2. Oktober 2024, 21:07 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Wir wissen, dass Krafttraining die einzige nicht-pharmakologische Interventionsmöglichkeit ist, die Skelettmuskulatur, Kraft und Leistung (Power) über die gesamte Lebensspanne hinweg verbessern kann. Darüber hinaus hat Krafttraining den Vorteil, dass es das Risiko der Gesamtmortalität, der kardiovaskulären Mortalität und der Krebsmortalität vermindert. Der gesundheitliche Nutzen ist also weitreichend.
In den weltweiten Richtlinien für körperliche Betätigung wird empfohlen, dass Erwachsene (ab 18 Jahren) zweimal pro Woche muskelstärkende Aktivitäten (zum Beispiel an Geräten oder mit dem eigenen Körpergewicht) durchführen (WHO, 2020). Allerdings erfüllen nur zehn bis 30 Prozent der Erwachsenen die derzeitigen Richtlinien.1 Zu den Gründen für diese geringe Beteiligung gehören möglicherweise Barrieren, die von Zeitproblemen über eine hohe wahrgenommene Schwierigkeit und/oder Komplexität bis hin zu einem schlechten Zugang zu Räumlichkeiten und Geräten reichen.2,3 Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, besteht darin, durch kürzere Trainingseinheiten, weniger Geräte etc. zu motivieren, aber dennoch einen wirksamen Anreiz zu bieten. Wie viel muss man mindestens trainieren für den Muskelaufbau? Für die Beantwortung dieser Frage wird im Folgenden die Übersichtsarbeit von Fyfe und Kollegen herangezogen.4 Diese sollte nicht als ein Absolutum betrachtet werden, sondern eher als eine oder mehrere mögliche Betrachtungsweisen.
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Übersicht
Wie viel muss man für den Muskelaufbau mindestens trainieren?
Strukturiertes, progressives Krafttraining ist eine wirksame Strategie zur Steigerung von Muskelkraft, Leistung und Hypertrophie. Kraft wird am besten in höheren Gewichtsbereichen (> 85 Prozent 1-RM) trainiert, was neuronale Anpassungsprozesse auslösen und somit zu zwei Verbesserungen führen kann. Erstens werden die sensomotorischen Funktionen gefördert, was wiederum die Gleichgewichts- und Mobilitätsfunktionen verbessern kann. Dies könnte das Risiko von Stürzen und Knochenbrüchen verringern. Zweitens erhöht schweres Krafttraining die Muskelaktivität, was sich wiederum auf die Kraft und Leistung der Muskeln auswirkt und somit die funktionelle Kapazität des Einzelnen verbessern kann. Besonders effektiv sind hier längere Pausen zwischen den Sätzen – länger als zwei Minuten (zwei bis fünf Minuten) –, damit die Sporttreibenden ausgeruht in den nächsten Satz starten können. Ein Trainingsvolumen von weniger als 15 Sätzen pro Woche wird hier empfohlen. Eine optimale Trainingsfrequenz kann hier nicht angegeben werden, da ihr Einfluss auf die Maximalkraft noch relativ unbekannt ist.
Bedeutung von Muskelversagen beim Krafttraining
Im Hinblick auf den Muskelaufbau ist es wichtig, nahe am Muskelversagen zu trainieren.5 Der Wiederholungsbereich ist relativ breit und umfasst Intensitäten von 30 bis 70 Prozent 1RM. Die Nähe zum Muskelversagen spielt vor allem bei niedrigeren Intensitäten eine entscheidende Rolle. Die Ruhezeiten sollten hier über 30 Sekunden liegen und die Trainingshäufigkeit sollte mit mindestens zwei Trainingseinheiten pro Woche je Muskelgruppe gewählt werden.
Damit sind die wichtigsten Parameter zur Generierung von Kraft- und Muskelzuwachs gegeben. Die Einhaltung solcher Trainingsprogramme ist jedoch gering. Aus diesem Grund müssen neue Strategien eingesetzt werden. Wir wissen, dass die mechanische Spannung eine wichtige Komponente für Kraft- und Muskelzuwachs ist. Wir wissen aber auch, dass für eine Zunahme der Muskelquerschnittsfläche ein höheres Trainingsvolumen erforderlich ist als für eine Zunahme der Kraft. Auch die Trainingsintensität kann für beide Ziele höher sein (absolute Trainingsintensität und wahrgenommene Anstrengung). Eine höhere Intensität und/oder Anstrengung (höhere RPE-Werte) sowie ein höheres Trainingsvolumen sind mit größerem Unbehagen und geringerem Vergnügen verbunden und erfordern ein größeres zeitliches Engagement, was sich alles negativ auf die langfristige Einhaltung von Krafttrainingsprogrammen auswirken kann.6 Aus diesem Grund kann der Ansatz der minimalen Dosis verwendet werden.
Charakterisieren von Minimal-Dosis-Ansätzen für das Krafttraining
Die meisten Untersuchungen zum Minimal-Dosis-Ansatz – also der Frage, wie viel man mindestens trainieren muss für den Muskelaufbau – stammen aus dem Bereich des aeroben Trainings. Wenn wir die Erkenntnisse aus diesem Bereich für das Krafttraining zusammenfassen, können wir zwei Arten von Training identifizieren:
Krafttraining mit geringem Volumen und hoher Intensität
- Ein bis zwei Sätze pro Muskelgruppe je Trainingseinheit mit mehr als 70 Prozent 1RM mit Langhanteln bzw. Kurzhanteln oder Maschinen
Krafttrainings–„Snacks“ (exercise snacks)
- Körpergewichtsübungen oder Übungen mit minimalem Equipment (Widerstandsbänder)
- Sehr kurze, aber häufige Trainingseinheiten über den Tag verteilt
- Nutzen einer zeitbasierten Vorgabe (eher als einer intensitäts- oder gewichtsbasierten Vorgabe)
Vor allem die Krafttrainings-„Snacks“ lassen sich wunderbar von zu Hause aus nutzen, während das Training mit geringem Volumen und hoher Belastung eher ein Fitnessstudio erfordert bzw. Equipment.
Verhaltensbezogene Basis für den potenziellen Benefit eines Minimal-Dosis-Ansatzes
Auf die Frage, wie viel man mindestens für den optimalen Muskelaufbau trainieren muss, kann man mit dem Minimal-Dosis-Ansatz antworten. Wie bereits erwähnt, schaffen es nur die wenigsten, die Richtlinien zum Krafttraining zu erfüllen. Mit minimalen Trainingsansätzen könnte es gelingen, das Engagement für das Krafttraining zu erhöhen, indem potenzielle Barrieren abgebaut werden. So scheinen niedrig-volumige Trainingsansätze mit höheren Belastungen bei eher untrainierten jungen Männern und Frauen angenehmer zu sein und mehr Spaß zu machen. Da diese Ansätze den Zeitfaktor erheblich reduzieren, könnte dies ein weiterer motivierender Ansatz sein. Um den Zeitfaktor weiter zu verringern, können die besagten Trainings-„Snacks“ eingesetzt werden.
Durch eine häufige Durchführung über den Tag beziehungsweise die Woche hinweg könnte das Bewegungsverhalten verfestigt werden, da sich die Personen dieses Verhalten über einen längeren Zeitraum zur Gewohnheit machen. Eine Studie hat beispielsweise gezeigt, dass mit einer zusätzlichen Trainingseinheit pro Woche die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten acht Wochen Sport zu treiben, deutlich steigt. Es bleibt jedoch jedem Einzelnen überlassen, zu entscheiden, welcher Ansatz für ihn oder sie am besten geeignet ist.
Praktische Überlegungen zum Trainings-Minimum
Priorisierung von Mehrgelenksübungen
Die Auswahl der Übungen sollte sowohl auf Zeiteffizienz als auch auf Spezifität (Zielsetzung) ausgerichtet sein. So kann man zum Beispiel alltägliche Übungen wie Kniebeugen, Treppensteigen oder Liegestütze durchführen, um große Muskelgruppen zu trainieren (Zeit-Effizienz).7 Mehrgelenkige Übungen sind hier besonders vorteilhaft, da sie oft große Muskelgruppen ansprechen, während eingelenkige Übungen zwar Muskelgruppen isoliert trainieren können, dies aber im Rahmen des Minimal-Dose-Ansatzes kontraproduktiv wäre. Ein besonders großes Augenmerk sollte man auf den Unterkörper legen, da die Unterkörpermuskulatur im Vergleich zum Oberkörper besonders von altersbedingtem Muskelschwund, Kraftverlust und Funktionseinbußen betroffen ist. Gute Übungen wären hier: Kniebeugen, Kreuzheben, Ausfallschritte und/oder Variationen dieser Übungen.
Osteogenie (Knochenaufbau) und Krafttraining
Es ist bekannt, dass nicht nur die Muskeln, sondern auch die Knochenmasse im Leben abnimmt, was die Wahrscheinlichkeit von Knochenbrüchen erhöht.8 Ein progressives Krafttraining mit mäßiger bis hoher Intensität ist effektiver als andere Formen der körperlichen Betätigung (z. B. wenig belastende, nicht Gewichts-tragende Aktivitäten wie Gehen, Schwimmen oder Radfahren), um eine Anpassung der Knochen zu gewährleisten. Allerdings gibt es spezifische Übungen, die einen größeren Einfluss auf die Knochengesundheit haben. Insbesondere dynamische Übungen, bei denen schnell und/oder in neue Richtungen wirkende höhere Bodenreaktionskräfte auftreten, sind osteogener als statische und langsame Übungen.9 So haben Studien gezeigt, dass zwei bis fünf Minuten tägliches multidirektionales Hüpfen (fünf Sätze von zehnmal Hüpfen, 15 Sekunden Pause zwischen den Sätzen) eine positive Wirkung auf die Knochendichte in der Hüfte und im Oberschenkel haben.10
Gleichgewicht und Krafttraining
Eine Abnahme der sensomotorischen Leistung kann man auch im Alterungsprozess beobachteen, was sich auf das Gleichgewicht und die Mobilität auswirken und das Risiko von Stürzen und nachfolgenden Frakturen erhöhen kann.11,12 Traditionelles Krafttraining ist wirksam, um Kraft und Muskelmasse zu verbessern. Dies kann sich auch positiv auf das Gleichgewicht und die Laufgeschwindigkeit auswirken.13 Die Einbeziehung von Übungen, die das Gleichgewicht herausfordern, zusammen mit osteogenen Übungen, kann Stürze und Knochenbrüchigkeit weiter reduzieren. Beispiele hierfür sind: einbeinige Kniebeugen, schnelles Gehen, das Durchlaufen eines Hindernisparcours oder Bewegungen auf einer instabilen Oberfläche.
Die stabilisierende Muskulatur
Der Rückgang von Kraft und Leistung im Alter scheint bei den stabilisierenden Muskeln (z. B. Hüftabduktoren und -adduktoren) im Vergleich zu den Hauptbewegungsorganen (Kniestrecker) am stärksten zu sein14. Die Unterkörpermuskulatur ist hiervon stärker betroffen als die Oberkörpermuskulatur (Janssen et al., 2000). Um dem Rückgang entgegenzuwirken und bereits in jungen Jahren eine gute Grundlage zu schaffen, können unilaterale Übungen wie Ausfallschritte und Split-Squats hilfreich sein.
„Reps in Reserve“ Warum Sie beim Krafttraining auf diese Methode setzen sollten
Bis keine Wiederholung mehr möglich ist Ist Muskelversagen wichtig für den Muskelaufbau? Das sagen Studien
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Fazit
Krafttraining ist die einzige nicht-pharmakologische Maßnahme, die den altersbedingten Verlust von Kraft, Muskelmasse und Leistung verhindern kann. Die Durchführbarkeit des Trainings spielt dabei eine große Rolle. Hier haben wir gelernt, wie man mit minimalen Dosen zeiteffiziente Kraftzuwächse und Hypertrophie bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der funktionellen Kapazität (Gleichgewicht, Knochenanpassungen) erreichen kann.
Wie viel muss man also mindestens trainieren für den Muskelaufbau? Kurze Trainingseinheiten mit entweder hohen Belastungen, die selten durchgeführt werden (d. h. RT mit geringem Volumen und hoher Intensität) oder geringeren Belastungen, die mit relativ hoher Frequenz und minimaler oder gar keiner Ausrüstung durchgeführt werden (d. h. Krafttrainings-„Snacks“) sind ideal.
Minimal dosierte Krafttrainingsansätze haben daher das Potenzial, mehrere Hindernisse für die Teilnahme am Krafttraining einzuschränken oder zu beseitigen. Diese dürften mehrere positive Auswirkungen auf die potenzielle Skalierbarkeit solcher Interventionen und die Adhärenz haben. Darüber hinaus können Krafttrainingsansätze mit höherer Trainingshäufigkeit dazu beitragen, sitzende Tätigkeiten zu unterbrechen, die bekanntermaßen das kardiometabolische Risiko erhöhen. Eine Reihe praktischer Faktoren, darunter die Einbeziehung von Übungen, die auf die wichtigsten Muskelgruppen abzielen, osteogener Natur sind und sowohl die Gleichgewichts- als auch die Stabilisierungsmuskulatur beanspruchen, dürften die Wirksamkeit von Minimal-Dosis-Ansätzen zur Verbesserung der Muskelfunktion und der Knochengesundheit und damit der Unabhängigkeit und Lebensqualität beeinflussen.