Kinderlähmung (Polio) galt in Europa als ausgerottet. Doch im Sommer wurden die Erreger erstmals wieder bei einer Abwasseruntersuchung in London nachgewiesen. Jetzt schlägt man im US-Bundesstaat New York ebenfalls Alarm. Was Sie über Kinderlähmung wissen sollten, darunter Ursachen, Symptome, Behandlung und Impfschutz.
Im Jahr 2002 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für ausgerottet erklärt, wurden im Juni bei einer Abwasserkontrolle in London Spuren von Polioviren gefunden. Dasselbe nun auch in mehreren Landkreisen des US-Bundesstaats New York. Aus Sorge, dass sich der Erreger in der Millionenmetropole New York ausbreitet, hat die New Yorker Gesundheitsbehörde den Katastrophenalarm ausgerufen. Das Virus verursacht eine von teils heftigen Symptomen begleitete Krankheit, die als Polio oder auch Kinderlähmung bekannt ist. Auch Erwachsene können sich anstecken. Allerdings machte sich früher die Krankheit samt drohender Folgeschäden aufgrund der hohen Ansteckungsrate meist schon in der Kindheit bemerkbar. Dank Impfstoffen droht dieses Schicksal – zumindest in der westlichen Welt – eigentlich niemandem mehr.
Übersicht
Wie sich Polioviren übertragen
Polioviren werden laut Robert-Koch-Institut (RKI) hauptsächlich über mit menschlichen Fäkalien verunreinigtes Wasser übertragen.1 Daher bergen verschmutztes Trinkwasser und schlechte hygienische Zustände die größten Gefahren. Gelangen die Erreger in den Darm, kann es drei bis 35 Tage dauern, bis die ersten Polio-Symptome auftreten. Während dieser Zeit merken Betroffene nicht, dass sie sich angesteckt haben und können den Erreger durch fehlendes Händewaschen nach dem Toilettengang weitergeben. Dafür reicht eine extrem geringe Menge. Eine Übertragung durch Husten oder Niesen ist kurz nach der Ansteckung ebenso für eine gewisse Zeit möglich. Grundsätzlich gilt: Solange sich das Virus im Körper befindet, besteht Ansteckungsgefahr.
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Kinderlähmung (Polio) – Symptome und Verlauf
Tatsächlich kommen die allermeisten Infizierten glimpflich mit Durchfall davon und scheiden darüber das Virus einfach wieder aus. Bei vier bis acht Prozent kommt es zu Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Halsschmerzen und Muskelschmerzen. Daher werden die ersten Symptome einer Kinderlähmung oft mit der Grippe verwechselt.
Problematisch wird es, wenn es das Virus schafft, über die Darmwand ins Blut zu gelangen, was bei etwa einem Prozent der Fälle passiert. Dies ermöglicht es dem Virus, Hirn und Rückenmark zu befallen. Die Folgen:
- Muskelspasmen
- Nackensteifheit
- Rückenschmerzen
- Lähmungserscheinungen (namensgebend)
- motorische Schwäche von Arm-, Bauch-, Thorax- oder Augenmuskeln (tritt bei Kinder etwas häufiger auf)
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Behandlungsmöglichkeiten und Krankheitsdauer
Es gibt weder ein Medikament noch andere spezielle Therapien gegen Polioviren. Bei einer Kinderlähmung bleibt einem einzig, die Symptome zu lindern, bspw. mit fiebersenkenden oder schmerzstillenden Mitteln. Meist gelingt es den eigenen Selbstheilungskräften, den Erreger innerhalb von drei bis sechs Wochen vollständig aus dem Körper zu vertreiben. Je nach Verlauf helfen im Anschluss physiotherapeutische und orthopädische Therapien.
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Drohende Folgeschäden
Die Lähmungen bilden sich meistens nur teilweise zurück. Betroffene leiden demnach ihr ganzes Leben unter den Folgeerscheinungen. Hat das Virus zudem den Hirnstamm angegriffen, kommt es zu Schäden der zerebralen bzw. vegetativen Nervenzentren, sodass die Signalübertragung zwischen Gehirn und Körper gestört bleibt. Das Postpolio-Syndrom ist besonders tückisch, da es erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Erkrankung in Erscheinung tritt. Dabei handelt es sich um eine chronische Muskelschwäche mit immer stärker werdendem Verlauf.
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Warum eine Polio-Impfung weiterhin wichtig ist
Auch wenn Kinderlähmung bzw. Polio nicht immer heftigen Symptomen einhergehen muss, ist jeder einzelne schlimm verlaufende Fall vermeidbar. Dies war noch vor dem Jahr 1960 bei jedem 100. Menschen der Fall. So ist es einer erfolgreichen Impfkampagne zu verdanken, dass trotz des Virenfunds in London bislang keine neuen Krankheitsfälle gemeldet worden sind. Anders in den USA – dort ist im Juli in einer betroffenen Kommune im Bundesstaat New York ein Mann an Polio erkrankt. Experten machen Impfmüdigkeit für das erneute Aufkommen der eigentlich als ausgerottet geltenden Infektionskrankheit verantwortlich. Deshalb lautet nun der eindringliche Rat an nicht geimpfte Personen, sich immunisieren zu lassen. Die Impfempfehlung gelte insbesondere für Kinder.
Damit auch die Bevölkerung in Deutschland weiter vor den Polioviren geschützt sind, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), die drei ersten Impfungen im Säuglingsalter sowie die Auffrischungsimpfung für Teenager weiterhin einzuhalten.2 Erwachsene, die als Kind nicht ausreichend geimpft worden sind, können dies jederzeit problemlos nachholen.
Quellen
- 1. Robert-Koch-Institut: Poliomyelitis – RKI-Ratgeber (aufgerufen am 27. Juni 2022)
- 2. Robert-Koch-Institut: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (aufgerufen am 27. Juni 2022)