Serdar Deniz (35) spritzt sich seit acht Wochen das Diabetes-Medikament Ozempic mit dem Wirkstoff Semaglutid, das den Appetit ausschaltet. Doch obwohl er seitdem zehn Kilo verloren hat, überwiegt bei ihm ein mulmiges Gefühl.
„In den ersten zwei bis drei Minuten spürte ich leichte Übelkeit“, erzählt Serdar Deniz. Danach sei ihm noch eine Weile flau im Magen gewesen. Inzwischen habe sich sein Körper aber an die Spritze gewöhnt. Dass der Wirkstoff so anschlägt, wie er anschlägt, habe ihn „schon krass überrascht“. Der 35-jährige Berliner scheint die Lösung für sein drängendstes Problem gefunden zu haben: ein Wundermittel zum Abnehmen, denn Serdar ist fettleibig. Seine Abnehmreise dokumentiert er seit Wochen in seinem Podcast „FettUcation“. Mit FITBOOK sprach er über seine Erfahrung mit dem Diabetes-Medikament Ozempic, um dessen Wirkstoff Semaglutid ein regelrechter Hype entstanden ist.
Übersicht
Zehn Kilo in acht Wochen – auch dank Ozemic
25 Kilo sollen runter bis zum Sommer, das hatte sich Serdar Deniz im Frühjahr vorgenommen (FITBOOK berichtete). Geschafft hat er bislang zehn Kilo. Sein Ziel wird er aber sehr wahrscheinlich nicht mehr erreichen können. Dennoch: Zehn Kilo in acht Wochen sind eine Menge. Ein Faktor dafür war neben mehr Bewegung und einer angepassten Ernährungsweise auch die medikamentöse Therapie mit Ozempic, das den Wirkstoff Semaglutid enthält.
Semaglutid wurde für Menschen mit Diabetes Typ 2 entwickelt. Der Wirkstoff wirkt ähnlich wie das körpereigene, appetithemmende Hormon GLP-1 (Glucagon-like Peptid 1). Einmal pro Woche in einer festgelegten Dosis gespritzt oder täglich als Pille eingenommen, bewegt der Wirkstoff die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse dazu, Insulin freizusetzen, zügelt dadurch den Appetit und die Geschwindigkeit der Magenentleerung.
In Europa ist Semaglutid seit 2018 als Diabetes-Medikament Ozempic zugelassen. Weil sich damit mit geringem Aufwand erfolgreich abnehmen lässt, hat eine weitere Zielgruppe das Mittel für sich entdeckt: Normal- und Übergewichtige, die ein paar Kilo verlieren möchten und ihren Arzt um ein Rezept bitten. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht „atemberaubende Vorher-Nachher-Bilder“ aus den sozialen Netzwerken die Runde machen, die der Einnahme des – verschreibungspflichtigen – Medikaments zugeschrieben werden. Aufgrund dieser hart kritisierten Off-Label-Verschreibungen kam es zuletzt sogar zu Lieferengpässen für Patienten, die auf das Mittel angewiesen sind.
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Erfahrung mit Ozempic: „Durch das Medikament komme ich immer wieder in ein falsches Denken“
Als diagnostizierter Diabetes-Typ-2-Patient ist Serdar Deniz kein Trittbrettfahrer, was die Einnahme von Ozempic angeht, sondern Haupt-Zielgruppe. Einmal pro Woche schraubt Deniz den fingernagelgroßen Aufsatz auf die Spritze und jagt sich das Präparat in die Bauchfalte. „Erst mal war alles in Ordnung, es pikst nicht mal wirklich“, erzählt er FITBOOK. So richtig spürte er die Wirkung des Medikaments, als nach vier Wochen die Dosierung des Wirkstoffs von 0,25 auf 0,5 Mikrogramm erhöht wurde. „Mein Appetitgefühl ist komplett verschwunden“, berichtet Deniz über seine Erfahrung mit Ozempic. Zurückgekehrt sei es dann ein oder zwei Tage, bevor die nächste Spritze fällig war. „Das hat mich krass überrascht und war für mich die Bestätigung dafür, dass das Medikament wirkt.“
Inzwischen spritzt Serdar Ozempic in der achten Woche und das Gefühl, darauf angewiesen zu sein, wird bei ihm immer stärker.„Abhängigkeit ist vielleicht das falsche Wort“, überlegt der 35-Jährige. „Aber man kommt schon in das Denken: Ich nehme die Spritze, also kann ich mir eine Tüte Süßigkeiten gönnen.“ Er weiß, dass das ein Trugschluss ist: „Durch das Medikament komme ich immer wieder in ein falsches Denken.“ Auf keinen Fall möchte er sich diese Spritze ein Leben lang geben, versichert er. Deshalb setzt er auch nicht nur darauf, sondern hauptsächlich auf eine Ernährungsumstellung, um langfristig schlanker und gesünder durchs Leben zu gehen. Er hoffe, sagt Serdar, dass er die Spritze nicht mehr braucht, sobald sich sein Blutzuckerwert sichtlich verbessert hat. „Es macht keinen Spaß, ständig Medikamente nehmen zu müssen“, sagt er.
In seinem Podcast „Fettucation“ berichtet Serdar Deniz Woche für Woche über seine Abnehmreise und die Erfahrung mit Ozempic. Er sucht das Gespräch mit Ärzten, Fachleuten und Gleichgesinnten. Das Ganze ist gleichermaßen Aufarbeitungs- und Motivationshilfe: Wie konnte es zur Fettleibigkeit kommen? Und wie kommt er da wieder raus?
Was sagt Serdar zu Normalgewichtigen, die sich Ozempic spritzen?
Dass immer mehr Normal- oder nur leicht Übergewichtige die Abnehmspritze wollen und ihren Arzt um ein Rezept bitten, verurteilt er nicht. „Wer sich unwohl fühlt, hat in meinen Augen das Recht auf ein Hilfsmittel.“ Dennoch gibt er zu bedenken, dass man bei fünf Kilo zu viel erst einmal alternative Wege einschlagen sollte, „ehe man jemandem, der darauf angewiesen ist, den Weg verbaut“. Er selbst habe die Lieferengpässe zu spüren bekommen und musste zwei Wochen darauf warten.
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Entflammte Brokkoli-Liebe und 10.000 Schritte täglich
Mittlerweile liegen vier Monate Abnehm-Projekt hinter ihm. Gestartet ist Serdar mit 125 Kilo und einem BMI von 42; aktuell steht er bei 115 Kilogramm, und irgendwann will er sogar unter die magische 100-Kilo-Marke rutschen. Eine enorme Vorliebe für Brokkoli ist entflammt („gedünstet, als Bällchen, als Taler, ich kann nicht mehr aufhören!“); eine fünftägige Saftkur hat er gerade hinter sich (wie es gelaufen ist, berichtet Deniz in der aktuellen Folge seines Podcasts „Fettucation“). Nun soll ein temporärer, kompletter Zuckerverzicht folgen. Richtiger Sport gehört noch nicht zu seinem Alltag, weil es die Gelenke überlasten würde. Dafür legt Serdar täglich zwischen 7000 und 10.000 Schritte zurück und radelt auf einem Home-Ergometer. Es ist ein langer, steiniger Weg, auf dem FITBOOK Serdar weiter begleiten wird.
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Kürzlich war er für ein paar Tage in London. Dass dort auf Speisekarten hinter jedem Gericht die Kalorienzahl steht, hat ihn begeistert. „Das schärft so krass das Bewusstsein für gesunde Ernährung“, sagt Serdar. „Warum machen wir das nicht in Deutschland?“ Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat er deshalb schon geschrieben. Eine Antwort kam bisher nicht.