17. Oktober 2024, 13:22 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Schon mal von Neurodiversität oder neurodivers gehört? Was genau dahintersteckt, welche Herausforderungen damit einhergehen und wie Betroffene sich den Alltag und v. a. das Arbeitsleben erleichtern können, erfahren Sie hier.
Neurodiversität beschreibt Menschen, deren Gehirn anders arbeitet als das der Mehrheit. Dieser Begriff umfasst Zustände wie Autismus, ADHS und Dyslexie und hebt hervor, dass diese neurologischen Unterschiede keine Krankheiten sind, sondern normale Variationen der menschlichen Gehirnentwicklung. Für viele neurodiverse Personen ist der Alltag, insbesondere im Arbeitsumfeld, eine Herausforderung. Doch Expertin Simone Burel, selbst neurodivers, zeigt im Gespräch mit der „dpa“ auf, dass diese Vielfalt auch wertvolle Potenziale birgt.
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei Whatsapp folgen!
Übersicht
Neurodiversität als wertvolle Vielfalt im Arbeitsumfeld
Neurodiversität bedeutet, die mentale Vielfalt von Menschen mit unterschiedlichen neurologischen Strukturen anzuerkennen. Simone Burel, Sprachwissenschaftlerin und Autorin, erklärt, dass neurodiverse Menschen besondere Stärken hätten, die in Arbeitskontexten oft von großem Nutzen seien. Dazu gehörten Kreativität, ein unkonventioneller Denkstil, Detailgenauigkeit und Empathie. Diese Fähigkeiten könnten in den richtigen Rahmenbedingungen eine große Bereicherung sein.
Auch interessant: Forscher identifizieren überraschenden Risikofaktor für Autismus bei Jungen
Besondere Fähigkeiten neurodiverser Menschen
Kreativität und innovative Denkansätze
Viele neurodiverse Personen sind bekannt dafür, neue Perspektiven einzubringen und außerhalb bestehender Strukturen zu denken.
Detailgenauigkeit
Vor allem Menschen mit Autismus weisen eine hohe Aufmerksamkeit für Details und Muster auf.
Fachwissen durch Hyperfokus
Durch tiefes Interesse an Spezialthemen können neurodiverse Personen ein hohes Maß an Fachkenntnis aufbauen.
Schnelles Lernen und Wissen abrufen
Personen mit ADHS sind oft in der Lage, schnell neues Wissen zu erlernen und abzurufen.
Empathie
Viele neurodiverse Menschen verfügen über eine tiefgehende emotionale Sensibilität.
Die genannten Fähigkeiten können jedoch nur dann voll ausgeschöpft werden, wenn neurodiverse Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse arbeiten können. Aber welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen?
Herausforderungen im Arbeitsalltag für neurodiverse Menschen
Laut Simone Burel gibt es drei zentrale Bereiche, in denen neurodiverse Personen im Arbeitsumfeld besonders gefordert sind.
1. Unterschiedliche Wahrnehmung von Reizen
Neurodiverse Menschen nehmen ihre Umwelt oft intensiver wahr. Geräusche, Farben oder Licht können als besonders störend empfunden werden. Burel beschreibt, dass bestimmte Töne für sie körperlich unangenehm sein können. Auch visuelle Reize wie Farben oder Oberflächen können sehr belastend wirken. Diese hypersensible Wahrnehmung macht es schwer, sich in lauten, hektischen Büros zu konzentrieren.
2. Abweichende Wissensverarbeitung
Neurodiverse Menschen verarbeiten Informationen oft anders. Das betrifft sowohl sprachliche als auch mathematische Konzepte. Manche bevorzugen schriftliche Kommunikation, da sie darin klarer und präziser sind, während mündliche Gespräche sie überfordern können. Dies kann im beruflichen Umfeld zu Missverständnissen führen, wenn z. B. spontane Telefongespräche statt schriftlicher Anfragen erwartet werden.
3. Schwierige soziale Interaktionen
Soziale Normen, wie sie in vielen Unternehmen gelten, sind für betroffene Menschen oft schwer verständlich. Kleine Lügen oder das Ignorieren von Tabuthemen im Gespräch sind Verhaltensweisen, die neurodiverse Menschen oft nicht nachvollziehen können. Viele versuchen deshalb, soziale Konventionen zu imitieren, was als „Masking“ bezeichnet wird. Dieses anstrengende Anpassungsverhalten erhöht jedoch den Stress und mindert langfristig die Leistungsfähigkeit.
Wie können neurodiverse Menschen ihre Arbeitsbedingungen verbessern?
Selbstermächtigung und Aufklärung
Für neurodiverse Menschen ist es wichtig, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und klar zu kommunizieren. Dies sei laut Burel der erste Schritt zu einer erfolgreichen Karriere. Anstatt sich den Arbeitsgewohnheiten der Mehrheit anzupassen, sollte man für sich einstehen und notwendige Anpassungen einfordern.
Offene Kommunikation am Arbeitsplatz
Das Gespräch mit Vorgesetzten und Kollegen über die eigene Neurodiversität kann Verständnis und Unterstützung schaffen. Unternehmen sind häufig bereit, Veränderungen vorzunehmen, wenn klar ist, was nötig ist, um produktiv arbeiten zu können. Besonders Anpassungen bei Arbeitszeiten und -räumen können hilfreich sein.
Netzwerke und Unterstützungsgruppen
Es kann sehr nützlich sein, Unterstützung in Form von Netzwerken zu suchen. Diese können sowohl intern im Unternehmen als auch extern durch Selbsthilfegruppen bestehen. Durch den Austausch mit anderen neurodiversen Menschen oder unterstützenden Kollegen können wertvolle Erfahrungen geteilt und ein sicherer Raum geschaffen werden.
Selbstfürsorge als Schlüssel zum Erfolg
Selbstfürsorge ist für neurodiverse Menschen essenziell. Regelmäßige Pausen, Bewegung und Entspannungstechniken wie Atemübungen können helfen, Stress abzubauen und die Produktivität zu steigern.
Entwicklungsstörung Was ist das Asperger-Syndrom?
Asperger-Syndrom »Für mich als Autistin hat die Corona-Krise viel Positives
Studie liefert Hinweise Autismus bei Kindern möglicherweise an Augenbewegungen erkennbar
Was tun, wenn es zu Ablehnung kommt?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass neurodiverse Menschen auf Unverständnis oder sogar Ablehnung stoßen, wenn sie offen über ihre Neurodiversität sprechen. Burel empfiehlt, in solchen Situationen sachliche Informationen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu teilen, um Vorurteile abzubauen. Gleichzeitig sei es wichtig, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu sein und sich von negativen Kommentaren nicht entmutigen zu lassen. In besonders schwierigen Fällen könne es ratsam sein, professionelle Unterstützung durch Therapeutinnen oder Berater in Anspruch zu nehmen.
Mit Material von dpa