12. Juli 2025, 17:36 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Wandern ist in Deutschland ein echter Volkssport – und das völlig zu Recht. Doch mit den steigenden Temperaturen zieht es wieder viele Menschen in die Berge – darunter auch zahlreiche, die die Herausforderungen unterschätzen. Wer unvorbereitet ins Gebirge aufbricht, riskiert nicht nur die eigene Sicherheit, sondern bringt auch andere in Gefahr. Besonders Anfänger aus dem Flachland neigen dazu, Hitze, Höhenmeter und Streckenlänge falsch einzuschätzen. Ein erfahrener Bergführer und Arzt hat FITBOOK erklärt, worauf es bei der Tourenplanung wirklich ankommt – und welche Fehler im schlimmsten Fall tödlich enden können.
Jedes Jahr gehen Millionen Deutsche wandern und jedes Jahr liest man auch von Unfällen in den Bergen, bei denen Menschen ihr Leben verlieren. Aber lässt sich das verhindern? In den meisten Fällen schon, sagt Anästhesist und Flugrettungsnotarzt Dr. med. Ulrich Steiner im Gespräch mit FITBOOK, der immer dann ausrücken muss, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Oder der Wanderer vom Wegesrand.
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Übersicht
- Wie viele Wander-Unfälle gibt es jährlich?
- Diese Fehler führen zu Wander-Unfällen
- Richtige Vorbereitung ist überlebenswichtig
- Noch ein typischer Fehler beim Wandern
- Höhe ist nicht die eigentliche Gefahr
- Und doch kann Höhe gefährlich werden
- Dieser Berg ist bekannt für die Höhenkrankheit
- Wandern ist nicht gefährlich
- Fazit
- Quellen
Wie viele Wander-Unfälle gibt es jährlich?
Laut der DAV-Bergunfallstatistik erreichten die absoluten Unfallzahlen im Jahr 2022 einen neuen Höchststand – gleichzeitig verzeichnete der Alpenverein so viele Mitglieder wie nie zuvor. Trotz des anhaltenden Bergbooms blieb die Zahl der Todesfälle erfreulicherweise auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Auffällig hingegen: Im Hochtourenbereich kam es vermehrt zu Unfällen durch Stein- und Eisschlag. Das unterstreicht, wie wichtig ein verantwortungsvoller Umgang mit den sich wandelnden Bedingungen im Hochgebirge ist.1
Diese Fehler führen zu Wander-Unfällen
Wenn man mit Dr. Steiner über seinen Job redet, bekommt man sofort den Eindruck, dass der Mann aus seiner Berufung seinen Beruf gemacht hat. Schließlich liebt er – neben seiner Passion, als Arzt Menschen zu helfen – die Berge und ist ausgebildeter Berg- und Skiführer. Doch damit nicht genug: Ebenso bekommt man den Eindruck, dass die meisten Wanderunglücke Spiegel unserer Zeit sind. Schneller, höher, weiter. Und seine Erläuterungen dafür klingen plausibel.
Er macht drei Hauptschuldige aus:
- Selbstüberschätzung
- Mangelnde Planung
- Zeitdruck
Die beiden letzten Punkte korrelieren oft sehr stark. Das lässt sich anhand des folgenden Beispiels zeigen, das Dr. Steiner im Interview herangezogen hat.
Der (Worst-Case)-Klassiker
Städter mit wenig Zeit fliegt (Stress!) in die Berge und fährt gleich mit der Bergbahn hoch auf 2.500 Meter. Reist er in die Westalpen, liegen die Berghotels und Hütten gerne noch höher, da dort 81 der 82 alpinen Viertausender beheimatet sind. Noch gestresst vom Alltagsleben und der Anreise, steigt er sofort auf eine Hütte auf, die auf 3000 Meter Höhe liegt. Er ist überhaupt nicht akklimatisiert, vielleicht noch Raucher (andere Risikofaktoren wären: Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes) und schon heißt es: „Herzlich willkommen zu den besten Zutaten für einen Herzinfarkt“, wie uns der Experte erklärt.

Das Kernproblem lautet also: Extra-Stress durch fehlende Akklimatisierung. Nur ist Stress ungefähr das Letzte, was ein Flachlandtiroler mit 50-Stunden-Job im Nacken in seinem Urlaub gebrauchen kann.
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An dieser Stelle könnte man, Stichwort Zeitgeist, getrost noch die sozialen Medien ins Spiel bringen (Dr. Steiner nennt an dieser Stelle den Stammtisch). Was beide gemeinsam haben: dass es häufig gilt, Zuschauer und Zuhörer mit den eigenen Heldentaten und besonders schönen Panoramafotos zu beeindrucken.
Der Experte skizziert noch einen echten (und typischen) Einsatzfall: Manager, Anfang 50, abends erst angekommen und gleich am zweiten Tag rauf auf den Gletscher. Das Problem: nicht trainiert, Raucher und hoher Blutdruck. Das Resultat: Herzinfarkt auf der Skipiste. „Wäre er die ersten beiden Tage entspannt im Tal Ski gefahren und erst danach auf den Gletscher rauf, wäre das Risiko geringer gewesen“, erklärt er.
Richtige Vorbereitung ist überlebenswichtig
Vorbereitung ist also alles. Und die beginnt schon lange vor dem Urlaub. Dazu gehören absolute Basics wie
- regelmäßiger Sport
- richtige Ausrüstung
- Planung
Planung heißt nicht nur Wanderkarten, sondern auch das Wissen darum, wo man im Notfall anzurufen hat. Das mag nach einem Detail klingen, aber: Sollte etwas auf dem Berg passieren, ist die Notrufnummer (in der Schweiz z.B. 1414) immer noch einer der wichtigsten Überlebensfaktoren und gehört unbedingt ins Handy eingespeichert. Planung bedeute aber laut Dr. Steiner auch: Wenn man weiß, dass man in eine Region mit wenig Netz fährt, dann muss man ein Satellitenhandy dabei haben (das man sich mittlerweile auch ausleihen kann)! GPS-fähige Geräte sind deswegen so wichtig, weil man damit seine genaue Position bestimmen kann, um zeitnah gefunden zu werden. Planung heißt aber auch Akklimatisierung!
Tipp des Experten: die erste Nacht im Tal verbringen und am nächsten Morgen frisch gestärkt in die Berge.
Noch ein typischer Fehler beim Wandern
Viele konzentrieren sich nur auf den Gipfel und vergessen dabei, dass sie auch noch Kraftreserven für den Abstieg brauchen.
Auch die Ausrüstung kann über Leben und Tod entscheiden. Kann man in den neuen Wanderschuhen gut laufen? Bekommt man Blasen? Wie halten sie sich auf nassem Fels? All das will man nicht erst beim Abstieg herausfinden. Und bitte nicht warme Kleidung vergessen! Denn wenn plötzlich eine Kaltfront aufzieht und man die Zeit zur nächsten Hütte falsch (oder gar nicht) kalkuliert hat, ist man in seinen Sommerklamotten schneller erfroren, als man denkt.
Höhe ist nicht die eigentliche Gefahr
Am Ende ist es übrigens nicht die Höhe an sich oder fehlender Sauerstoff („dünne Luft“), was Wandern gefährlich machen kann. Zwar würde auch der Sauerstoffmangel in der Höhe „nicht tolerabel mitreinspielen“ – also gesundheitlich zuträglich sein –, aber die Herzinfarkt auslösenden Mechanismen seien laut Dr. Ulrich eigentlich andere:
Die für viele ungewohnte körperliche Belastung beim Wandern stresst den Organismus und kann zu gefährlichen Blutdruckspitzen führen (von Blutdruckspitzen spricht man dann, wenn der Blutdruck kurzfristig rapide ansteigt). Dazu kommt, dass der Puls beim Wandern über längere Zeit erhöht ist, wodurch die Blutversorgung des Herzens gedrosselt wird. Kommen gleich mehrere solcher Stressoren zusammen, steigt das Herzinfarktrisiko bisweilen rapide an.
Handytechnik – ein Segen?
Flugrettungsnotarzt Dr. Steiger sagt: Ja! Er weist aber auch auf ein großes Problem hin, nämlich Missbrauch. „Die Leute gehen einfach bis an ihr Limit und darüber hinaus, weil sie wissen: Bei gutem Wetter werden wir eh vom Berg geholt. Doch schlägt das Wetter um und wird eine Rettung unmöglich, kann genau dieser Übermut das Leben kosten.“
Und doch kann Höhe gefährlich werden
Denn schon ab 2.500 Metern (Schwellenhöhe) kann es bei anfälligen Menschen zu lebensbedrohlichen Formen der Höhenkrankheit kommen, an denen sie ohne Therapie versterben können. Um die Höhenkrankheit zu verhindern, muss man sich an eine wichtige Faustregel halten.
So gilt laut Dr. Steiner, die Schlafhöhe nur zwischen 300 und 500 Meter pro Tag zu erhöhen, damit sich der Körper akklimatisieren kann. Das heißt: Nach einer Nacht auf beispielsweise 2.500 Metern Höhe sollte das nächste Schlafquartier idealerweise unter 3.000 Metern aufgeschlagen werden.
Wichtig: Bei allen Formen der Höhenkrankheit stellt der Abstieg die wichtigste Therapie dar!

Dieser Berg ist bekannt für die Höhenkrankheit
Höhenmediziner Dr. Steiner – der ehrenamtlich auch im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin* arbeitet – hat FITBOOK weiterhin verraten, dass ein bestimmter Berg besonders bekannt für seine vielen und besonders schweren Fälle von Höhenkranken sei: der Kilimandscharo (5.895) in Tansania. Warum? Weil der Aufstieg technisch nicht besonders anspruchsvoll sei und man die Höhe dementsprechend „gnadenlos steigern“ könne. Die Folge: ein gehäuftes Auftreten von Höhenhirnödemen, die unbehandelt jederzeit zum Tod führen können. Das Problem beginne laut dem Experten schon bei Reiseanbietern, die den Kilimandscharo in 7-Tages-Touren reinquetschen. Klarer Fall: Kosten-Zeit-Druck auf Kosten von Akklimatisierung!
Und damit das nicht falsch verstanden wird
Das Problem von lebensbedrohlichen Höhenhirnödemen beginnt nicht erst in Afrika, sondern schon in Europa. Dr. Steiner weiß von Kollegen aus den Westalpen, dass sie regelmäßig Wanderer von Berghütten retten, weil sie schwere Formen der Höhenerkrankung entwickelt haben. Wenn man die Betroffenen schnell auf tiefere Höhen evakuieren kann, gehen die meisten Fälle glimpflich aus. Wenn das Wetter aber eine Flugrettung verhindert, kann man auch in der heutigen Zeit daran sterben.
Wandern ist nicht gefährlich
Jetzt könnte man natürlich den Eindruck gewinnen, dass Wandern ein gefährliches Hobby darstellt. Dem entgegnet Dr. Steiner aber, dass sehr viele Menschen nur deswegen abstürzen, weil sie vorher einen Herzinfarkt erleiden und deswegen kurzzeitig die Kontrolle (oder sogar das Bewusstsein) verlieren. Es sei also nicht der Berg, sondern ihr eigener Körper, der sie eigentlich umbringe.
Und die Statistik gibt ihm recht. Denn laut Zahlen des Deutschen Alpenvereins (DAV) sind in den Jahren 2016 und 2017 so wenig DAV-Mitglieder in den Bergen verunglückt wie zuletzt in den 50er-Jahren. Und auch die Gesamtzahl aller Bergsteiger in den deutschen Alpen blieb nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in den letzten Jahren stabil (niedrig), obwohl immer mehr Menschen in die Berge strömen.

Wie man die Höhenkrankheit bekommt – und sie vermeiden kann

Wie man einem (zweiten) Herzinfarkt vorbeugen kann

Alpenüberquerung während der Corona-Pandemie? Es war die beste Zeit dafür
Fazit
Sie können also getrost Ihre Wanderschuhe schnüren, wenn Sie sich an diese drei goldenen Regeln halten:
- Nehmen Sie sich Zeit.
- Planen Sie Ihren Trip gründlich.
- Und schätzen Sie Ihre Kräfte und Fertigkeiten realistisch ein.
Viel Spaß!
*Die „Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin“, kurz „bexmed“, verfolgt das Ziel der Aus- und Fortbildung von Ärzten in Alpin- und Expeditionsmedizin zur Unfall- und Krankheitsprävention in den Bergen.