
4. Juni 2025, 20:16 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Intuitiv weniger essen und Kalorien einsparen – durch einen simplen Trick beim Kochen? Laut einer neuen Studie können scharf gewürzte Mahlzeiten tatsächlich eine Strategie zur Kalorienreduktion sein. FITBOOK-Ernährungsexpertin Sophie Brünke erklärt, wie das funktionieren soll.
Essen wir weniger, wenn es scharf schmeckt? Wissenschaftler des Zentrums für sensorische Bewertung der Pennsylvania State University untersuchten, wie sich die Erhöhung des „oralen Brennens“ – des scharfen Geschmacks von Zutaten wie Chilischoten – darauf auswirkt, wie viel man von einer Mahlzeit isst. In drei Laborversuchen mit verschiedenen Gerichten beobachteten sie nicht nur, wie schnell und wie viel gegessen wurde, sondern auch, wie die Teilnehmer Geschmack und Schärfe bewerteten. Die Ergebnisse liefern neue Ansätze für eine appetitregulierende Ernährung – mit einem überraschend einfachen Mittel: Mehr Chili im Essen kann offenbar beim Abnehmen helfen.1
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Übersicht
Kann Schärfe das Essverhalten beeinflussen?
Das Forschungsteam rund um Paige M. Cunningham interessierte sich dafür, wie „orales Brennen“ das Essverhalten beeinflusst. „Wir wissen aus früheren Studien, dass Menschen deutlich weniger essen, wenn sie langsamer essen. Wir vermuteten, dass eine schärfere Mahlzeit Menschen langsamer essen lassen könnte“, sagte Cunningham, Hauptautorin der Studie, in einer Pressemitteilung.2 Ob Schärfe tatsächlich zu einer geringeren Energieaufnahme führt, war bislang jedoch unklar. Ziel der aktuellen Studie war es deshalb, systematisch zu untersuchen, ob und wie stark unterschiedlich scharfe Mahlzeiten die Essgeschwindigkeit und die aufgenommene Nahrungsmenge beeinflussen. Können kleine Mengen scharfer Gewürze die Energiezufuhr reduzieren, ohne dass Geschmack und Genuss beeinträchtigt werden? Diese Frage ist besonders im Hinblick auf Strategien zur Gewichtskontrolle spannend.

Wussten Sie, dass Schärfe kein Geschmack ist?
„Schärfe, oder das ‚orale Brennen‘, wie es die Studienautoren so schön beschreiben, gehört nicht in die Kategorie Geschmack. Schärfe lässt sich also nicht neben süß, salzig und so weiter einordnen. Der in den Chilis enthaltene sekundäre Pflanzenstoff Capsaicin ist verantwortlich für das Brennen im Mundraum. Capsaicin regt die Nerven in der Mundschleimhaut an, die für das Empfinden von Schmerz und Wärme verantwortlich sind. Dementsprechend handelt sich bei Schärfe um eine Schmerzreaktion – und nicht um einen Geschmack! Übrigens: Capsaicin regt auch die Produktion von Magensaft an, wodurch es die Verdauung unterstützt.“
Zwei Mahlzeiten, drei Experimente
Das Team führte drei randomisierte Crossover-Experimente mit insgesamt 130 Erwachsenen durch. Sie bekamen eines von zwei Mittagsgerichten – Rindfleisch-Chili oder Chicken Tikka Masala – entweder in der Variante mild oder scharf serviert. Der Schärfegrad wurde durch sorgfältiges Variieren des Verhältnisses von scharfem und süßem Chilipulver gesteuert, um die Schärfe zu variieren und dennoch gleichzeitig den Chiligeschmack konstant zu halten.
- Experiment 1: Rindfleisch-Chili, mild und scharf
- Experiment 2a: Chicken Tikka, Gesamtmenge an Chili in beiden Varianten gering
- Experiment 2b: Chicken Tikka, Gesamtmenge an Chili wurde erhöht, nicht nur das Verhältnis verändert
Die Portionsgröße lag jeweils bei 650 Gramm, die Teilnehmer mussten jedoch nicht aufessen, sondern konnten stoppen, sobald sie wollten. Während des Essens wurden die Probanden gefilmt, um Essgeschwindigkeit (in Gramm pro Minute) und Gesamtdauer aufzuzeichnen. Vor und nach der Mahlzeit bewerteten die Teilnehmer Schärfe und Geschmack auf einer Skala. So konnten die Studienautoren objektive und subjektive Veränderungen im Essverhalten und der Wahrnehmung erfassen.
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Forscher mussten zur Vorbereitung selbst oft Chicken Tikka essen
Hauptautorin Cunningham erzählt in der Pressemitteilung auch von Schwierigkeiten in der Methodik, so etwa der Rezeptentwicklung. „Die Rezepturen für das Chicken Tikka zu entwickeln, hat lange gedauert. Es waren so viele Testrunden nötig, dass meine Laborkollegen es satt hatten. Aber Wissenschaft ist eben Versuch und Irrtum. Ich habe ein Rezept zubereitet, geschaut, wie weit ich die Schärfe steigern konnte, und wir haben es probiert. Das haben wir so lange gemacht, bis wir ein Niveau erreicht hatten, bei dem der Geschmack auch bei zunehmender Schärfe erhalten blieb.“
Chili half dabei, weniger zu essen
Die Ergebnisse zeigen: Eine erhöhte Schärfe des Essens führte in zwei der drei Experimente zu einer reduzierten Essgeschwindigkeit und geringerer Nahrungsaufnahme.
- Experiment 1 (Beef-Chili): Bei schärferer Würzung aßen die Tester elf Prozent (46 Gramm) weniger als bei der milden Variante. Gleichzeitig aßen die Teilnehmer deutlich langsamer. Die Wahrnehmung der Schärfe war erwartungsgemäß deutlich erhöht, während Geschmack bzw. Genuss unverändert blieb.
- Experiment 2a (Chicken Tikka Masala): Hier ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in der wahrgenommenen Schärfe und der verzehrten Menge.
- Experiment 2b (Chicken Tikka Masala mit mehr Chili): Durch eine erhöhte Gesamtmenge an Chili konnte eine stärkere Schärfewahrnehmung erzeugt werden. Dies führte zu einer 18 Prozent geringeren Nahrungsaufnahme und einer 17 Prozent reduzierten Essgeschwindigkeit, ohne den Geschmack negativ zu beeinflussen.
Insgesamt belegen die Ergebnisse, dass erhöhte Schärfe durch Chili das Essverhalten signifikant verändern kann – und so auch beim Abnehmen helfen könnte.
Teilnehmer waren nicht früher satt, weil sie mehr Wasser tranken
John Hayes, korrespondierender Autor der Studie, erläutert in der Pressemitteilung: „Obwohl die Portionskontrolle nicht das ausdrückliche Ziel dieser Studie war, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass dies funktionieren könnte. Wenn Sie das nächste Mal etwas weniger essen wollen, sollten Sie es mit einem Hauch von Chili versuchen, denn das kann Sie bremsen und Ihnen helfen, weniger zu essen.“ Er ergänzt, dass sich die Wasseraufnahme der Probanden zwischen scharfen und milden Mahlzeiten nicht signifikant unterschied. Dies deutet darauf hin, dass die naheliegende Erklärung, dass die Menschen mehr Wasser tranken und schneller satt wurden, nicht der Hauptgrund dafür war, dass sie weniger aßen. „Aus diesem Grund müssen wir empirische Verhaltensstudien durchführen, denn was man intuitiv erwartet, ist oft nicht der Fall.“
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Studienergebnisse sind besonders relevant für praxisnahe Ernährungsstrategien, die die Energiezufuhr senken sollen, ohne den Geschmack negativ zu beeinflussen. Durch die Zugabe von Chili konnte eine Verhaltensänderung hinsichtlich der Essgeschwindigkeit sowie -menge erzielt werden. Dies spricht dafür, dass sich Schärfe durch Chili dazu geeignet ist, das Sättigungsgefühl früher herbeizuführen – ein potenzieller Ansatz für Menschen, die ihr Gewicht kontrollieren oder abnehmen möchten. Allerdings zeigte sich dieser Effekt nur dann, wenn die Schärfe wie in Experiment 2b tatsächlich als intensiver wahrgenommen wurde. Entscheidend ist also die Dosis.
Zudem scheint die aktuelle Forschung sich bisher nicht einig zum Effekt von Chili auf das Körpergewicht zu sein. Einer Querschnittsstudie aus 2024 zufolge war der häufige Verzehr von Chili – allerdings in Form der Schoten anstatt des Gewürzes – mit einem höheren BMI verbunden (FITBOOK berichtete).
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie wurde mit hohem methodischem Aufwand durchgeführt, inklusive Einsatz von Videoaufzeichnungen und Selbsteinschätzungen der Probanden – dies erhöht die Aussagekraft der Ergebnisse. Auch das Crossover-Design mit denselben Teilnehmern in den Experimenten stärkt die Vergleichbarkeit. Dennoch gibt es Einschränkungen: Die Studienumgebung war ein Labor. Ein Umstand, der das natürliche Essverhalten möglicherweise beeinflusst. Zudem handelte es sich ausschließlich um einmalige Mahlzeiten. Ob sich dieser Effekt langfristig auf die Essgewohnheiten oder das Körpergewicht auswirkt, bleibt offen. Die Studienautoren geben keine Informationen zu Alter, Geschlecht oder BMI der Teilnehmer, was die Generalisierbarkeit einschränken kann. Lediglich bekannt ist, dass Personen zwischen 20 und 60 Jahren teilnehmen durften. Auch bleibt unklar, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen auf erhöhte Schärfe reagieren würden – etwa Menschen mit empfindlichem Magen oder niedriger Toleranz gegenüber Capsaicin, dem aktiven Scharfstoff in Chili.

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Fazit
Diese Studie liefert Hinweise darauf, dass gezielt eingesetzte Schärfe durch Chili die Essgeschwindigkeit und die Nahrungsaufnahme reduzieren kann – ohne dass der Geschmack leidet. Der Effekt trat aber nur dann auf, wenn die Schärfe auch deutlich wahrgenommen wurde. Die Ergebnisse eröffnen neue Wege, wie durch einfache Anpassungen beim Kochen das Essverhalten positiv beeinflusst werden könnte. Ob dieser Ansatz im Alltag langfristig wirksam ist, muss noch erforscht werden.