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Studien

Wie viel Bewegung kann die negativen Auswirkungen von viel Sitzen ausgleichen?

Bewegung statt Sitzen
Bewegung ist wichtig – doch wie viel ist nötig, um langes Sitzen auszugleichen? Foto: Getty Images

25.10.2023, 21:02 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Wie viel Bewegung ist nötig, um einen Tag im Sitzen auszugleichen? Das haben internationale Studien untersucht. Die schlechte Nachricht für Stubenhocker: Die viel zitierten 30 Minuten Bewegung reichen meist leider nicht.

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Bei einem Großteil der Jobs sitzen Menschen acht Stunden oder mehr. Kommt dann noch ein fauler Abend auf der Couch hinzu, werden es schnell elf Stunden. Nun heißt es nach der üblichen Formel, dass 30 Minuten Bewegung pro Tag – oder 150 Minuten die Woche – gesund seien und ausreichen würden, um den durch das viele Sitzen hervorgerufenen Bewegungsmangel wieder auszugleichen. Doch stimmt das wirklich? Diesbezüglich kommen Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen.

Kann Bewegung langes Sitzen ausgleichen?

Das Ergebnis einer aktuellen Studie: Ja, kann man. Zumindest, wenn es darum geht, einer erhöhten Sterblichkeit vorzubeugen, und man sich mindestens 22 Minuten täglich bewegt. Zu diesem Ergebnis kamen norwegische Forscher, die die Daten aus vier verschiedenen Kohortenstudien (aus Norwegen, Schweden und den USA) ausgewertet haben.

Daten von rund 12.000 Personen analysiert

Die Analyse der Wissenschaftler basierte auf Daten von insgesamt 11.989 Teilnehmern aus den genannten vier internationalen Forschungsprojekten. Etwas mehr als die Hälfte (50,5 Prozent) waren weiblich und verbrachten den Tag überwiegend sitzend. Das Alter der Probanden lag bei 50 Jahren und älter. Die Daten zu ihrem Aktivitätslevel (moderat bis intensiv) waren mithilfe von Hüftbeschleunigungsmessern erhoben worden.1

Sitzen nicht so schlimm wie gedacht?

Die wohl erstaunlichste Erkenntnis: Mehr als zwölf Stunden sitzen – das höchste Maß an Sitzdauer bei den Probanden – war nur dann mit einem Sterberisiko verbunden, wenn die betroffenen Personen sich zudem weniger als 22 Minuten täglich bewegten. Wobei selbst weniger Minuten täglich das Risiko senkten, gleich Null war es bei 22 Minuten.

Weniger überraschend zeigte sich, dass ein höheres intensiver Maß an Bewegung das Sterberisiko im entsprechenden Maße senkt. Weniger sitzen hatte zwar auch einen Effekt, aber keinen vergleichbar großen. So war z. B. ein tägliches Maß an intensiver körperlicher Betätigung von 10 gegenüber 0 Minuten über das gesamte Spektrum der sitzenden Tätigkeit hinweg mit einem um 28 bis 55 Prozent geringeren Mortalitätsrisiko verbunden. Das geringste Risiko zeigte sich tatsächlich bei 10 Stunden sitzender Tätigkeit.

Studienautor Edvard Sagelv von der Arctic University of Norway fasst die Studienergebnise laut „Sky News“: „Bei 22 Minuten (Bewegung, A. d. R.) wurde das höhere Sterberisiko durch sitzende Tätigkeiten aufgehoben. Das heißt, wenn man sich 22 Minuten oder mehr pro Tag bewegt, gibt es kein erhöhtes Risiko durch sitzende Tätigkeiten. Und bei mehr als 22 Minuten pro Tag war das Sterberisiko insgesamt geringer. Im Grunde gilt: je mehr, desto besser.“

Einordnung der Studie

Was die norwegische Studie gut verdeutlicht: Selbst wenig Bewegung lohnt sich. Statt also zu denken, ich habe heute keine Stunde Zeit, dann lass ich es lieber ganz, sollte man lieber kürzer joggen, tanzen, Yoga machen oder wie auch immer man sich gerne bewegt. Selbst den Puls hochtreibende Aktivitäten wie Putzen kann Effekte haben.

Dass sehr langes Sitzen langfristig das Sterberisiko nicht erhöht, klingt dagegen fast zu schön um wahr zu sein. Eine Schwäche der Studie liegt darin, dass sie nicht ausschließen kann, dass andere Faktoren wie z. B. Ernährung eine Rolle gespielt haben. Außerdem haben die Forscher den Fokus rein auf das Sterberisiko gelegt. Sie können daher nicht ausschließen, dass viel Sitzen – ob bei wenig oder viel Bewegung – langfristig der Gesundheit schadet, auch ohne zum einem verfrühten Tod zu führen.

Diesbezüglich lieferte eine Studie aus dem Jahr 2022 interessante Erkenntnisse. Sie betrachtete die Auswirkung von viel Sitzen auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit.

Sitzen, Bewegung und Herz-Kreislauf-Gesundheit

30 Minuten Bewegung täglich oder 150 Minuten in der Woche gleichen Sitzen aus? Falsch, meinen die Verantwortlichen einer Studie von 2021. Vielmehr kommt es auf das richtige Gleichgewicht zwischen sportlicher Betätigung und normaler Alltags-Aktivität an.

Das übergeordnete Ziel der Studienautoren war es, herauszufinden, wie sich das Verhältnis von inaktiver bzw. sitzender Zeit und aktiven Phasen der Bewegung mit der kardiometabolischen Gesundheit auswirkt. Mit anderen Worten: Wie viel Sitzen ist in Ordnung und wie viel Bewegung ist nötig für ein gesundes Herz-Kreislauf-System? Diese ermittelten sie anhand von Markern wie Blutzuckerspiegel, Insulinspiegel, Cholesterin und Körperfett.

Untersuchung mit 3702 Probanden

Teilnehmer der finnischen Studie waren 3702 Personen, die im Jahr 1966 geboren und zum Zeitpunkt der Untersuchung 46 Jahre alt waren. Diese wurden mit einem Beschleunigungsmesser ausgestattet, den sie durchgehend an sieben aufeinanderfolgenden Tagen trugen. So zeichneten die Wissenschaftler auf, wie viel Zeit die Probanden täglich saßen und wie viel sie sich bewegten. Die Phasen der Bewegung unterschieden sich dabei noch in leicht bis moderat und moderat bis intensiv. Darüber hinaus erfassten die Forscher die Herzfrequenz und fragten die Schlafdauer der Studienteilnehmer ab.2

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„Aktive Stubenhocker“ schnitten am schlechtesten ab

Anhand der Daten zum Sitzen und zur Bewegung teilten die Wissenschaftler die Probanden in vier Gruppen auf:

  • Aktive Stubenhocker
  • Probanden, die viel sitzen, sich aber auch leicht bis moderat bewegen
  • Probanden, die viel sitzen und trainieren
  • Personen, die sich viel bewegen

Bei den „aktiven Stubenhockern“ handelte es sich um die Gruppe, die sich ausreichend (30 Minuten pro Tag bzw. 150 Minuten pro Woche) bewegte, aber auch am meisten saß (durchschnittlich zehn Stunden). Ihr Sport zeichnete sich zudem durch die geringste Intensität aus. Die anderen beiden sitzenden Gruppen bewegten sich bei leicht bis moderater Intensität und mehr. Die „Probanden, die viel sitzen, sich aber auch leicht bis moderat bewegen“ zeichneten sich durch 300 Minuten leichter Bewegung am Tag aus. Die „Probanden, die viel sitzen und trainieren“ bewegten sich täglich bis zu 60 Minuten bei höherer Intensität.

Ein Unterschied zeigte sich auch in den erwähnten Markern der kardiometabolischen Gesundheit. Sie waren bei den beiden zuletzt genannten Gruppen niedriger und damit gesünder als bei den „aktiven Stubenhockern“.

Mehr Bewegung, weniger sitzen, gesünder leben

Auch nach Berücksichtigung weiterer Faktoren, die auf die kardiometabolischen Gesundheit einwirken kann, sowie der Daten zum Schlaf zeigte sich: Wer täglich auf mehr Bewegung bei leichter bis mittlerer Intensität achtet und weniger Zeit im Sitzen verbringt, lebt gesünder.

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Studie von 2021 untersucht, ob und wann 30 Minuten Bewegung täglich ausreichen

Daten von 130.000 Erwachsenen zwischen 4 und14 Jahre analysiert

Auch eine Untersuchung von 2021 beschäftigte sich mit der Frage, wie viel Bewegung täglich ein hohes Maß an Sitzen ausgleichen und damit gesund halten kann.3 Dafür analysierten Forschende der Universität Glasgow Daten sechs verschiedener Studien. Diese beinhalteten Langzeitbeobachtungen mit einer Dauer zwischen 4 und 14 Jahren, welche von mehr 130.000 Erwachsenen aus Schweden, Großbritannien und den USA stammen. Bei allen Studien kam pro Teilnehmer ein Monitor zur Erfassung der körperlichen Arbeit zum Einsatz, um Bewegung und Sitzzeit im Verlauf des Tages zu messen. Ebenso erfassten die Forschenden sämtliche Todesfälle.

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Wann 30 Minuten Training ausreichen

Die Wissenschaftler stellten fest, dass 30 Minuten tägliches Training in den meisten Fällen nicht ausreicht, um das Sterberisiko maßgeblich zu senken (verglichen mit Menschen, die mehr als das tun). Es sei denn, die betroffene Person sitzt deutlich weniger als sieben Stunden pro Tag und ist auch sonst überdurchschnittlich aktiv (Treppen steigen, zu Fuß Einkaufen, mit Kindern spielen etc.). In diesem Fall reiche die Menge tatsächlich aus, um das Risiko eines frühen Todes um 80 Prozent zu senken. Für Menschen, die länger sitzen, sei weit mehr Bewegung erforderlich, um den gleichen Effekt zu erzielen. Diese Studie kam also zu einem Ergebnis, das den Erkenntnissen der neuen Studie aus Norwegen klar widerspricht.

Wie viel Bewegung gleicht einen Tag im Sitzen aus?

Um nachvollziehen zu können, wie viel Bewegung nötig ist, um langes Sitzen auszugleichen, stellen die Forschenden folgendes Beispiel auf: Eine Person, die zwar zehn Stunden am Tag sitzt, aber zusätzlich täglich 30 Minuten Sport treibt und weitere sechs Stunden mit Hausarbeit und Co. beschäftigt ist, habe das gleiche, geringe Todesrisiko wie jemand, der täglich 55 Minuten trainiert, sich vier Stunden leicht bewegt und elf Stunden sitzt. Man kann sich diese Mischung aus leichter Aktivität, Sport und Sitzen als „Cocktail“ vorstellen. Mit anderen Worten: Jede Art von Bewegung trägt dazu bei, die Schäden des Sitzens auszugleichen.

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Wie berechnet man den persönlichen Bewegungsbedarf?

Die Forschenden geben noch eine weitere Formel mit auf den Weg, welche helfen kann, den persönlichen Bewegungsbedarf auszurechnen: Sechs Minuten leichte Aktivität entsprechen einer Minute sportliches Training. Um also den Effekt eines 30-minütigen Fitnesstrainings zu erreichen, müsste man drei Stunden kleinere Alltagsarbeiten erledigen. Dies ist allerdings einfacher zu schaffen, als die meisten vermuten. Der „Trick“ ist nämlich schlicht und einfach, nicht zu sitzen.

Ein gesunder Lebensstil ist mehr als nur Sport

Der Blick auf die aktuelle Studienlage zeigt: Es gibt keine sichere Antwort auf die Frage, wie viel Bewegung Sitzen ausgleicht. Die neueste Studie zeichnet ein recht ein positives Bild, in dem Bewegung von Vorteil ist, Sitzen zugleich aber weniger Nachteile zu bringen scheint, als gedacht. Andere Studienergebnisse liefern jedoch Hinweise dafür, dass ein gesunder und aktiver Lebensstil mehr ist, als nur täglich 30 Minuten Sport zu treiben.

Zum einen reichen diese 30 Minuten offenbar nicht aus, wenn man ansonsten nur sitzt. Zum anderen gibt es viele Möglichkeiten, die Gesundheit aufrechtzuerhalten und man braucht dafür weder Fitnessstudio noch teure Sportgeräte. Wichtig ist es, in Bewegung zu bleiben. Sei es durch Aufräumen, Kochen mit Freunden, ein Tänzchen zum Lieblingssong im Wohnzimmer oder Stöckchen werfen für den Hund. Dennoch sollte man bei aller Aktivität auf genügend Schlaf achten. So kam eine Studie, die erst kürzlich veröffentlicht wurde, zu dem Schluss, dass Schlafmangel bei intensivem Training auf Dauer schlecht fürs Herz sein kann (FITBOOK berichtete).4

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Quellen

Quellen

  1. Saglev, E.H., Arnesdatter Hopstock, L., Morseth, B. et al. (2023). Device-measured physical activity, sedentary time, and risk of all-cause mortality: an individual participant data analysis of four prospective cohort studies. British Journal of Sports Medicine. ↩︎
  2. Farrahi, V., Rostamani, M., Dumoid, D. et al. (2022). Joint Profiles of Sedentary Time and Physical Activity in Adults and their Associations with Cardiometabolic Health. Medicine & Science in Sports & Medicine. ↩︎
  3. Chastin, S., McGregor, D., Palarea-Albaladejo, J. et al. (2021). Joint association between accelerometry-measured daily combination of time spent in physical activity, sedentary behaviour and sleep and all-cause mortality: a pooled analysis of six prospective cohorts using compositional analysis. Britihs Journals of Medicine. ↩︎
  4. Martikainen, T., Siguradottier, F., Benedict, C. et al. (2022). Effects of curtailed sleep on cardiac stress biomarkers following high-intensity exercise. Molecular Metabolism ↩︎
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