182 Fälle seit Januar, vier davon mit tödlichem Verlauf – in Peru wurde der Gesundheitsnotstand ausgerufen. Der Grund ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS). FITBOOK erklärt die Nervenkrankheit – und ob wir auch in Deutschland mit mehr Fällen rechnen müssen.
Die Ursache für die Häufung von Erkrankungen in Peru ist zurzeit noch nicht bekannt. Mit der Erklärung des Notstands soll dafür gesorgt werden, dass die Krankenhäuser im Land ausreichend Medikamente zur Behandlung erhalten. Außerdem stelle sie sicher, dass die epidemiologische Überwachung intensiviert werde. So die Begründung von Perus Gesundheitsminister César Vásquez.1 Doch durch welche Symptome macht sich das Guillain-Barré-Syndrom eigentlich bemerkbar und wie gefährlich ist es?
Übersicht
Was ist das Guillain-Barré-Syndrom?
Beim Guillain-Barré-Syndrom handelt es sich um eine Form der Nervenkrankheit Polyneuropathie. Dabei greift das körpereigene Immunsystem die Nerven an, was zu Muskelschwäche führt. Von der Störung betroffen sind einer von zwei (oder beide) Bereichen:
- Myelinscheide
- Axon
Die Myelinscheide umschließt den Nerv und macht eine schnelle Signalübertragung möglich. Das Axon ist der Teil des Nervs, der die Signale übermittelt. Das Guillain-Barré-Syndrom sorgt also dafür, dass Nerven Impulse nicht richtig weiterleiten können.2
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Ursache
Die Ursache für die Erkrankung ist bislang nicht geklärt. Angenommen wird eine Autoimmunerkrankung als Auslöser. Da die ersten Symptome häufig fünf Tage bis drei Wochen nach einer Infektion auftreten, ist die Vermutung, dass ebendiese bei der Entstehung des Syndroms eine Rolle spielt. Infektionen, die mit Guillain-Barré-Syndrom in Verbindung gebracht werden, sind etwa Infektionen der oberen Atemwege, eine bakterielle Magen-Darm-Infektion (mit Campylobacter-Bakterien), eine Grippe oder Erkältung.3 Auch nach Impfungen und Operationen gab es schon Krankheitsfälle.
Als Folge von Covid-19
In Einzelfällen ging der Nervenkrankheit auch eine Coronainfektion voraus. Einen solchen, sehr dramatischen Fall, beschreibt das Klinikum Ingolstadt. Bei dem betroffenen Patienten entwickelte sich die Erkrankung und der Verlust der Muskelkontrolle so schnell und extrem, dass er sogar künstlich beatmet werden musste. Fünf Wochen lang war der Mann praktisch in „seinem Körper eingesperrt“ (Locked-In-Syndrom) und konnte nicht kommunizieren. Dank der Behandlung durch die Ärzte und die Betreuung des Pflegepersonals im Krankenhaus verbesserte sich der Zustand des Mannes und er war er nach und nach wieder in der Lage, zunehmend mehr Bewegungen auszuführen.4
Studie zum Zika-Virus
Auch nach einer Infektion mit dem Zika-Virus entwickelten einige Patienten das Guillain-Barré-Syndrom. In einer französischen Studie, in der Forscher nach einem Ausbruch von GBS in Französisch-Polynesien Blutproben von Betroffenen untersuchten, konnten sie 2016 einen Zusammenhang zwischen der Infektion und GBS und auch erstmals wissenschaftlich nachweisen. Beim Zika-Virus handelt es sich um eine Krankheit, die von Mücken auf den Menschen übertragen wird.5
Fälle des Syndroms sind sehr selten. GBS tritt jährlich bei 0,5 bis zwei von 100.000 Personen auf.6
Die Symptome
Das Syndrom macht sich zunächst durch Schwäche, Kribbeln und Empfindungsverlust bemerkbar. Die Symptome beginnen zumeist in den Beinen, manchmal auch in den Armen oder im Kopf, und breiten sich dann im Körper aus. Reflexe nehmen ab oder schwinden ganz. Vor allem das Gefühl der Schwäche ist ein starker Indikator für diese Form der Polyneuropathie. Sie ist in den meisten Fällen drei bis vier Wochen nach Auftreten der ersten Krankheitszeichen am stärksten ausgeprägt.
Die Schwäche kann auch die Gesichts- und Schluckmuskulatur angreifen, sodass Patienten Probleme beim Essen und Trinken haben. Sie erbrechen sich, leiden an Mangelernährung und/oder Dehydrierung. In fünf bis zehn Prozent der GBS-Fälle ist die Atemmuskulatur so stark von der Schwäche bzw. Lähmung betroffen, dass wie im oben beschriebenen Fall eine künstliche Beatmung notwendig wird.
Gefahr eines schnellen Fortschreitens
Die Gefahr des Syndroms besteht darin, dass die Erkrankung schnell voranschreitet und die Symptome in schlimmen Fällen rasch bedrohlich werden können. Generell kommt das Fortschreiten der Nervenkrankheit nach etwa acht Wochen zum Stillstand. Dennoch gilt: Eine sofortige Behandlung in einer Klinik ist notwendig, da nicht vorhergesehen werden kann, wie ernst das GBS von Fall zu Fall verlaufen wird.
Bei einer sofortigen Behandlung zeigen sich Verbesserungen häufig schon nach Tagen oder Wochen. Unbehandelt heilt das Guillain-Barré-Syndrom nach einigen Monaten ab. Bleibende Schäden wie Schwäche oder eine chronische Polyneuropathie sind möglich.
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Behandlung
Aufgrund der möglichen schnellen Verschlechterung des Zustands von Patienten sollte GBS in einer Klinik behandelt werden, die intensivmedizinische Versorgungsmöglichkeiten hat. Therapiert wird mit Immunglobulinen, die die Immunabwehr unterstützen sollen. Außerdem kommt ein medizinisches Verfahren namens Plasmapherese zur Anwendung. Dieses Austauschverfahren filtert die toxischen Bestandteile, die autoreaktiven Antikörper, aus dem Blut des Patienten.7
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Mehr Fälle des Guillain-Barré-Syndroms auch in Deutschland denkbar?
Aktuell ist wohl nicht von einer Gefahr vermehrter Fälle in Deutschland auszugehen. Selbst einzelne Fälle des Syndroms sind selten, noch unwahrscheinlicher ist ein Ausbruch vieler Fälle. Dass es jedoch nicht unmöglich ist, zeigt die aktuelle Situation in Peru. Da der Ursprung unklar ist, sollte man von Prognosen für andere Länder – inklusive Deutschland – absehen.
Ein Risikofaktor könnte zukünftig aber das Zika-Virus darstellen, das laut Forschung im Zusammenhang mit dem Guillain-Barré-Syndrom steht. Denn seit Jahren breiten sich in Europa und Deutschland Mückenarten aus, die ebendiesen Virus übertragen können. In Deutschland sind zwar bislang keine Infektionsfälle bekannt, in Südfrankreich dagegen schon. Damit scheint auch für uns hierzulande die Bedrohung näherzurücken.
Quellen
- 1. Tagesschau. Anstieg von Fällen seltener Nervenkrankheit. (aufgerufen am 11.7.2023)
- 2. Rubin, M. Guillain-Barré-Syndrom (GBS). MSD Manual. (aufgerufen am 11.7.2023)
- 3. Köllen, J. Guillain-Barré-Syndrom: Alles über die Nervenkrankheit. GEO. (aufgerufen am 11.7.2023)
- 4. Klinikum Ingolstadt. Eine Folge von Covid-19 – Gelähmt durch das Guillain-Barré-Syndrom. (aufgerufen am 11.7.2023)
- 5. Cao-Lormeau,V.-M., Blake, A., Mons, S. et al. (2016). Guillain-Barré Syndrome outbreak associated with Zika virus infection in French Polynesia: a case-control study. The Lancet.
- 6. Gelbe Liste. Guillain-Barré-Syndrom. (aufgerufen am 11.7.2023)
- 7. Huth, C., Antwerpes, F., Prinz, D. Plasmapherese. DocCheck Flexikon (aufgerufen am 11.7.2023)