Der „Schlummertrunk“ gilt als traditionelle wie bewährte Einschlafhilfe. Gemeint ist damit vor allem die alkoholische Version in Form von Likör, Punsch oder Rotwein. FITBOOK hat bei einer Schlafforscherin nachgefragt, ob Alkohol wirklich beim Einschlafen hilft.
Wer es kennt, weiß, wie zuverlässig der berühmte Schlummertrunk wirken kann: Ein kleines Gläschen Wein vor dem Zubettgehen und schon gleitet man in den Schlaf hinüber. Auch fällt nach einer Dinnerparty, bei der mehr Alkohol als üblich konsumiert wurde, das Einschlafen scheinbar leichter. Ist Alkohol – verglichen mit schneller süchtig machenden Schlaftabletten – womöglich das kleinere Übel? Oder handelt es sich gar um einen kompletten Trugschluss? FITBOOK hat bei der Schlafforscherin Dr. Christine Blume nachgefragt.
Überblick
»Alkohol hilft beim Einschlafen, ist aber keine Einschlafhilfe
Der erste Schein trügt tatsächlich nicht, bestätigt Christine Blume: „Das Gefühl, dass Alkohol beim Einschlafen helfen kann, ist nicht falsch. Das nehmen wir so wahr und das stimmt auch. Das liegt daran, dass Alkohol an bestimmten Rezeptoren im Gehirn wirkt, an sogenannten GABA-Rezeptoren (Gamma-Amino-Buttersäure-Rezeptoren). Wenn dort was andockt, dann wird die Gehirnaktivität generell gedämpft.“ Alkohol trägt einen daher so gut in den Schlaf hinüber, weil er müde und träge macht und zudem angstlösend wirkt. „Also alles Effekte, die ganz gut zum Schlafen passen.“
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Wie Alkohol in Wahrheit den Schlaf stört
Der Schlummertrunk kümmert sich lediglich um Schritt eins – das Einschlafen. Aber das war es in gewisser Weise auch schon, denn nun beginnt der Alkohol im Blut die Schlafqualität massiv zu stören, so die Schlafexpertin: „Der Schlaf ist im Laufe der Nacht nicht immer gleich. Es gibt sogenannte Schlafzyklen, die dauern jeweils ungefähr 90 Minuten und in jedem dieser Zyklen durchlaufen wir einmal jede Schlafphase. Im Verlauf der Nacht wird der Tiefschlaf in diesen Phasen aber immer weniger.“ Das Tückische: Alkohol verschiebt besagte Schlafphasen, vor allem den REM-Schlaf (Träume) und den Tiefschlaf (Regeneration). „Das führt dazu, dass wir nicht so gut schlafen. Abgesehen davon, haben höhere Dosen Alkohol gesundheitlich negative Effekte, die zusätzlich den Schlaf stören.“
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Alkohol versetzt das Herz während des Schlafs in Stress
Da wäre noch ein Faktor, der vielen Menschen oft gar nicht bewusst ist, ergänzt Blume: „Alkohol lässt das Herz schneller schlagen. So konnte zum Beispiel eine Studie, die auf dem Münchner Oktoberfest durchgeführt wurde, messen, dass je mehr Alkohol im Blut der Studienteilnehmer war, desto schneller schlug das Herz. Das heißt Personen, die getrunken haben, nachts eine erhöhte Herzrate. Das ist Stress für den Körper.“ Während man nach einem großen Schlummertrunk vermeintlich gut schläft, macht das Herz völlig unbemerkt alles andere als eine Erholungsphase durch.1
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Nicht zu unterschätzen – der Suchtfaktor
Verschreibungspflichtige Schlaftabletten machen schnell süchtig, aber auch Alkohol hat bekanntlich ein körperliches wie psychisches Abhängigkeitspotenzial, warnt die Schlafexpertin. Die Schwelle von Genuss zu „Ich brauch das jetzt“ ist schnell überschritten. „Wenn man das Gefühl hat, dass man Alkohol zum Einschlafen braucht, dann sollte man auf jeden Fall sehr vorsichtig sein und überlegen, was man denn nicht stattdessen tun könnte. Es bleibt irgendwann auch nicht mehr bei einem Glas Wein. Irgendwann wird das Achtel-Glas zum Viertel-Glas und das Viertel-Glas zu einer halben Flasche.“
Quellen
- Brunner, S., Herbel, R., Drobesch, C. et al. (2017) Alcohol consumption, sinus tachycardia, and cardiac arrhythmias at the Munich Octoberfest: results from the Munich Beer Related Electrocardiogram Workup Study (MunichBREW).(aufgerufen 03.09.2021)