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Interview mit dem Chronobiologen Dr. Satchin Panda

»Ärzte übersehen häufig eine wichtige Ursache für viele Krankheiten

Der zirkadiane Rhythmus: Die innere Uhr in unserem Körper
Stress, Licht, Schichtarbeit – in modernen Gesellschaften leben immer mehr Menschen nicht mehr nach ihrer inneren Uhr. Dies steigert laut dem Chronobiologen Dr. Satchin Panda das Risiko für viele chronische Krankheiten Foto: Getty Images, Collage: FITBOOK
Nuno Alves
Chefredakteur

21.04.2021, 18:08 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Schlafstörungen, Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Fettleber, Herzkreislauferkrankungen, psychische Probleme – laut Dr. Satchin Panda hängen viele dieser Leiden damit zusammen, dass wir nicht im Takt mit unserer inneren Uhr leben. Der renommierte Chronobiologe und Professor am kalifornischen Salk Institute gilt als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Erforschung des zirkadianen Rhythmus.

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Dieser innere Taktgeber beeinflusst eine Vielzahl von Prozessen in unserem Körper. In einer dreiteiligen Interview-Serie sprach FITBOOK mit Dr. Panda über den zirkadianen Rhythmus und wie die Gesundheit davon profitiert, die innere Uhr wieder in den Takt zu bringen. In Teil 1 geht es die gesundheitlichen Risiken von Schichtarbeit.

FITBOOK: Herr Dr. Panda, Sie forschen zum zirkadianen Rhythmus, erklären Sie uns doch bitte, um was es sich dabei handelt.
Dr. Satchin Panda: „Der zirkadiane Rhythmus ist ein internes Zeiterfassungssystem, das unserem Körper sagt, zu einer bestimmten Tages- oder Nachtzeit gewisse Dinge zu tun. Wir alle haben einen zirkadianen Rhythmus. Und wir müssen bestimmte Dinge zu einer bestimmten Zeit tun. In der heutigen Zeit schlafen, essen und tun wir auch sonst vieles, was nicht an unseren zirkadianen Rhythmus angepasst ist. Ein einfaches Beispiel: Wenn wir von einer Zeitzone in die nächste fliegen, verharrt unser zirkadianer Rhythmus für einige Tage in der alten Zeit. In der neuen Zeitzone unterscheiden sich dann äußere und innere Zeit. Dann merken wir, dass wir nicht im Takt mit unserem zirkadianen Rhythmus sind.“

Die gesundheitlichen Folgen, wenn wir unseren zirkadianen Rhythmus ignorieren

Was passiert, wenn wir aus dem Takt bleiben?
„Wenn wir den zirkadianen Rhythmus für mehrere Tage ignorieren, beispielsweise, weil wir abends lange wach bleiben, bis spät arbeiten oder mit Freunden abhängen, fühlen wir uns gereizt oder kraftlos, vielleicht sogar etwas benebelt. Das wird wahrscheinlich zunächst nur unsere Produktivität beeinträchtigen.“

Das kennt sicher jeder von uns…
„Menschen, die längere Zeit aus dem zirkadianen Rhythmus ausbrechen – zum Beispiel Schichtarbeiter oder Studenten, die sich auf Prüfungen vorbereiten –, fühlen sich nach einigen Wochen möglicherweise depressiv und verlieren das Interesse am sozialen Leben. Außerdem leiden sie unter Umständen unter Magenproblemen und einem Reizdarm.“

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Was sind mögliche Folgen, wenn man über Jahre hinweg seine innere Uhr ignoriert?
„Nach einigen Monaten und Jahren steigert sich das Risiko für chronische Krankheiten wie neurodegenerative Erkrankungen, Depressionen, innere Unruhe und andere Störungen. Es kann sogar Auslöser für das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom sein. Darüber hinaus steigert sich das Risiko für metabolische Krankheiten wie Diabetes, Fettleber, erhöhte Cholesterinwerte und Herzkreislauferkrankungen. Es kann sogar das Risiko für Krebs erhöhen.“

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»Wir müssen Ärzte über die Wichtigkeit des zirkadianen Rhythmus aufklären

Mittlerweile scheinen auch immer mehr Untersuchungen diese Risiken zu bestätigen…
„Tatsächlich hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Prüfung mehrerer Studien unterschiedlicher Autoren aus verschiedenen Ländern den Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebsrisiko erkannt und entschieden, Schichtarbeit als potenziell krebserregend einzustufen. Das ist alarmierend, weil es im Kern bedeutet, dass ein chronisches Ignorieren des zirkadianen Rhythmus zu derart verheerenden Erkrankungen wie Krebs führen kann.“

Dennoch betrachten die meisten Ärzte eine Störung im zirkadianen Rhythmus noch nicht als mögliche Ursache für viele Erkrankungen. Warum?
„Ein Grund ist, dass viele Erkenntnisse rund um die Störung des zirkadianen Rhythmus und ihrem Zusammenhang mit Krankheiten neu sind. Viele der heute praktizierenden Ärzte, die ihre Ausbildung vor zehn, 20 oder 30 Jahren gemacht haben, hatten keine Gelegenheit, sich mit dem Thema zu beschäftigen, weil das Wissen über den Einfluss der zirkadianen Rhythmen nicht existierte. Wir müssen sie auf den neuesten Stand bringen und über die Wichtigkeit aufklären.“

Hintergrund: Dr. Satchin Pandas Forschungsarbeit
Der Chronobiologe ist gemeinsam mit seinem Team am Salk Institute in Kalifornien für einige bahnbrechende Ergebnisse auf dem Gebiet der Erforschung zirkadianer Rhythmen verantwortlich. Dazu zählen u. a. die Entdeckung der Rolle des lichtempfindlichen Proteins Melanopsin in der Netzhaut bei der Regulierung des Schlaf-Wach-Zyklus sowie die möglichen positiven gesundheitlichen Effekte einer zeitlichen Begrenzung der Nahrungsaufnahme (Time-restricted eating) auf acht bis zwölf Stunden am Tag – eine Art des Intervallfastens. Panda ist zudem Autor des Buches „Der Zirkadian-Code: Erholsam schlafen, Gewicht reduzieren, gesund sein. So leben Sie im Einklang mit Ihrer inneren Uhr“.

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„Wie können wir Schichtarbeit besser gestalten?“

Kann man etwas tun, um die negativen Folgen von Schichtarbeit zu minimieren?
„Als moderne Gesellschaft sind wir auf Schichtarbeiter angewiesen. Die Frage ist also: Wie können wir die Schichtarbeit besser gestalten? Ein Ansatz könnte sein, dass man Schichtarbeiter über einen längeren Zeitraum von mehreren Wochen in der gleichen Schicht einsetzt, sodass sie und ihr Körper sich besser anpassen können. Zudem sollten Ärzte sich des zirkadianen Rhythmus bewusst sein. Gelegentlich fragen sie, welches Essen wir zu uns nehmen und ob wir Sport treiben, entsprechend könnten sie auch fragen: Wann gehen Sie ins Bett? Arbeiten Sie im Schichtbetrieb?“

Es hat den Anschein, als werde auch insgesamt noch zu wenig zu den Auswirkungen von Schichtarbeit geforscht…
„Leider werden Schichtarbeiter bei den meisten Studien nicht betrachtet. Das ist aber insofern wichtig, als in hoch entwickelten Ländern wie Deutschland bis zu 25 Prozent der Erwachsenen im Schichtbetrieb tätig sind. Hinzu kommen all jene, die nicht als Schichtarbeiter betrachtet werden, aber tatsächlich so leben, weil sie ihren Alltag an jemanden in ihrem Haushalt angepasst haben, der im Schichtbetrieb arbeitet. Somit verbringen circa 30 bis 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mindestens fünf Jahre ihres Lebens im Schichtbetrieb. So gesehen ist es ein ernstzunehmendes Thema, dass die meisten klinischen Studien die Schichtarbeiter nicht berücksichtigen.“

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Dr. Satchin Panda
Dr. Satchidananda Panda, Chronobiologe undProfessor am kalifornischen Salk Institute Foto: privat

Lassen Sie uns über Ihre Person sprechen: Wann sind Sie gestern ins Bett gegangen und heute aufgestanden?
„Ich bin um etwa 23 Uhr ins Bett gegangen und heute Morgen um 6 Uhr aufgewacht. Es gibt aber Zeiten, da schlafe ich nur drei bis vier Stunden, zum Beispiel wenn ich viel reise und in verschiedenen Zeitzonen unterwegs bin.“

Wie gelingt es Ihnen, dennoch im Einklang mit Ihrem zirkadianen Rhythmus zu bleiben?
„Der Lebensstil definiert sich darüber, wie viel wir täglich schlafen, essen und uns bewegen – und das entscheidet über unsere Gesundheit. Wenn ich reise und entsprechend nicht ausreichend schlafe, versuche ich, mich auf Bewegung und Essen zu fokussieren. Zum Beispiel versuche ich zu gewährleisten, mindestens 10.000 bis 15.000 Schritte zu gehen. Beim Essen achte ich darauf, dass ich nicht zu viel esse – und das in einem Zeitfenster von acht bis zehn Stunden, damit ich eine lange Fastenperiode habe. Indem ich meinem Körper eine Auszeit gebe, helfe ich ihm dabei, mit der Störung des zirkadianen Rhythmus zurechtzukommen.“

Lesen Sie in Teil 2 der Interview-Reihe mit Dr. Satchin Panda über die gesundheitlichen Vorteile einer zeitlichen Begrenzung der Nahrungsaufnahme – eine Art des Intervallfastens – sowie das richtige Licht-Management für unsere innere Uhr.

Themen Interview Schlaf
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