
8. Juli 2025, 4:21 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Ob im Berufsleben, in der Familie oder durch persönliche Sorgen – Stress ist allgegenwärtig. Das belastet nicht nur die Psyche, sondern kann auch das Herz ernsthaft gefährden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Vagusnerv, der das Herz schützen und zur emotionalen Balance beitragen kann. FITBOOK über alltagstaugliche Methoden, um ihn zu aktivieren.
Der Vagusnerv verbindet Gehirn und Organe und beeinflusst dabei unbewusst Herzschlag, Atmung und Verdauung. Experten sehen in ihm einen Schlüssel zur Stressbewältigung – und damit zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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Übersicht
- Stress als unterschätzter Risikofaktor für das Herz
- Wie Stress den Körper mobilisiert
- Zentrale Steuerung zwischen Kopf und Organen
- HRV: Messgröße für Regulationsfähigkeit
- Maßnahmen zur Stärkung des Vagusnervs
- Wie alltagstaugliche Übungen den Vagusnerv stimulieren können
- Fazit: Kleiner Nerv mit großer Wirkung
- Quellen
Stress als unterschätzter Risikofaktor für das Herz
Dauerstress, Angst und Depressionen beeinflussen nicht nur das seelische Gleichgewicht, sondern erhöhen auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich. „Zahlreiche wissenschaftliche Studien machen deutlich, wie eng der Zusammenhang von Stress, aber auch Depressionen und Angsterkrankungen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist“, warnt Prof. Thomas Voigtländer von der Deutschen Herzstiftung.
Einen möglichen Schutz bietet der Vagusnerv – ein Teil des parasympathischen Nervensystems. „Er transportiert Signale vom Gehirn zum Herzen“, erklärt Privatdozentin Cora Stefanie Weber in der Zeitschrift „Herz heute“ (2/2025). Als sogenannter „Entspannungsnerv“ beeinflusst er beruhigend Puls und Blutdruck und kann so zur Herzgesundheit beitragen.
Im Alltag ist bei vielen Menschen das sympathische Nervensystem dauerhaft überaktiv. Es versetzt den Körper in ständige Alarmbereitschaft – mit Folgen für das Herz.
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Wie Stress den Körper mobilisiert
Stress – abgeleitet vom lateinischen Wort „stringere“ (‚anspannen‘) – ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf Alarmreize. In belastenden Momenten schaltet der Organismus in den Aktivierungsmodus: Das Gehirn registriert eine potenzielle Gefahr und setzt eine Kaskade an Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol in Gang.1
Diese Botenstoffe führen dazu, dass sich die Bronchien erweitern, die Atmung beschleunigt wird, Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskulatur mit Nährstoffen versorgt wird und der Insulinspiegel ansteigt. All dies soll sicherstellen, dass der Körper schnell reagieren kann – etwa durch Flucht oder Kampf.
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Zentrale Steuerung zwischen Kopf und Organen
Der Vagusnerv spielt eine Schlüsselrolle bei der unbewussten Steuerung lebenswichtiger Körperfunktionen. Als zehnter Hirnnerv zieht er vom Hirnstamm über Hals und Brustraum bis in den Bauch. Auf seinem Weg verzweigt er sich zu zahlreichen Organen – unter anderem Herz, Lunge, Leber, Milz, Nieren und Verdauungsorgane – und verbindet sie mit dem Gehirn.2
Er reguliert Verdauung, Atmung, Herzfrequenz und Sättigungsgefühl. Zugleich übermittelt er innere Signale wie Hunger oder Erschöpfung und beeinflusst damit unser Verhalten, vor allem in stressreichen Momenten. So trägt er maßgeblich zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts bei.
HRV: Messgröße für Regulationsfähigkeit
Die sogenannte Herzratenvariabilität (HRV) zeigt, wie flexibel das Herz auf äußere und innere Reize reagiert. Wird etwa der Sympathikus aktiviert, steigen in der Folge Herzfrequenz, Blutdruck und Atemfrequenz an. Bei gesunden, jungen Menschen oder Sportlern hingegen ist die HRV in der Regel hoch – dadurch gelingt es ihnen meist, sich nach einer Belastung dank der Wirkung des Vagusnervs deutlich schneller zu entspannen.
Nicht jeder besitzt diese Fähigkeit in gleichem Maße. Menschen mit Angst- und Panikstörungen haben laut der Deutschen Herzstiftung ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte. „Man nimmt an, dass es ihrem Gehirn nicht mehr gelingt, Angstreaktionen ausreichend zu unterdrücken, ihr Vagusnerv ist gehemmt und sie geraten so in chronischen Stress.“
Laut Weber profitieren Menschen mit einem aktiven Vagusnerv und hoher HRV von besserer Konzentration, Emotionskontrolle und einem höheren emotionalen Wohlbefinden. Befunde legen nahe, „dass ein besseres Bewusstsein für die eigenen Gefühle mit einer stabileren Herzaktion einhergeht – und damit einen Schutzfaktor darstellen kann.“
Maßnahmen zur Stärkung des Vagusnervs
Die Deutsche Herzstiftung empfiehlt eine Reihe von Maßnahmen, um den Vagusnerv zu aktivieren und gleichzeitig das Risiko für Herzinfarkte zu senken:
- Gesunde Ernährung und normales Körpergewicht
- Verzicht auf Nikotin, mäßiger Alkoholkonsum
- Ausreichender Schlaf
- Entspannungstechniken wie tiefe Bauchatmung
- Regelmäßiger Ausdauersport
- Effektives Stressmanagement
- Psychotherapeutische Gespräche
- Kunst- und Körpertherapie
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Wie alltagstaugliche Übungen den Vagusnerv stimulieren können
„Im Internet und in den sozialen Medien werden zahlreiche Versprechungen zur Wirkung der Stimulation des Vagusnervs verbreitet – beispielsweise durch Selbstmassage des Halses oder durch Atemübungen; aber auch durch frei verkäufliche elektronische Geräte“, berichtet Nils Kröger von der Universität Tübingen auf der Website des Uni-Magazins „Puls“. Die Wirkung sei jedoch vom Einzelfall abhängig. „Pauschal zu sagen, dass die Stimulation immer die Entspannung fördert, wäre also falsch.“
Gleichzeitig gibt es Hinweise, dass kontrollierte Atemtechniken wie tiefes Atmen oder progressive Muskelentspannung besonders wirksam sind – vor allem in Kombination mit einer Vagusnervstimulation. Auch die sogenannte Boxatmung oder verlängerte Ausatmung kann entspannend wirken.
Hier neun Übungen zur Aktivierung des Vagusnervs
- Box-Breathing: Je vier Sekunden einatmen, halten, ausatmen, halten – ideal zur Beruhigung.
- Singen: Vor allem Vokale wie A, O oder U haben eine stimulierende Wirkung.
- Gurgeln: Einfache Übung mit Wasser – regt Kehlkopfmuskeln und Geschmackssinn an.
- Selbstmassage: Sanft mit beiden Händen seitlich am Hals zwischen Ohr und Schulter kreisen.
- Kältereize: Kalte Dusche, besonders im Halsbereich, aktiviert den Parasympathikus.
- Kopf drehen: Den Kopf langsam nach links und rechts drehen, jeweils einen Punkt mit den Augen fixieren.
- Augenbrauen heben: Aktiviert über den Gesichtsnerv auch den Vagusnerv – ideal für geübte Ohrenwackler.
- Akkommodationstraining: Abwechselnd nahe und ferne Objekte fokussieren – stärkt Augenmuskulatur und innere Balance.
- Akupressur: Punkt in der Ohrmuschel 30 Sekunden drücken, mehrmals wiederholen.3

Massage- und Atemtechniken, die bei Verdauungsproblemen helfen können

Übungen und Techniken, um gezielt Stress zu reduzieren

Übungen zum Entspannen und Abschalten
Fazit: Kleiner Nerv mit großer Wirkung
Der Vagusnerv steuert weit mehr als nur körperliche Abläufe – er beeinflusst, wie wir auf Belastung reagieren und wie schnell wir zur Ruhe kommen. Seine gezielte Aktivierung kann helfen, das vegetative Nervensystem ins Gleichgewicht zu bringen, Stressreaktionen abzufedern und die Erholung zu fördern. Sowohl erste wissenschaftliche Erkenntnisse als auch praktische Erfahrungen legen nahe, dass bereits kleine, regelmäßig durchgeführte Übungen im Alltag spürbare Wirkungen entfalten können – und zwar nicht nur im Hinblick auf die Herzgesundheit, sondern ebenso auf das allgemeine körperliche und emotionale Wohlbefinden.
*Mit Material von dpa