7. Juli 2025, 3:26 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Tablets im Kinderzimmer, Serien vorm Einschlafen, Smartphone-Daddeln in den Schulpausen: Für viele Familien ist das längst Alltag. Doch wie viel Bildschirmzeit ist für Kinder und Jugendliche eigentlich noch okay – und ab wann wird es kritisch? FITBOOK-Autorin Doris Tromballa hat die wichtigsten Zahlen, Empfehlungen und Tipps gesammelt.
Kinder werden heute praktisch mit dem Bildschirm groß. Laut miniKIM-Studie von 2023 schauen schon Zwei- bis Dreijährige im Schnitt rund eine Stunde am Tag Videos, Serien, spielen digital oder sind auf YouTube und ähnlichen Plattformen unterwegs.1 Bei den Vier- bis Fünfjährigen sind es gut 70 Minuten täglich. Bei 12-19-Jährigen steigt die Zeit für Internetnutzung laut JIM-Studie 2024 auf 201 Minuten pro Tag.2 Ist das zu viel?
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Übersicht
Wie viel Medienzeit ist okay?
Natürlich ist Bildschirmzeit nicht gleich Bildschirmzeit: Heute machen viele Kinder zum Beispiel Hausaufgaben am Tablet oder pauken mithilfe von Lern-Apps. Fraglich ist deshalb vor allem die Nutzung von Medien in der Freizeit. Was Dr. Janna-Lina Kerth von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) Sorgen macht: „Wenn man durch die Stadt geht, dann sieht man unglaublich häufig Kinder, die noch im Kinderwagen sitzen und schon ein Handy in der Hand haben“. Die DGKJ hat zusammen mit anderen medizinischen Fachgesellschaften eine Leitlinie erarbeitet, mit Empfehlungen zur freizeitlichen Bildschirmzeit für Kinder und Jugendliche3:
- 0-3 Jahre: Bildschirmfrei!
- 3–6 Jahre: Höchstens 30 Minuten an einzelnen Tagen und mit einem Erwachsenen!
- 6–9 Jahre: Höchstens 30 bis 45 Minuten an einzelnen Tagen und mit einem Erwachsenen!
- 9–12 Jahre: Höchstens zwei Stunden freizeitliche Bildschirmnutzung!
- 16–18 Jahre: Orientierungswert – weiterhin höchstens 2 Stunden freizeitliche Nutzung!
Damit ist die DGKJ sogar noch etwas strenger als die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die beispielsweise nur bis zum Alter von zwei Jahren absolute Bildschirmfreiheit empfiehlt.4 Allerdings: In Deutschland verbringen Kinder und Jugendliche im internationalen Vergleich besonders viel Freizeit mit digitalen Medien. Laut einer aktuellen Auswertung der OECD sind es fast drei Viertel der 15-Jährigen, die an einem ganz normalen Schultag mehr als zwei Stunden mit TikTok, Zocken oder anderen digitalen Angeboten verbringen.5
Verhalten, das auf Sucht hinweist
Allerdings gibt es auch Hinweise auf problematisches Verhalten, was nicht unmittelbar etwas mit der Zeit vor dem Bildschirm zu tun hat. Sondern mit Verhalten, das auf eine Sucht hinweist. Darauf weist Kinderärztin Dr. Janna-Lina Kerth hin: „Problematisch ist beispielsweise, wenn Kinder oder Jugendliche überhaupt nicht mehr aufhören können: Sie stehen nachts heimlich auf und holen sich das Handy aus dem Wohnzimmer oder setzen sich vor den Computer. Oder wenn Beziehungen anfangen zu leiden: Es gibt immer weniger Kontakt zu Freunden oder der Familie. Oder wenn alles andere unwichtig wird: Hobbys werden vernachlässigt oder die Schule wird schleifen gelassen. Das sind Dinge, die auf einen Kontrollverlust hindeuten.“
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Was passiert bei zu viel Bildschirmzeit?
Teilweise hat Dr. Janna-Lina Kerth, Kinderärztin am Uniklinikum Düsseldorf schon Verständnis für Eltern, die Kinder ab und zu vor den Bildschirm setzen. Denn – das wissen viele Eltern aus Erfahrung – dann ist das Kind fast sofort beschäftigt oder abgelenkt. „Aber oft kauft man sich kurzfristig Zeit, für die man später bezahlt“, erklärt sie: Studien zeigen beispielsweise, dass viel Bildschirm die Schlafzeit von Kindern verkürzt.6
Dazu: Für die Entwicklung sei es sehr wichtig, dass Kinder ihre Umwelt wahrnehmen, kennenlernen, begreifen, erklärt sie: „Zeit, die vor dem Bildschirm verbracht wird, wird nicht mehr anders verbracht, also beispielsweise draußen mit den Geschwistern, wo sich die Kinder dann austoben. Das kann zu einer verzögerten motorischen Entwicklung und einem höheren Körpergewicht führen.“7 Auch Kurzsichtigkeit steht in engem Zusammenhang mit viel Bildschirmzeit, „vor allem im Kleinkindalter, wenn sich die Augäpfel noch entwickeln“, erläutert Dr. Janna-Lina Kerth. „Das gilt grundsätzlich auch für Bücher – aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ein ganz kleines Kind jeden Tag mehrere Stunden lang ein Buch direkt vor der Nase hat. Beim Handy kann das durchaus alltäglich werden“.
Zu viel Bildschirm hat auch beängstigende Folgen für das Gehirn
So hat die umfangreiche ABCD-Studie der National Institutes of Health (NIH) herausgefunden, dass Kinder, die mehr als zwei Stunden pro Tag mit Bildschirmaktivitäten verbrachten, bei Sprach- und Denktests schlechter abschnitten. Bei einigen Kindern mit mehr als sieben Stunden Bildschirmzeit pro Tag wurde sogar die Hirnrinde ausgedünnt, der Bereich des Gehirns, der für kritisches Denken und Schlussfolgerungen zuständig ist.8 Andere Studien konnten zeigen, dass viel Bildschirmzeit schlechtere Schulleistungen und mehr Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern mit sich brachten.9
Auch im Sozialleben macht das Handy Probleme
Je mehr Bildschirm, desto weniger Freunde, so die ABCD-Studie. Und laut der „DAK-Suchtstudie“ fühlt sich mehr als ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen ignoriert, weil ihr Gegenüber sich lieber mit dem Handy beschäftigt.10 Dazu zeigte sich in Studien ein Zusammenhang zwischen mehr Bildschirmzeit und schlechterem psychischem Wohlbefinden.11
Allerdings gab es auch einige (wenige) Überraschungen in der Forschung: So stellte die ABCD-Studie fest, dass Videospielen Verbesserungen beim Problemlösen, beim flexiblen Denken und beim Erinnerungsvermögen bringt.
Was können Eltern tun?
Spätestens wenn man Kinder im Teenager-Alter hat, steht fast jeder Familie Handy-Ärger ins Haus: Tablet-Sperre, Handy-Verbot, Computer konfisziert. Allerdings: Auch Forschende sind sich einig, dass digitale Medien aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken sind. Der Geist ist aus der Flasche und niemand kann ihn mehr zurückstopfen: Kinder und Jugendliche wollen miteinander kommunizieren, Neues lernen und auch ihre Abenteuerlust stillen – all das bieten Handy und Co.12 – ob es den Eltern gefällt oder nicht. Deswegen empfehlen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Eltern, nicht unvorbereitet in die Handy-Falle zu tappen und sich dann auf eine Kraftprobe mit dem Nachwuchs einzulassen. Sie raten: Möglichst genaue Absprachen, die für alle verbindlich sind. Was erst mal wie ein guter allgemeiner Rat klingt, ist allerdings gar nicht so weitverbreitet: Die DAK-Suchtstudie beklagt, dass von etwa 40 Prozent der Eltern der zeitliche Umfang der Mediennutzung nicht hinreichend festgelegt wird.
Einschätzung einer Kinderärztin
Auch Kinderärztin Dr. Janna-Lina Kerth rät grundsätzlich: Auf jeden Fall gemeinsam Regeln für Bildschirmzeiten ausmachen. „Diskutieren Sie mit Ihrem Kind: ‚Was könnte eine Abmachung sein, auf die wir uns eigen können?‘ Diese Abmachung wird dann konsequent durchgesetzt – auch wenn das schwierig ist und manchmal zu Streit führt.“ Wichtig sei aber auch, sich aufrichtig damit zu beschäftigen, was der Nachwuchs im Netz so macht. Allerdings möglichst nicht als „Detektiv, der mögliches Suchtverhalten penibel protokolliert: Das merken die Kinder relativ schnell und fühlen sich überwacht – wichtig ist, Vertrauen aufzubauen. Lieber mal fragen: ‚Kannst Du mir über das Computerspiel was erzählen, das Du da machst?‘ oder sich zeigen lassen, wofür sich das Kind genau interessiert.“, erklärt Dr. Janna-Lina Kerth. Wichtig sei, immer im Gespräch zu bleiben über das, was da am Bildschirm so faszinierend ist. „Und das auch später – nicht nur solange die Kinder klein sind, sondern immer dranbleiben.“
Und einen Aspekt sollte man besonders im Auge behalten, betont Dr. Janna-Lina Kerth: die Vorbildfunktion der Eltern. Denn Studien haben gezeigt, dass Kinder schon sehr früh mitbekommen, wie viel Zeit Eltern am Handy verbringen und was sie da machen, und dass die Unterbrechungen und die damit verbundene geistige und emotionale Abwesenheit sie traurig stimmt. Sie spüren, wenn sie gegen den Bildschirm verlieren.13 Diese elterlichen Bildschirm-Gewohnheiten bleibt nicht ohne Folgen für die Kinder: Zum einen hängen sie dann selbst länger am Handy oder vor dem Computer, zum anderen zeigen sich auch Bindungsprobleme zwischen Eltern und Kindern, gesteigerte Ängstlichkeit, mehr Rückzug und schlechtere Problemlösungsfähigkeiten.14

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Viele Jugendliche haben sogar selbst ein recht ausgeprägtes Empfinden dafür, dass Handy und Co. auch problematisch sein können, meint Dr. Janna-Lina Kerth: Wenn es ein stabiles, vertrauensvollen Verhältnis zwischen Eltern und Kindern gibt, fällt es ihnen leichter, mit den Eltern darüber zu reden, wenn Kinder spüren, dass vielleicht etwas nicht stimmt. „Die meisten Kinder sind meiner Erfahrung nach zugänglich für solche Gespräche“, ermutigt sie. Dazu weist die auf Selbsttests zum Medienkonsum im Netz hin, wie zum Beispiel vom Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit oder von der Universität Heidelberg. Eine unkomplizierte E-Mail-Beratung gibt es außerdem beim Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit. Hilfe bieten auch Erziehungsberatungsstellen, Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen und Fachleute aus der Kinder- und Jugendpsychotherapie.