
16. Juli 2025, 4:03 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Waldbaden – das klingt nach Erholung, Abschalten, ja im wahrsten Sinne nach: BAUMeln lassen. Und das ist es auch. Tatsächlich handelt es sich um eine besondere Therapieform, auch Shinrin Yoku genannt. Bereits in den 80er-Jahren entdeckten japanische Wissenschaftler die heilende Kraft des Waldes. Heute ist „Forest Medicine“ ein eigener, medizinischer Forschungszweig. So richtig erforscht wird der Einfluss des Waldes auf den menschlichen Körper – und damit auf unser Wohlbefinden – über die Grenzen von Japan hinaus jedoch erst seit einigen Jahren. Je mehr Wissenschaftler darüber herausfinden, desto erstaunlicher werden die Erkenntnisse über die heilenden Eigenschaften des Waldes. Ich wollte Shinrin Yoku ausprobieren – und erzähle hier, welche Erfahrungen ich beim Waldbaden gemacht habe.
Übersicht
- Ich möchte erfahren, was Waldbaden mit mir macht
- Wieder mehr wahrnehmen können – auch das soll ein Waldbad bewirken
- Waldbaden – dicht bemooste Stelle ist mein Tauchplatz
- Erfahrung Waldbaden: Nach 30 Minuten fühle ich mich energiegeladen
- Wirkung auf Blutdruck und Stresshormon-Level
- Immunsystem und Hormonhaushalt kommunizieren mit Bäumen
- In Japan wird Shinrin Yoku als Therapie verordnet
- Waldbaden-Erfahrung: Das kleine Glück aus den Bäumen spüre ich noch am nächsten Tag
Ich möchte erfahren, was Waldbaden mit mir macht
Mehr über die heilenden Eigenschaften des Waldes kann man bei einem „Waldtauchgang“ erfahren. Das möchte ich unbedingt, deshalb treffe ich Pia Hötzl, Traumatherapeutin, Heilpraktikerin und professionelle „Waldbademeisterin“ mit eigener Waldpraxis im brandenburgischen Basdorf bei Wandlitz, rund 30 Kilometer nördlich von Berlin gelegen. „Unser Gehirn fühlt sich im Wald zu Hause, weil es darauf ausgelegt ist, viel Grün und ungleichmäßige Muster, also dichtes Blätterwerk zu sehen. Auf die gerade, graue Architektur in den Städten ist es evolutionstechnisch gar nicht eingestellt. Erst recht nicht auf Smartphones und den modernen Stress“, erklärt sie, während wir den Wald betreten.
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Wieder mehr wahrnehmen können – auch das soll ein Waldbad bewirken
Manche Bäume hier sind 300 Jahre und älter. Mit ihnen leben dort Rehe, Wildschweine, Hasen, Dachse, Blindschleichen sowie unzählige Vogel- und Insektenarten. Zwischen den Blättern funkelt die Vormittagssonne. Pia entdeckt einen Tausendfüßler, der von Ameisen umständlich abgeschleppt wird, eine Blindschleiche, die erschrocken den Kopf in den Sand steckt, eine kleine, blau-weiß gestreifte Feder im Moos. Ich hätte das alles nicht gesehen und wäre achtlos vorbeigegangen. Wieder mehr wahrnehmen können – auch das soll ein Waldbad bewirken.
Waldbaden – dicht bemooste Stelle ist mein Tauchplatz
Nach einigen Minuten gemütlichen Schlenderns kommen wir an eine mit Kiefern, Buchen und dicht bemooste Stelle. Ein herrlich schönes Fleckchen Postkarten-Wald. Dies soll mein Tauchplatz sein. „Stell dir vor, du bist ein Kind und zum ersten Mal im Wald. Staune, schaue dir alles ganz genau an, fühle, rieche, höre genau hin. Sei langsam dabei“, sagt die Waldtherapeutin zu mir. Dann geht es los. Ich grabe mit den Händen in den moosigen Boden, rieche den typisch erdigen Geruch, fühle die Weichheit der Blätter, erkenne in ihren feinen Maserungen abstrakte Bilder.
Erfahrung Waldbaden: Nach 30 Minuten fühle ich mich energiegeladen
Behutsam taste ich mich Schritt für Schritt weiter, blicke hoch in die ächzenden Baumkronen, zerbrösele morsches Holz, finde Spinnennetze auf einmal schön und genial, genau wie den klumpigen, rotbraunen Baumpilz. Ganz schön viel los hier! Mir fallen immer mehr Details auf. Ich bin so tief in die Waldwelt eingetaucht, dass ich mich selbst dabei völlig vergesse. Das Gedankenkarussell stoppt, ich bin ganz im Hier und Jetzt. Als ich nach einer halben Stunde wieder auftauche, fühle ich mich richtig energiegeladen. Und ja, glücklich!
Wirkung auf Blutdruck und Stresshormon-Level
Ein medizinischer Check, sagt Pia Hötzl, würde jetzt ergeben, dass mein Blutdruck sich reguliert hat, das Stresshormon-Level deutlich gesunken ist, der Anteil der Endorphine dagegen deutlich gestiegen ist. Gleichzeitig weise das Immunsystem einen höheren Anteil krebshemmender Killerzellen auf. Wie kommt das? „Du hast dich mit dem Wald verbunden“, erklärt Pia.
Der Begriff „Shinrin-Yoku“ wurde 1982 vom japanischen Forstministerium eingeführt, um die Bevölkerung zu ermutigen, sich durch Aufenthalte im Wald zu entspannen und die Gesundheit zu fördern. Allerdings fehlten damals wissenschaftliche Belege für die gesundheitlichen Vorteile dieser Praxis. Das änderte sich mit Professor Quing Li, ein führender Experte auf dem Gebiet der Waldmedizin („Forest Medicine“) und des Waldbadens („Shinrin Yoku“) in Japan.
Li fand heraus, dass Bäume über chemische Botenstoffe, sogenannte Terpene miteinander „sprechen“. Sie teilen anderen Pflanzen und Pilzen mit, wo gerade ein Schädling hochkrabbelt, wodurch sie ungenießbare Substanzen in die Blätter pumpen. Durch die Terpene versorgen und beschützen die großen Bäume auch ihren Nachwuchs. Und genau diese chemischen Stoffe würden durch die Lungen in unseren Körper eindringen und beginnen, dort zu wirken.
Inzwischen zeigen mehrere Studien, dass Natur- und Waldtherapie insgesamt stressreduzierende Wirkungen aufweisen und besonders geeignet sind, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Atemwege entgegenzuwirken. Die Hochschulambulanz für Naturheilkunde der Charité-Universitätsmedizin Berlin am Immanuel Krankenhaus Berlin forscht etwa zu dem Thema.
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Immunsystem und Hormonhaushalt kommunizieren mit Bäumen
„Das menschliche Immunsystem und der Hormonhaushalt sprechen genau genommen ‚waldisch’, wir kommunizieren unterbewusst mit den Bäumen“, sagt Pia Hötzl. Das klingt esoterisch – ist es aber nicht, denn dieser Effekt sei physikalisch messbar. Tatsächlich ist das Eingeklinkt-Sein in das chemische Waldgeplapper unser Urzustand. Andere würden es als ein Gefühl, Teil des großen Ganzen zu sein, beschreiben. Kein Wunder, dass jeder Mensch sich nach Natur sehnt. Denn Biophilia – die Liebe zum Lebendigen – ist angeboren. Wird der Sehnsucht nachgegangen, entsteht Glück. Und wer glücklich ist, ist weniger anfällig für Krankheiten.
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In Japan wird Shinrin Yoku als Therapie verordnet
In Japan wird Shinrin Yoku, wie Waldbaden dort heißt, jährlich fünf Millionen gestressten Großstädtern als medizinische Therapie verordnet. Hierzulande steckt das Konzept noch in den Kinderschuhen, findet aber immer mehr Anhänger. Die Deutschen haben nicht erst seit den Märchen der Gebrüder Grimm eine besondere Beziehung zu ihrem Wald. Und sie sind zu Recht aufgebracht, wenn es ihm an den Kragen geht.

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Waldbaden-Erfahrung: Das kleine Glück aus den Bäumen spüre ich noch am nächsten Tag
Die Kraft des Waldes geht noch viel weiter: „Er lehrt uns Demut, macht uns achtsamer, gelassener, stressresistenter und hält ein zu großes Ego in Schach. Obendrein ist zielloses, gedankenverlorenes Durch-die-Büsche-Trödeln ein wichtiger Gegenpol zu unserem viel zu schnellen, stets zielgerichteten Alltag“, sagt Pia Hötzl. Klar, man muss sich einlassen können und erst wieder lernen, wie es ist, mit Kinderaugen um sich zu blicken. Doch der Wald wirkt. Und sogar nachhaltig. Das kleine Glück aus den Bäumen spüre ich noch am nächsten Tag.
Pia Hötzl ist Traumatherapeutin, Coach und Heilpraktikerin für Psychologie und bietet im Naturpark Barnim bei Berlin regelmäßig geführte Waldtauchgänge an. Während der Walderfahrung können auch bestimmte Themen psychotherapeutisch begleitet werden.