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Anka litt 3 Jahre an Essattacken

Ex-Binge-Eaterin: „Hatte Angst, nicht satt zu werden“

Binge-Eating Erfahrung
Anka war drei Jahre lang Binge-Eaterin. Heute hat die Veganerin ein normales Verhältnis zum Essen. Foto: Privat
Lisa Neumann

10.11.2020, 21:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Drei Jahre lang war Anka Binge-Eaterin – hat Unmengen Nahrung zu sich genommen und ist häufig mit Bauchschmerzen ins Bett gegangen. Bis sie 2018 die Reißleine zog und der Krankheit den Kampf ansagte.

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Anka hängt über Kopf an Seilen, die von der Turnhallendecke baumel. Sie sollte aus eigener Kraft eine Rolle machen, schafft es aber nicht. „Das ist mit deinem Gewicht ja auch nicht so einfach“ – der abwertende Kommentar ihrer Grundschullehrerin war nur einer von vielen. Blöde Bemerkungen über ihre Figur, das war lange Ankas Alltag.

„Ich war immer ein bisschen moppelig“, erinnert sie sich. Bis zur Volljährigkeit habe ihr Gewicht zwischen 73 und 82 Kilogramm geschwankt. Übergewicht, das bei ihr zu einem Unsicherheitsgefühl führte – und dem sie damals gemeinsam mit einer Freundin den Kampf ansagte: 1000 bis 1200 Kalorien täglich war ihr selbst auferlegtes Programm. „Wenn man so verzweifelt ist, greift man zu allen Mittel“, sagt sie. „Es ging so weit, dass wir kein Öl mehr an den Salat gemacht und sogar zuckerfreies Kaugummi verschmäht haben.“ Bei der Freundin purzelten die Pfunde – bei Anka zunächst auch, sie verlor zwölf Kilogramm. Als ihre Gewichtsabnahme stagniert, geht Anka mit der sogenannten „HCG“-Diät, bei der nur noch 500 Kalorien pro Tag aufgenommen und ein Schwangerschaftshormon eingenommen werden, einen Schritt weiter.

Anka spricht über die Erfahrung mit Binge-Eating

Dieser Schritt ist bei Anka der Auslöser für eine schwere Essstörung, die sie drei Jahre fest im Griff haben wird. Wie sehr sie darunter litt, wie sie den Weg heraus aus dem Teufelskreis geschafft hat und was sie anderen Betroffenen rät, darüber hat FITBOOK mit der heute 23-jährigen Erzieherin gesprochen.

Durch die brutale eingeschränkte Kalorienzufuhr bei der HCG-Diät bekam Anka Heißhungerattacken. „Es war ein Teufelskreis. Morgens hab ich darauf geachtet, was ich esse und nachmittags habe ich gebinged.“

Binge steht im englischen für „Gelage“. Personen mit einer Binge-Eating-Disorder (BED) schlingen regelmäßig und völlig unkontrolliert große Nahrungsmengen in sich hinein. Auch bei Anka, die als Erzieherin arbeitet, werden die Essattacken zur krankhaften Sucht.

Vor der Arbeit frühstückte sie, hielt auf dem Weg dorthin beim Bäcker an, kaufte drei Brötchen, aß mit den Kindern in der Mittagspause, aß zusätzlich noch eine Portion alleine, aß auf dem Heimweg, um zu Hause nochmal Abendbrot zu machen. Wenn sie sich mit Freunden traf, war sie davor und danach im Supermarkt und verschlang das Essen schon im Auto. „Ich hatte Angst, dass ich nicht satt werde“, versucht Anka das Gefühl zu beschreiben, wenn sie essen wollte. Eine „innerliche Unruhe“ habe sie umgetrieben. Erst das Essen habe sie beruhigt. Der Genuss war ihr egal: „Hauptsache rein, egal wie es schmeckt.“

Ärztin hat Erfahrung mit Binge-Eating

Laut Elisabeth Rauh, Fachärztin für Psychosomatik, wird eine Binge-Eating-Disorder meist von einer ganzen Reihe verschiedener Einflüsse ausgelöst. Diäten spielen als Auslöser von Fressanfällen ebenso mit wie psychische, familiäre Probleme und Sorgen. Auch die Genetik könne eine Rolle spielen. Nach einer Essattacke befallen viele Betroffene Schuldgefühle oder sie fühlen sich deprimiert. Auch Anka kennt dieses Gefühl.

In ihrer, wie sie selbst sagt, „schlimmsten Phase“ der Essstörung, wog Anka 97 Kilogramm. Adipositas. Ihr Umfeld hätte sie auf ihr Gewicht selten und wenn, dann „eher beiläufig“ angesprochen. Sie selbst hat es an ihrer Kleidergröße gemerkt. „Ich hatte Größe 38, dann 44, dann 46.“ Ihre Haut wurde schlechter, sie bekam Pickel und ging nicht selten mit Bauchschmerzen ins Bett. Zwar hätte es Phasen gegeben, in denen die Heißhungerattacken seltener waren; aber Stress und private Sorgen warfen sie immer wieder zurück. Gespräche mit ihrer Mutter hätten nicht geholfen. Und Bücher über ihre Krankheit hätte sie damals, 2015, vergeblich gesucht.

Der Wendepunkt bei Anka

Nach drei Jahren wird Anka klar, dass sie ihre Heißhungerattacken nicht alleine in den Griff bekommen kann – ihr Essverhalten, das merkt sie selbst, ist nicht normal. Sie sucht das Gespräch mit ihrem Hausarzt. Dieser verweist sie an eine Psychologin, die ihr zu einer stationären Behandlung rät. Anka folgt ihrem Rat. Ihre damals größte Hoffnung: „Die Anfälle endlich in den Griff kriegen.“

Zu ihrer Therapie gehörte neben Einzel- und Gruppengesprächen auch eine Tanz- und Maltherapie, bei der sie aufs Papier bringen sollte, was sie innerlich fühlt. Außerdem gab es gemeinsame Kochstunden und eine Ernährungsberatung. Ein normales Essverhalten soll aufgebaut werden, so Psychotherapeutin Rauh. Ganz reibungslos war das zunächst nicht: Anka hatte immer einen Snack in ihrer Tasche.

Anka berichtet von zwei Schlüsselmomenten, in denen sie alles herausgelassen und gemerkt habe, „dass da was arbeitet“: „Jeder sollte erzählen, wie er sich fühlt“, beginnt sie ihre Erzählung. „Ich fühlte mich schrecklich und ekelhaft.“ Anka weinte. Der zweite Schlüsselmoment sei ein Body-Scan gewesen, bei dem sie jeden Part ihres Körpers mit geschlossen Augen berühren sollte. „Meine Beine anzufassen war noch okay“, erinnert sich Anka. Als sie an ihrem Bauch ankommt, weint sie abermals. „Ich hab mich einfach so vor mir selbst geekelt“, sagt Anka.

Anka auf dem Weg der Besserung

Besonders das regelmäßige Essen in der Klinik (es gab drei feste Mahlzeiten und zwei Snacks) habe ihr dabei geholfen, nicht mehr so viele Essanfälle wie früher zu bekommen, sagt Anka. Doch die „besten Fortschritte“ hätte sie nach dem Klinikaufenthalt gemacht: Bei „sechs bis sieben“ Sitzungen beim Therapeuten, die, wie auch Elisabeth Rauh bestätigt, auf einen Klinikaufenthalt folgen.

Seitdem komme sie alleine zurecht und achte auf ihre „Trigger“: Weißes Toastbrot sowie gezuckerte Cornflakes? Kauft sie nicht mehr. „Das würde ich sofort aufessen.“ Bei Süßigkeiten greift sie zu kleinen Packungen: „Da trickse ich mich selbst ein bisschen aus.“ Was ihr noch helfe: Seit vier Monaten ernährt sich die 23-Jährige vegan. Dann könne sie eh nicht mehr alles essen, sagt sie und fügt hinzu: „Und wenn ich weiß, wofür ich das mache (sich vegan ernähren, Anm. Red.), dann binge ich auch nicht.“

Anka ist nach eigenen Angaben seit zwei Jahren keine Binge-Eaterin mehr. Ihr Verhältnis zum Essen beschreibt sie als „normal“. Anka treibt regelmäßig Sport und macht eine Ausbildung zur Yogalehrerin. Doch ihren Kampf gegen die Essstörung führt sie weiter – denn die 23-Jährige stört sich daran, dass die Essstörung so wenig thematisiert wird.

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Anka spricht über Erfahrung mit Binge-Eating bei Instagram

Es liegt vielleicht auch daran, dass man es nicht sieht: „Du bist einfach irgendwann dick. Die anderen sehen nicht, dass du krank bist.“ Deshalb hat sich Anka dafür entschieden, offen damit umzugehen, auch, um Betroffenen zu helfen. Auf ihrem Blog und bei Instagram berichtet sie als „recovering_anka“ von ihrer Erfahrung mit Binge-Eating und dem Leben nach der Essstörung.

Anka ist es wichtig zu betonen, dass Binge-Eating nicht hoffnungslos sei. Das habe sie damals gedacht. „Aber man kann sich selbst wieder lieben und akzeptieren“, unterstreicht sie ihre Haltung. Abgenommen hat sie nicht – aber das mache nichts. Sie sei nun ein anderer Mensch, weil sie sich so akzeptiert, wie sie ist.

Themen Nahrungsergänzungsmittel Psychologie
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