11. Mai 2025, 6:50 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben die Behandlung von Diabetes in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Neben ihrer Wirkung auf den Blutzuckerspiegel zeigen sie auch positive Effekte auf das Körpergewicht, die Herzgesundheit und die Nierenfunktion. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten nun darauf hin, dass ihr therapeutisches Potenzial noch umfassender sein könnte. Ein Gastbeitrag des US-amerikanischen Gesundheitsexperten und Data Scientists Chris Woods.
Lange galten sie als reine Diabetesmedikamente, inzwischen kommen neue Anwendungsgebiete bei GLP-1-Rezeptor-Agonisten hinzu: In Studien zeigen sie auch eine Wirkung bei Herzinsuffizienz, neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson sowie bei Suchtverhalten und Fettleber. Die Bandbreite wächst – und mit ihr die Hoffnung auf neue Therapieoptionen bei bislang schwer behandelbaren Erkrankungen. Doch trotz vielversprechender Daten bleiben Fragen zu Langzeitwirkung, Zugänglichkeit und Kosten. Dieser Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über die Studienlage, beleuchtet neue therapeutische Anwendungsgebiete und ordnet Nutzen und Risiken ein.
Übersicht
Herz-Kreislauf-Gesundheit
GLP-1-Rezeptor-Agonisten senken nachweislich das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle – auch bei Nicht-Diabetikern. Studien wie SELECT und LEADER belegten eine Reduktion schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse um 20 Prozent.1
Die Medikamente wirken direkt auf das Herz-Kreislauf-System, indem sie die Gefäßfunktion verbessern und Entzündungen reduzieren. Indirekt unterstützen sie die Herzgesundheit durch Gewichtsabnahme, bessere Blutzuckerwerte, niedrigere Cholesterinwerte und Blutdrucksenkung.2
Viele Kardiologen empfehlen GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Hochrisikopatienten, und laufende Studien untersuchen auch ihren präventiven Einsatz.3
Neue therapeutische Anwendungsgebiete von GLP-1-Rezeptor-Agonisten
GLP-1-Rezeptor-Agonisten werden zunehmend für Erkrankungen erforscht, für die es bisher kaum wirksame Therapien gibt. Etwa bei:
- Suchtverhalten: Reduktion von Alkohol- und Nikotinverlangen4
- Fettlebererkrankungen: Verringerung von Leberfett und Entzündungen bei nicht-alkoholischer Fettleber und ihrer entzündlichen Folgeform.5,6
- Herzinsuffizienz: Bessere Symptome und Lebensqualität, v. a. bei Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion7
- Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS): Förderung der Insulinsensitivität und Gewichtsregulation8
Für die Validierung dieser vielversprechenden Resultate sind jedoch weitere klinische Studien notwendig.
Gehirngesundheit
Erste Hinweise zeigen, dass GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson helfen könnten – durch Verbesserung der Insulinsensitivität im Gehirn und Reduktion von Entzündungen. In ersten Studien wurde eine verbesserte Motorik bei Parkinson-Patienten beobachtet.9,10 Auch hier wird durch Wissenschaftler die Notwendigkeit größer angelegter Studien betont, um diese Ergebnisse zu bestätigen.11
Die neurologischen Effekte der GLP-1-Rezeptor-Agonisten verdeutlichen die enge Verbindung zwischen Stoffwechsel und Hirngesundheit und eröffnen neue Ansätze zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.
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Natürliche Alternativen zu GLP-1-Medikamenten
Das Interesse an natürlichen Alternativen zu verschreibungspflichtigen GLP-1-Rezeptor-Agonisten wächst. Allerdings reichen sie bei Weitem nicht an die Effekte verschreibungspflichtiger GLP-1-Medikamente heran. Dennoch kann man auch auf natürliche Weise einige positive Wirkungen erzielen.
Ernährung und Lebensstil
Eine Ernährung mit hohem Anteil an löslichen Ballaststoffen (Hafer, Bohnen, Gemüse) und regelmäßige Ausdauerbewegung können GLP-1-Werte moderat erhöhen und so Appetit und Stoffwechsel regulieren – allerdings weit weniger wirksam als Medikamente.12,13 Des Weiteren können proteinreiche Mahlzeiten die GLP-1-Ausschüttung und Sättigung fördern; gesunde Fette verbessern ebenfalls die Sättigung und stabilisieren den Blutzucker; fermentierte Lebensmittel unterstützen die Darmgesundheit und wirken indirekt positiv auf GLP-1.
Neben regelmäßiger Bewegung und ausgewogener Ernährung ist auch ein achtsames Essverhalten wichtig.
Berberin
Berberin, oft als „natürliches Ozempic“ vermarktet, verbessert die Insulinsensitivität, erreicht aber nur etwa 10 bis 20 Prozent der Wirksamkeit verschreibungspflichtiger GLP-1-Präparate.14
Neue GLP-1-Therapien: Tirzepatid und Retatrutid
Tirzepatid ist ein sogenannter dualer Agonist, der sowohl den GLP-1- als auch den GIP-Rezeptor aktiviert. Beide Hormone fördern die Insulinausschüttung nach der Nahrungsaufnahme. Retatrutid wirkt sogar an drei Rezeptoren: Es aktiviert neben GLP-1 und GIP zusätzlich den Glukagon-Rezeptor. Glukagon steigert den Blutzuckerspiegel, indem es die Glukosefreisetzung aus der Leber fördert – im Zusammenspiel mit den anderen Hormonen kann dies jedoch auch den Energieverbrauch erhöhen und zur Gewichtsreduktion beitragen. Beide Wirkstoffe erzielten in Studien einen Gewichtsverlust von bis zu 15 bis 20 Prozent und verbesserten die Blutzuckerkontrolle deutlich.15,16 Damit gelten sie als mögliche Alternative zur Adipositaschirurgie – vergleichbare Wirkung, aber ohne operativen Eingriff. Studien bestätigen ihre Eignung als Erstbehandlung bei schwerer Adipositas.17
Ein weiterer Vorteil: GLP-1-Therapien machen komplexe Behandlungspläne oft überschaubarer, was die Therapietreue erhöht und die Behandlungsergebnisse verbessert. Vor diesem Hintergrund könnten GLP-1-Präparate künftig weltweit zu einer tragenden Säule der Versorgung werden.
Die Nebenwirkungen, vor allem Übelkeit, gelten als handhabbar, erfordern jedoch eine sorgfältige Dosierung und ärztliche Begleitung. In groß angelegten Studien wie SURPASS-CVOT, STEP-HFpEF und SELECT wird die Wirksamkeit und Sicherheit untersucht – mit dem Potenzial, die Behandlung chronischer Erkrankungen grundlegend zu verändern.
Endokrinologen wie Daniel J. Drucker vom Mount Sinai Hospital in Toronto sehen zudem präventive Einsatzmöglichkeiten, etwa zur Vorbeugung von Typ-2-Diabetes. Auch bei Suchterkrankungen könnten GLP-1-Rezeptor-Agonisten helfen, da sie neurologische Belohnungssysteme beeinflussen. Langfristig könnten invasive Eingriffe dadurch seltener nötig sein.

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Fazit zu Anwendungsgebieten von GLP-1-Rezeptor-Agonisten
GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben die Behandlung von Diabetes und Adipositas bereits deutlich vorangebracht. Sie helfen beim Abnehmen, stabilisieren den Blutzucker und verbessern die Herzgesundheit. Neue Studien legen nahe, dass diese Wirkstoffe auch bei anderen schweren Erkrankungen helfen könnten – darunter Alzheimer, Parkinson, Herzinsuffizienz, Sucht, Fettleber und PCOS.
Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen bleiben Herausforderungen: Vor allem die hohen Kosten schränken den Zugang ein. Auch Nebenwirkungen und die teils sehr hohen Erwartungen müssen berücksichtigt werden – denn nicht jeder spricht gleich gut auf die Therapie an, und ein „Wundermittel“ ist sie nicht.
Für die Zukunft ist es entscheidend, die Bezahlbarkeit und die sichere, verantwortungsvolle Anwendung zu gewährleisten, damit möglichst viele Menschen von den Fortschritten profitieren können.
Künftige Kombinationspräparate wie Tirzepatid könnten weitere Durchbrüche ermöglichen – mit weniger invasiven Verfahren, besserer Kontrolle chronischer Erkrankungen und höherer Lebensqualität weltweit.