiko in beiden Gruppen.8

Lange Leben und gesund bleiben – 9 Regeln aus den „Blue Zones“

Ist Rotwein gesünder als Bier?

Wein kann vor Diabetes Typ 2 schützen – unter bestimmten Bedingungen
Das sagt die WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte Ende 2022 klar, dass aus medizinischer Sicht keine noch so geringe Menge Alkohol als unbedenklich gilt. Bereits geringe Mengen können das Risiko für bestimmte Erkrankungen erhöhen. Besonders gut erforscht ist der Zusammenhang mit Krebserkrankungen: Alkohol wird als krebserregend eingestuft – vergleichbar mit Tabak oder Asbest. Schon ein tägliches Glas kann die Wahrscheinlichkeit für Brust- oder Darmkrebs erhöhen. In Europa lässt sich etwa jede zweite alkoholbedingte Krebserkrankung auf einen niedrigen bis moderaten Alkoholkonsum zurückführen. Die WHO betont: Auch kleine Mengen Alkohol stellen ein gesundheitliches Risiko dar.9
Probleme mit Alkohol – wo finde ich Hilfe?
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen liegt ein risikoarmer Alkoholkonsum für Frauen bei 12 Gramm Alkohol pro Tag (ein Achtelliter Wein), bei Männern sind es 24 Gramm (0,5 Liter Bier) pro Tag. Außerdem sollten zwei Tage pro Woche alkoholfrei sein.
Betroffene finden Hilfe bei der Sucht- und Drogen-Hotline: 01805/31 30 31 (rund um die Uhr, 14 Cent/Minute aus dem Festnetz) und beim Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: 0221/89 20 31.
Die Anonymen Alkoholiker bieten deutschlandweit offene Gesprächsrunden und telefonische Beratung an, Infos unter anonyme-alkoholiker.de.