
12. Juni 2025, 16:15 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Wenig Bewegung, verunsicherte Eltern, fehlende Aufklärung – beim Kindergesundheitsgipfel 2025 in Berlin diskutierten führende Expertinnen und Experten über die größten Herausforderungen für die Gesundheit von Kindern in Deutschland. Wie können Kinder resilienter werden? Welche Rolle spielen Spiel, Zahngesundheit und Impfungen? FITBOOK war vor Ort – und zeigt, was jetzt wichtig ist.
Wie lassen sich Kinder frühzeitig für Gesundheit sensibilisieren? Welche Rolle spielen Aufklärung, Schule und Elternhaus? Und wie können Prävention, Spiel und medizinische Versorgung künftig besser zusammengedacht werden? Beim Kindergesundheitsgipfel 2025 trafen sich in Berlin führende Stimmen aus Medizin, Wissenschaft, Bildung und Politik – mit klaren Forderungen und bewegenden Botschaften.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
- Politischer Auftakt: Impfen – zwischen Aufklärung und Unsicherheit
- Zahngesundheit: Was Kinderzähne wirklich brauchen
- Spiel und Resilienz: Was Kinder stark macht
- Mentale Gesundheit und Selbstwirksamkeit
- Fetales Alkoholsyndrom – mehr Aufklärung nötig
- „Bunt statt blau“ beim Kindergesundheitsgipfel
- Abschlussdiskussion: Alltagstaugliche Lösungen für alle Kinder
Politischer Auftakt: Impfen – zwischen Aufklärung und Unsicherheit
Im Eröffnungsteil des Kindergesundheitsgipfels sprachen unter anderem Prof. Reinhard Berner, Vorsitzender der STIKO, sowie Kati Degenhardt, Chefredakteurin BILD. Thematisiert wurde die Kluft zwischen gut informierten und gleichzeitig stark verunsicherten Eltern. Der Appell: Gesundheitsaufklärung muss verständlicher und präsenter werden – besonders bei Themen wie Impfungen.
Eine große Herausforderung stellen Internet und Social Media dar. „Vieles, was über Impfen im Internet verbreitet wird, sind Mythen. Vieles davon stimmt nicht. Das ist eine große Aufgabe“, erklärte Prof. Reinhard Berner beim Kindergesundheitsgipfel. Dem müsse man mit stichfesten Informationen entgegenwirken und darin müsse man besser werden. „Das ‚Problem’ unserer Impfungen ist, dass sie so erfolgreich sind. Das heißt, wir kennen die Krankheiten und die schrecklichen Bilder gar nicht mehr, und das schon über Generationen hinweg“, erläuterte er die paradoxe Situation. Die gute Nachricht sei aber, dass Deutschland bei Kinderimpfungen im internationalen Vergleich recht gut da stehe. „Ein bis drei Prozent der Kinder haben keine Impfung erhalten. Das ist immer noch zu viel, aber wir sind kein impfmüdes Land.“
Allerdings: Die vollständige Grundimmunisierung bei Mehrfachimpfungen wie Masern und Polio werde bei zu vielen Kindern zu spät erreicht – oft erst mit Schuleintritt. Diese Lücke zwischen Erst- und Folgeimpfungen gelte es, zu schließen, denn in dieser Zeit seien Kinder stark gefährdet, die Krankheiten zu bekommen. „Wir können schlicht von Glück reden, dass es kaum Ausbrüche gibt“, betonte der STIKO-Vorsitzende.
Auch interessant: ADHS bei Kindern – so erkennen Sie die Symptome rechtzeitig
Zahngesundheit: Was Kinderzähne wirklich brauchen
Ein Panel-Talk legte den Fokus auf präventive Maßnahmen bei Zahnhygiene und betonte den Stellenwert zahnmedizinischer Betreuung bei Kindern. Auf dem Podium: Prof. Katrin Bekes, Dr. Steffi Beckmann (DAJ) und Dr. Michael Hubmann (BVKJ). Diskutiert wurde u. a., wie Eltern, Schulen und Vorsorgesysteme besser zusammenarbeiten können – gerade vor dem Hintergrund aktueller Daten zur Zahngesundheit bei Kindern.
Prof. Katrin Bekes betonte: „Im internationalen Vergleich stehen wir sehr gut da.“ So seien bereits 86 Prozent der Zwölfjährigen kariesfrei – eine erfreuliche Bilanz. Gleichzeitig gebe es jedoch auch Anlass zur Sorge: Rund 14 Prozent der Dreijährigen – also jedes siebte Kind – hätten bereits Karies.

Ein weiteres Thema war die zunehmende Polarisierung bei elterlichem Verhalten: „Es gibt Eltern, die über alles hochgradig informiert sind – und andere, bei denen nichts stattfindet“, so Bekes. Entsprechend groß sei der Handlungsbedarf bei niedrigschwelliger Aufklärung und der frühzeitigen Integration präventiver Maßnahmen – nicht nur im familiären Umfeld, sondern auch in Kitas und Schulen.
Was Kinderzahnärztin Anne Heinz in der Videoreihe „FITBOOK Experts“ zum Thema Karies erklärt hat, erfahren Sie hier:
Spiel und Resilienz: Was Kinder stark macht
Prof. Claudia Calvano (Psychologin und Expertin für Kinder- und Jugendpsychotherapie), Prof. André Frank Zimpel (Diplompsychologe, Psychotherapeut (HPG), Sonder- und Diplompädagoge an der Universität Hamburg mit den Schwerpunkten Neurodiversität, Spieltheorie und Lernschwierigkeiten), Vanessa Stallbaum (Resilienz-Trainerin, bekannt als „Frau Mutmacher“) und Julia Goldhammer (Geschäftsführerin und Vice President Zentraleuropa der Lego Gruppe).

„Wir geben Kindern und Jugendlichen eine Stimme, indem wir sprechen“, sagte Calvano und verwies auf die alarmierenden Befunde der Lancet-Kommission (2024). Sorgen um Krieg, Klima und Zukunft belasteten junge Menschen – Spiel fördere in diesem Kontext soziale Kompetenz, psychische Stabilität und Fantasie. „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“, so Zimpel. Spielen ermögliche Kindern, als „Helden“ Probleme zu lösen – mit Leichtigkeit: 300-mal lachen Kinder am Tag, Erwachsene nur 15-mal.
Mentale Gesundheit und Selbstwirksamkeit
Im Anschluss rückte die psychische Gesundheit von Kindern in den Fokus. In einem Impulsreferat und moderierten Diskussionen – u. a. mit einem Videobeitrag von Fußballstar Philipp Lahm – ging es um den Umgang mit Angst, Stress und Medienüberlastung sowie um mentale Techniken und Strategien gegen negative Gedanken.
Lahm berichtete eindrücklich: „2007 bin ich nach Afrika gereist und habe gesehen, wie nah Reichtum und Armut beieinander liegen – und wie wichtig Perspektive ist.“ Kindern müsse Mut gemacht werden, ihre Sicht auf die Welt aktiv mitzugestalten, so Lahm. Dazu brauche es Vertrauen – in sich selbst und von außen. „Jeder hat seine Stärke, und sie in die Gesellschaft einzubringen, ist wichtig“, betonte der Ex-Nationalspieler.
Gesundheit in der Schule verankern
Wie Gesundheitskompetenz im Schulalltag gestärkt werden kann, war Thema der Diskussion mit Sarah Majorczyk, Andreas Storm (DAK) und weiteren Gästen. Der Tenor: Gesundheitswissen solle altersgerecht, praxisnah und fest im Lehrplan verankert sein – von Ernährung über Bewegung bis hin zu Aufklärung.
Fetales Alkoholsyndrom – mehr Aufklärung nötig
Auch gesellschaftlich wenig beachtete Themen wie das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) wurden angesprochen. Fachleute forderten stärkere Aufklärungskampagnen – sowohl für Eltern als auch im schulischen Kontext. „Rund 14.000 Kinder – fast 40 pro Tag – werden jedes Jahr mit FAS geboren“, erklärte Dr. Heike Kramer.

Wie sehr Kinder unter den Folgen elterlichen Alkoholmissbrauchs leiden, machte auch die ehemalige „Germany’s next Topmpdel“-Kandidatin Betty Taube in ihrem eindrücklichen Erfahrungsbericht deutlich: „Meine Kindheit war keine Bilderbuch-Kindheit. Bis zu meinem neunten Lebensjahr bin ich bei meiner alkoholkranken Mutter aufgewachsen. Jeden Tag psychische und physische Gewalt. Weinen. Schreien. Blaue Flecken. Und ganz viele Lügen. ‚Sag, die blauen Flecken kommen vom Spielen!’ Das hat meine Mutter mir gesagt.“ Der Druck, nach außen den Schein zu wahren, sei immens gewesen.
„Bunt statt blau“ beim Kindergesundheitsgipfel
Jugendliche setzten beim bundesweiten Malwettbewerb „Bunt statt Blau“ ein starkes Zeichen gegen Alkoholmissbrauch. Andreas Storm (DAK-Gesundheit) und Sarah Majorczyk (Ein Herz für Kinder) zeichneten die Siegerinnen des Wettbewerbs persönlich im Rahmen des Kindergesundheitsgipfels aus.
Storm betonte die nachhaltige Wirkung solcher Präventionsprojekte: „Das Besondere an diesem Wettbewerb ist, dass die Jugendlichen sich überlegen: Wie kann ich die negativen Folgen von Alkoholkonsum darstellen? Und was sie sich im Kopf vorstellen, bringen sie auf Papier – das wirkt nachhaltig.“

Der Rückgang der Klinikaufnahmen wegen Rauschtrinkens spricht für sich: „2010 hatten wir 25.000 Einweisungen – 2023 waren es unter 10.000. Das ist wirklich sehr, sehr erfolgreich.“, so Storm. Trotzdem müsse der Einsatz weitergehen: „Wir brauchen Beispiele, in denen wir sehen, dass Prävention wirkt. Wir dürfen da nicht aufhören – wir haben eine Erfolgsstory.“

Geschäftsführer der Deutschen Sportjugend: »Politik muss sich für Sport bei Kindern engagieren

So gefährlich sind Computerspiele für Kinder

Arzt warnte Michelle Obama vor negativen Folgen der Ernährung ihrer Töchter
Abschlussdiskussion: Alltagstaugliche Lösungen für alle Kinder
Zum Abschluss des Kindergesundheitsgipfels diskutierten Vertreter und Vertreterinnen aus Bildung, Politik und Gesundheitswesen – darunter Andrea Franke, Dr. Andreas Gassen, Maja Zaubitzer und weitere – darüber, wie gesundes Aufwachsen unabhängig vom sozialen Hintergrund gelingen kann.
„Kinder sind die Zukunft unseres Landes“, betonte Dr. Andreas Gassen und unterstrich die Notwendigkeit, gesundheitliche Chancengleichheit frühzeitig zu fördern.
Maja Zaubitzer, Bundesdelegierte der Landesschülervertretung Thüringen, forderte, den Fokus stärker auf Schülerinnen und Schüler zu legen. Die Runde war sich einig: Bildung und Gesundheit gehören zusammen – und müssen gemeinsam gedacht werden, wenn Kinder gesund und selbstbestimmt aufwachsen sollen.