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Studie zeigt

Corona-Lockdowns veränderten die Gehirne von Teenagern drastisch

Corona Gehirne Teenager
Auf MRT-Bildern waren Veränderungen der Gehirne der Teenager zu erkennen – diese entstanden während des Corona-Lockdowns Foto: Getty Images

10. September 2024, 20:18 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Es sollte eigentlich eine Studie werden, die sich die physiologische Hirnentwicklung bei Jugendlichen anschaut. Doch es kam für die Forschenden der University of Washington alles anders. Der Corona-Lockdown verschob zwangsläufig Untersuchungstermine – und danach sahen die Gehirne der Teenager nicht so aus wie erwartet.

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Während der Corona-Pandemie ergriffen Regierungen weltweit restriktive Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Es kam zu Abstands- und Hygieneregeln, Ausgangssperren und Schulschließungen. Der unterbrochene Alltag und die stark eingeschränkten sozialen Kontakte führten bei Teenagern zu psychischen Erkrankungen (FITBOOK berichtete). Doch auch physisch kam es offenbar zu Veränderungen, wie eine amerikanische Studie zeigt. Nach der Corona-Pandemie zeigten die Gehirne der untersuchten Teenager eine vorzeitige Alterung – Mädchen waren noch stärker betroffen als Jungen.1

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Die Adoleszenz ist geprägt durch tiefgreifende Veränderungen

Die Adoleszenz – die Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter – ist geprägt durch wesentliche Veränderungen in der emotionalen, verhaltensbezogenen und sozialen Entwicklung. Teenager werden unabhängiger von ihren Eltern. Stattdessen haben sie mehr Interaktionen mit Gleichaltrigen, wodurch sie den Umgang mit sozialen Beziehungen erlernen können. In dieser Phase entwickeln sich außerdem das eigene Identitätsgefühl, Selbstvertrauen und -kontrolle.

Allerdings können Jugendliche in dieser Zeit auch neuropsychiatrische Störungen, wie Angst- und Verhaltensstörungen sowie Depressionen entwickeln. Dies wurde durch die Pandemie befeuert. Hauptautorin Patricia Kuhl erläuterte in einer Pressemitteilung der Universität: „Wir betrachten die Covid-19-Pandemie als eine Gesundheitskrise, aber wir wissen, dass sie auch andere tiefgreifende Veränderungen in unserem Leben mit sich gebracht hat, insbesondere bei Teenagern.“2

Auch das Gehirn wird umstrukturiert

Im Teenageralter findet eine erhebliche Umstrukturierung des Gehirns statt. Während der Kindheit und Adoleszenz ist das Gehirn neuronal plastisch und erlebt viele strukturelle Veränderungen, die stark von Umweltfaktoren abhängen. Das Volumen der grauen Substanz und die Dicke der Hirnrinde erreichen während der Kindheit ihren Höhepunkt und nehmen im weiteren Verlauf des Lebens stetig ab.

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Wie der Corona-Lockdown den Studienablauf änderte

Die Forschung Kuhl und ihrem Team, welche 2018 als Längsschnittstudie mit 160 Jugendlichen im Alter von neun bis 17 Jahren begann, zielte ursprünglich darauf ab, Veränderungen in der Gehirnstruktur während der Adoleszenz zu beobachten. Diese Studie sollte wichtige Erkenntnisse über die typische Entwicklung im Jugendalter liefern. Hierfür fertigt man MRT-Aufnahmen der Gehirne an. Geplant war, die Gehirne der Teenager im Jahr 2020 erneut zu untersuchen, doch aufgrund der Corona-Pandemie verzögerten sich die erneute Testrunde auf 2021. Und nicht nur das: Auch die ursprüngliche Forschungsfrage musste aufgrund der neuen Umstände angepasst werden. Was bedeutet die soziale Isolation für Jugendliche und wie können die Folgen für das Gehirn gemessen werden?

Wissenschaftler untersuchten die Großhirnrinde

Die Reifung des Gehirns misst sich anhand der Dicke der Großhirnrinde, welche die äußere Gewebeschicht des Hirns darstellt. Mit zunehmendem Alter wird die Großhirnrinde – wie bereits erwähnt – auf natürliche Weise dünner. Die Studienautoren erklären, dass chronischer Stress und Notlagen die Ausdünnung dieser Rinde beschleunigen, wodurch das Risiko für neuropsychiatrische und Verhaltensstörungen steigt.

Anhand der Daten aus dem Jahr 2018 erstellten die Forscher ein Modell, welches zeigte, wie viel Ausdünnung man seit der Erstuntersuchung erwarten könne. Anschließend untersuchten sie die Gehirne der Teenager erneut, von denen über 80 Prozent an der zweiten Messreihe teilnahmen. Und diese zeigte ein erstaunliches Bild: Die Gehirne der Teenager – weibliche und männliche – wiesen eine beschleunigte Ausdünnung während der Adoleszenz auf. Sie waren vorzeitig gealtert.

Mädchen waren stärker als Jungen betroffen

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Gehirne von Mädchen stärker durch die soziale Isolation während des Lockdowns betroffen waren als die untersuchten Jungen. Bei den Teilnehmerinnen der Studie war die Ausdünnung der Hirnrinde im gesamten Gehirn zu beobachten, in allen Lappen und beiden Hemisphären. Bei den männlichen Probanden hingegen waren die Auswirkungen nur im visuellen Kortex zu sehen. Gemessen an den entsprechenden Entwicklungsjahren betrug die durchschnittliche Beschleunigung bei Frauen 4,2 Jahre, während sie bei Männern mit 1,4 Jahren deutlich geringer ausfiel. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern spiegeln laut den Autoren die Tatsache wider, dass (heranwachsende) Frauen häufiger von neuropsychiatrischen Störungen betroffen seien.

Warum Mädchen die Folgen des Lockdowns besonders betraf

Als möglichen Grund für die schnellere Alterung der weiblichen Gehirne führten die Forscher die unterschiedliche Bedeutung sozialer Interaktionen für Mädchen und Jungen an. Weibliche Teenager seien oft stärker auf die Beziehungen zu anderen Mädchen angewiesen sowie der Möglichkeit, sich physisch zu treffen, miteinander zu reden und Gefühle auszutauschen. Jungen hingegen neigen dazu, sich mit Altersgenossen für körperliche Aktivitäten zu treffen.

Stressbewältigungsstrategien fehlen, der Stress bleibt

Hauptautorin Kuhl erklärt: „Teenager balancieren wirklich auf einem Drahtseil und versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sie stehen unter enormem Druck. Dann schlägt eine globale Pandemie zu und ihre normalen Kanäle zur Stressbewältigung sind weg. Diese Möglichkeiten zum Stressabbau gibt es nicht mehr, aber die soziale Kritik und der Druck bleiben aufgrund der sozialen Medien bestehen. Was die Pandemie wirklich bewirkt zu haben scheint, ist, Mädchen zu isolieren. Alle Teenager wurden isoliert, aber Mädchen haben mehr gelitten. Ihre Gehirne wurden viel dramatischer beeinträchtigt.“

Können die Gehirne der Teenager sich erholen?

„Es ist möglich, dass es zu einer gewissen Erholung kommt“, so Kuhl. „Andererseits ist es auch vorstellbar, dass die Hirnreifung bei diesen Jugendlichen beschleunigt bleibt.“ Eine wirksame Erholung könne sich in Form einer langsameren Ausdünnung im Laufe der Zeit zeigen, nachdem normale soziale Interaktionen wieder aufgenommen wurden. Um dies zu bestätigen, müssten die Gehirne der Teenager jedoch nochmals in der Zukunft untersucht werden. Dass die Rinde möglicherweise sogar wieder an Dicke gewinne, hält Kuhl für unwahrscheinlich.

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Einordnung der Studie

Auch wenn die Studie einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung der Auswirkungen der Pandemie auf die Gehirnentwicklung von Jugendlichen leistet, führen die Autoren einige Einschränkungen an. So ist die Stichprobengröße im Vergleich zu großen Multisite-Studien relativ klein, was die Generalisierbarkeit der Befunde einschränken könnte. Bei den genannten Studien handelt es sich um klinische Studien, die an unterschiedlichen klinischen Zentren und unterschiedlichen Untersuchern durchgeführt wird.

Zudem fehlen spezifische Daten zum Verhalten (und dessen Änderungen), welche die Lockdown-bezogenen Stressfaktoren und deren Einfluss auf strukturelle Veränderungen des Gehirns charakterisieren könnten. Außerdem berücksichtigte die Studie andere, für die Teenager bedeutende, Aspekte wie Arbeitsplatzsicherheit, finanzielle Unsicherheit und Ernährung nicht. Auch Daten zu Bewegung und Schlaf fehlen.

Themen Coronavirus Kindergesundheit

Quellen

  1. Corrigan, N. M., Rokem, A., Kuhl, P. K. (2024) COVID-19 lockdown effects on adolescent brain structure suggest accelerated maturation that is more pronounced in females than in males. Proceedings of the National Academy of Sciences. ↩︎
  2. University of Washington. COVID-19 lockdowns prematurely aged teenage brains, UW study shows. UW News. (aufgerufen am 10.09.2024 ↩︎
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