14. Juli 2025, 3:46 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Stundenlang am Handy spielen und kein Bock auf Sport? Eine neue Untersuchung zeigt, dass das in Bezug auf Kinder und Jugendliche in Deutschland (leider) kein Vorurteil ist. Und das, obwohl Kinder eigentlich einen inneren Bewegungsdrang besitzen.
Laut der „MoMo 2.0“-Studie1 erreichen nur rund 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von mindestens 60 Minuten Bewegung pro Tag. Dem gegenüber steht eine Bildschirmzeit von mehr als drei Stunden am Tag.2 Was bedeutet das für die körperliche und mentale Gesundheit unserer Kinder? FITBOOK hat sich die Studie näher angesehen und mit Sportärztin Prof. Christine Joisten von der Sporthochschule Köln über Ursachen, Auswirkungen und Lösungen gesprochen.
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Übersicht
Was steckt hinter den Zahlen?
Die MoMo-Studie – ausgeschrieben: Motorik-Modul-Studie – ist ein bundesweites Forschungsprojekt des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Teil einer großen Kinder-Gesundheitsstudie des Robert Koch-Instituts. MoMo untersucht seit 2003, wie fit, aktiv und gesund Kinder und Jugendliche in Deutschland sind. 4500 Kinder und Jugendliche zwischen vier und siebzehn Jahren haben an der Studie teilgenommen, an fast 200 Orten in Deutschland.
Das Besondere an MoMo: Die Daten wurden nicht nur mithilfe von Fragebögen erhoben, sondern es wurden Größe und Gewicht der teilnehmenden Kinder gemessen, Sporttests angesetzt und echtes Bewegungsverhalten aufgezeichnet: Strampeln auf dem Fahrrad-Ergometer und Bewegungssensoren ähnlich wie Fitnesstracker. So sollte die Bewegung im Alltag realitätsnah abgebildet und die tatsächliche Fitness möglichst genau ermittelt werden.
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Zu wenig Bewegung ist ein Problem
Die WHO empfiehlt mindestens 60 Minuten moderate bis intensive körperliche Aktivität pro Tag sowie an mindestens drei Tagen pro Woche Übungen, die Muskeln und Knochen stärken.3 Gerade für heranwachsende ist das wichtig: Bewegung sorgt für gesundes Wachstum, starke Knochen und die Entwicklung der Grob- und Feinmotorik. Wenn sich Kinder und Jugendliche zu wenig bewegen, kann das schnell zum Problem werden:
- Körperliche Gesundheit: Kinder, die sich wenig bewegen, entwickeln häufiger Übergewicht4, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen – sogar Typ-2-Diabetes kann sich bereits im Kindesalter zeigen.5
- Schwächere schulische Leistungen: Zahlreiche Studien belegen, dass Bewegung Gedächtnis, Konzentration und Lernfähigkeit verbessert. Kinder mit regelmäßiger Bewegung schneiden in der Schule messbar besser ab.6 Je mehr aber die Freizeit mit wenig Bewegung und viel Bildschirm verbracht wurde, desto schlechter waren die Schulnoten.7
- Schlechter Schlaf: Kinder, die sich wenig bewegen, schlafen oft schlecht, haben Einschlafprobleme oder wachen nachts häufiger auf.8 Und wer schlecht schläft, hat am nächsten Tag weniger Energie, ist unkonzentrierter und schneller gestresst.
- Psychische Belastung: Studien zeigen, dass sich zu wenig Bewegung negativ auf die Stimmung und das Selbstbewusstsein von Kindern und Jugendlichen auswirken kann.9,10 Kinder, die sich regelmäßig bewegen, sind emotional ausgeglichener und haben seltener Symptome von Angst oder Depression.11
- Bildschirmzeit als Verstärker: Je mehr Zeit vor dem Bildschirm verbracht wird, desto weniger ist Bewegung Teil des Alltags – und auch andere ungesunde Gewohnheiten werden stärker.12
Mehr Bewegung – so klappt’s!
Runter vom Sofa, rein in die Turnschuhe – wie kann das klappen? Ausreichend Motivation ist nicht nur für viele Erwachsene ein Problem. Aber gesunde Bewegung beginnt viel früher als Sport, weiß Prof. Christine von der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP). Ihr Geheimtipp für mehr Bewegung im Kindes- und Jugendalter: „Zimmer aufräumen!“. Sie lacht, aber dahintersteckt natürlich ein cleveres Prinzip: Bewegung in den Alltag integrieren, ohne dass es sich gleich wie Sport anfühlen muss.
Kinder-Bewegungspyramide
Das kann man auch in der sogenannten „Kinder-Bewegungspyramide“ finden13: Die Basis bildet dabei die alltägliche Bewegung – also Dinge, die ganz nebenbei passieren: mit dem Fahrrad oder Tretroller zur Schule, den Hund ausführen oder beim Staubsaugen helfen. Sechsmal am Tag für fünf bis zehn Minuten. Die mittlere Etage gehört den Freizeitaktionen: Seilspringen, mit Freunden Federball spielen oder eine Runde auf den Rollerblades – viermal täglich eine Viertelstunde wäre hier top. Auch Bewegungsspiele funktionieren oft besser als strukturierter Sport – vor allem bei jüngeren Kindern: Fangspiele, Laufspiele oder Spiele mit besonderen Alltagsmaterialien, wie Seifenblasen, Zeitungspapier, Tücher oder Bälle. Eltern können da richtig kreativ werden! Ganz oben kommt die Sport-Stufe: richtig auspowern! Egal, ob Schwimmen, Basketball oder Tanz – zweimal am Tag je 15 Minuten ordentlich ins Schwitzen kommen ist angesagt.
Auch Apps können helfen, bei Bewegung zu motivieren
„Pokémon GO war vor ein paar Jahren ein riesiger Erfolg“, erinnert sich Prof. Joisten. Pokémon GO ist ein Spiel, bei dem man an bestimmte Orte gehen muss, um dort Zeichentrick-Figuren auf dem Handy-Bildschirm einzufangen. Ähnlich funktioniert auch „Zombies, run“, sozusagen ein Lauftraining mit Gruselfaktor. Inzwischen gibt es hunderte Fitness-Apps für Kinder und Jugendliche. In jedem Falle aber sollten die Eltern ein Auge darauf haben, welche Apps ihre Kinder benutzen und von wem sie stammen. Sie empfiehlt Eltern die „Kitu-App“, die Eltern und Übungsleitern Ideen für Bewegungsspiele liefert.
Und ähnlich wie bei Erwachsenen können auch Kinder und Jugendliche durch kleine „Challenges“ motiviert werden, regt Prof. Joisten an: Hampelmänner, Purzelbäume, alles, was Kindern Spaß macht und vielleicht sogar zur Familien-Challenge ausgebaut werden kann.
Vorsicht beim Kauf neuer Sportgeräte zur Motivation
Etwas vorsichtiger ist Prof. Joisten, was das Kaufen von neuen Sportgeräten angeht, um zu motivieren. „Wie viel das bringt, lässt sich schwer vorhersehen. Sowas wie Spikeball (eine Mannschaftssportart, bei dem man einen kleinen Ball auf ein rundes Netz in der Mitte hüpfen lässt, Anm. d. Red.) oder ein Riesen-Trampolin kann total gut angenommen werden. Aber es kann auch passieren, dass das Gerät dann bloß rumsteht – wie bei uns Erwachsenen der Fahrrad-Ergometer“, schmunzelt sie. Dennoch können solche Geräte sehr gut sein, wenn sich Kinder in einem geschützten Raum ausprobieren wollen, ohne die Angst, vielleicht ausgelacht zu werden, meint sie. „Allerdings: Es bringt wenig, wenn die Eltern währenddessen auf dem Sofa sitzen und fernsehen“. Und da ist Prof. Joisten bei ihrem zentralen Rat.

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Bewegung im Alltag sinkt drastisch
Expertenrat von Prof. Christine Joisten
„Das Wichtigste ist, ein aktives Vorbild zu sein“, betont Prof. Joisten. „Wenn Eltern Bewegung vorleben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihre Kinder das übernehmen.“ Natürlich sei es oft einfacher, die Kids einfach ins Auto zu packen, wenn man einkaufen geht. Dafür hat Prof. Joisten Verständnis – sie hat selbst vier Kinder und weiß, wie stressig der Alltag werden kann. „Aber wann immer es möglich ist und es die Zeit zulässt, lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Einkaufen gehen.
Genauso beim Treppensteigen: Klar braucht man Geduld, Kinder sind mitunter langsamer als wir, wenn sie die Stufen nehmen – aber es ist wieder ein Stück Alltagsbewegung und sie lernen, dass das normal ist. Wenn das konsequent gemacht wird, wird Bewegung zum Teil des familiären Lebensstil und alle profitieren davon“, verspricht sie. Wenn sich Eltern unsicher sind, was die Fitness ihrer Kinder angeht und welches Bewegungsprogramm geeignet ist: Die DGSP hat eine kostenlose App entwickelt – fitforhealth – die verschiedene Fitness- und Beweglichkeitstests für Kinder und Erwachsene anbietet.14