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Meinung

Warum Ernährungsempfehlungen nerven – und wie wir bessere Ratgeber werden können

Genervte Frau
Wie können wir uns im Dschungel der Ernährungsratschläge zurechtfinden, ohne frustriert oder wütend zu werden? Darüber hat sich FITBOOK-Autorin Doris Tromballa Gedanken gemacht. Foto: Getty Images

01.05.2024, 17:03 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Fett ist gut, Mandeln machen schlank und Avocados sind schlecht fürs Klima. Von Experten auf Social Media und sogar von Freunden und der Familie bekommen wir ständig Ratschläge dazu, was wir essen sollten, um gesund zu bleiben oder abzunehmen. Irgendwann kann man’s nicht mehr hören. „Was darf ich überhaupt noch essen? Soll ich jetzt auf alles verzichten?“, antworten wir genervt und greifen gestresst zum Schokoriegel, um uns zu beruhigen. FITBOOK-Autorin Doris Tromballa über die Gründe, warum uns Ernährungsempfehlungen oft eher frustrieren als helfen. Und wie wir wieder offener für wirklich gute Tipps werden.

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„Du solltest weniger Zucker essen, Zucker ist ungesund!“ Sprüche wie diesen kann man so gar nicht vertragen, wenn man eigentlich die neue Eisdiele ausprobieren wollte oder ein spektakuläres Kuchenrezept entdeckt hat und sich schon aufs Backen freut. Dabei war der Ratschlag sicher richtig und freundschaftlich gemeint. Doch wie heißt es so schön: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“ Denn tatsächlich nerven uns diese allgegenwärtigen Empfehlungen gigantisch. Warum ist das so? Wie müssten diese Ernährungsempfehlungen herübergebracht werden, damit wir dafür ein offenes Ohr haben und vielleicht wirklich etwas an unseren Essgewohnheiten verbessern? Und wie werden wir letztlich selbst gute Ratgeber?

Dauernd ändert sich alles!

Was vor allem an Ernährungstipps nervt, ist, dass sie sich dauernd ändern. Ein Beispiel: der Eiertanz ums Ei. Bis 2017 empfahl die Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Eier „nur in Maßen“ zu genießen. Im Herbst 2017 fiel diese Regel plötzlich weg. Der Schock kam dann 2024: Nach den neusten Empfehlungen sollen wir ab sofort nur noch ein Ei pro Woche essen dürfen.1 Was denn jetzt? Fun Fact: In den französischen oder US-amerikanischen Ernährungsempfehlungen gibt es überhaupt keine wöchentliche Obergrenze für den Verzehr von Eiern. Seit 60 Jahren veröffentlicht die DGE die „lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen“ – und ständig scheint sich zu ändern, wovon wir denn jetzt mehr oder weniger essen sollen. Mich nervt das!

Widersprüche überall

Ist Fett gut oder schlecht? Die Antwort scheint davon abzuhängen, wen man fragt! Noch bis vor wenigen Jahren sollten wir möglichst auf Fett verzichten.2 Dann heißt es plötzlich: Fett macht gar nicht fett! Fette seien sogar wichtig.3 Aber nur bestimmte Fette, nämlich die (mehrfach) ungesättigten. Die gesättigten Fette sollten wir vermeiden, weil sie Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen.4 Aber auch diese Erkenntnis scheint nicht in Stein gemeißelt, denn 2022 kam eine Studie zu dem Schluss: Gesättigte Fette könnten doch harmloser sein als bisher angenommen.5 Der Hashtag „#healthyfood“ bringt mehr als 120 Millionen Einträge auf Instagram, jeder erzählt was anderes: Grüne Smoothies, Saftfasten, Anti-Entzündungsdiät. Wer soll bei diesem Chaos noch gelassen bleiben, geschweige denn den Durchblick behalten?

Wo sind bitte die Quellen?

Blaubeeren sorgen für tolle Haut, Grünkohl macht schlank und nach 16 Uhr sollten wir eigentlich gar nichts mehr essen. Sagt wer? Hinter Ernährungsempfehlungen sollten idealerweise Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse stehen. Aber oft lesen oder hören wir leere Behauptungen, ohne dass belegt wird, warum wir dies oder jenes machen sollten. Quellen? Fehlanzeige. Ich möchte aber nachvollziehen können, wie Expertin X oder Influencer Y zu einer bestimmten Aussage kommt, die als vermeintliche Wahrheit verkauft wird. Aussagen wie „Bei mir hat’s geklappt!“ reichen als Beleg doch nicht aus. Wer nicht sagen kann, woher eine Empfehlung kommt, soll sie für sich behalten. Ich möchte nämlich selbst überprüfen, ob das stimmt.

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Es gibt für und gegen alles eine Studie

Kohlenhydrate ja oder nein? Während eine Studie ergibt, dass eine höhere Kohlenhydrataufnahme mit einem erhöhten Gesamtmortalitätsrisiko verbunden ist, möchte die DGE, dass wir mindestens 50 Prozent unserer Ernährung mit Kohlenhydraten bestreiten.6,7 Nur bloß keinen Zucker! Allerdings sind Kartoffeln auch nicht so gut, lieber Reis oder Vollkornbrot, so das Ergebnis einer weiteren Studie.8 Aber die Empfehlung, welche Menge an Kohlenhydraten wir nun idealerweise verzehren sollten, könnte auch davon abhängen, wo wir wohnen, steht in der nächsten Untersuchung.9 Was denn jetzt? Es ist verwirrend und deshalb möchte ich als Erstes wissen, wie seriös eine Studie ist. Bestes Beispiel ist die kürzlich veröffentlichte Untersuchung, die behauptet, man könne zwölf Eier pro Woche Essen ohne Nachteil für die Gesundheit. Bei genauerer Betrachtung stellte sich dann heraus, dass die Studie von einem der größten US-amerikanischen Eierproduzenten finanziert wurde, FITBOOK berichtete. Es gibt genug Beispiele, bei denen Forschungsprojekte von der Industrie bezahlt wurden, damit die „passenden“ Ergebnisse herauskommen.10

Bei Binsenweisheiten fühlen wir uns nicht erst genommen

Manche Ernährungsratschläge sind so simpel, dass sie uns zur Weißglut treiben können. „Weniger Fast Food essen!“ Ach was?! Oder „Cola ist ungesund!“ Was Du nicht sagst?! Wer uns mit solchen Ratschlägen „belästigt“, glaubt wohl, wir leben hinter dem Mond. Wir wissen längst, dass Fast Food nichts mit gesunder Ernährung zu tun hat, Wasser besser als Cola und frisch Gekochtes gesünder ist als Fertiggerichte. Bei solchen Binsenweisheiten fühlen wir uns nicht ernst genommen, folglich hören wir nicht mehr hin. Da fehlt nur noch der Ratschlag „Jetzt reg Dich doch nicht so auf!“ – und wir explodieren.

Ich bin anders!

Mehr davon, weniger davon. Aber gilt das für alle? Nein. Beispiel: „Die lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE gelten für gesunde Erwachsene in Deutschland im Alter von 18 bis 65 Jahren, die sowohl pflanzliche als auch tierische Lebensmittel essen (Mischkost)“, heißt es bei der DGE.1 Aber wenn ich anders essen möchte – oder anders essen muss? Wenn ich zum Beispiel keine Laktose vertrage, Vegetarier bin oder Diabetes habe? Schließlich entscheiden sogar unsere Gene darüber, was uns schmeckt und was nicht. Verallgemeinerte Empfehlungen helfen da nicht weiter. Jeder Mensch ist anders und hat unterschiedliche Vorlieben, Bedürfnisse und gesundheitliche Voraussetzungen. Da kann der Rat noch so gut gemeint sein: Was nicht passt, das passt nicht.

Wer soll das alles umsetzen können?

Täglich frisch zu kochen ausschließlich mit Bio-Lebensmitteln, viel Gemüse und wenig Zucker: Wir wissen, dass das ideal wäre. Und noch idealer wäre es, wenn die Familie einmal am Tag zusammen am Tisch entspannt und das Essen gemeinsam genießt – selbst dafür gibt es wissenschaftliche Belege: Denn Jugendliche, die die Mahlzeiten mit ihren Eltern teilen, schneiden bei einer Reihe von Wohlbefindensindikatoren besser ab.11

Für mich stellt sich aber die Frage: Wer schafft es, all das täglich umzusetzen? Denn auch das gehört zur Realität: Gerade einmal 45 Prozent der Deutschen haben es 2023 geschafft, täglich zu kochen.12 Bio-Lebensmittel sind bis zu 175 Prozent teurer als konventionell erzeugte Produkte – 13 und 60 Prozent aller Kinder sind beim Essen pingelig, dass jede Mahlzeit für die Eltern zur Geduldsprobe werden kann.14

Viele Ratschläge kommen uns einfach unrealistisch vor, weil sich ihre Umsetzung so schwer mit dem Alltag vereinbaren lassen. Da nicken wir zwar höflich, wenn jemand zu uns sagt: „Du musst Dir halt mehr Zeit nehmen fürs Kochen – aber dann müssen wir leider schon weg, weil auf unserer To-do-Liste für heute noch 17 Sachen stehen.

Ratschläge sind auch Schläge

Wir bekommen dauernd Ratschläge, nicht nur in Ernährungsangelegenheiten. „Hast Du schon mal xy probiert?“. „Du solltest dies und jenes machen!“. Oder: „Bei mir hat das super funktioniert, das solltest Du auch machen!“ Und ganz ehrlich: Wir selbst haben anderen auch schon solche „Tipps“ gegeben. Aber tatsächlich empfinden wir diese ungefragten Ratschläge meist als nervige Bevormundung. Wir wollen selbst entscheiden, was wir tun und lassen. Denn auch das belegen Studien: Wir hören viel weniger auf Ratschläge, um die wir gar nicht gebeten haben.15 Umso mehr verärgert es uns, wenn sich jemand ungefragt in eine höchstpersönliche Entscheidung einmischen will – nämlich: Was wir essen (sollen).

Wie wir gelassen mit Ernährungsempfehlungen umgehen können

Wie können wir uns also im Dschungel der Ernährungsratschläge zurechtfinden, ohne frustriert oder wütend zu werden? Zum einen hilft es, die Arbeitsweise der Wissenschaft zu verstehen und nachsichtig zu sein. In der perfekten wissenschaftlichen Studie würden Wissenschaftler viele verschiedene Ernährungsmuster entwerfen und an vielen Menschen, in Gruppen nach dem Zufallsprinzip unterteilt, über einen langen Zeitraum hinweg streng beobachten und auswerten. Das funktioniert bei Laborratten, aber Menschen monatelang einsperren und beim Essen erforschen? Das ist nicht nur unethisch, sondern auch nicht finanzierbar. Wir müssen also damit klarkommen, dass die Wissenschaft immer nur Teilergebnisse liefern kann.

Tatsächlich bei der Orientierung können uns sogenannte „Metastudien“: Das sind Untersuchungen, die die Ergebnisse mehrerer Studien analysieren und einen besseren Überblick ermöglichen.

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So können wir selbst bessere Ratgeber werden

Zum anderen können wir auch selbst bessere Ratgeber werden: Drei US-Forscherinnen haben herausgefunden: Ratschläge helfen vor allem demjenigen, der sie gibt.16 Wenn wir also das nächste Mal den nächsten tollen Tipp parat haben, geben wir uns den erst mal selbst. Außerdem: „Der nützlichste Rat sagt nicht, was zu tun ist“, meint der US-Psychologe Adam Grant von der Universität Pennsylvania. Wer anderen wirklich helfen will, sagt nicht „Das musst Du mal ausprobieren!“, sondern zeigt mit den richtigen Fragen Interesse an der persönlichen Situation des Gegenübers.17

Zu guter Letzt: Nicht auf jeden Insta-Hype aufspringen! Viele Tipps sind falsch, manche angepriesenen Produkte sind sogar gefährlich. Lieber aufs eigene Bauchgefühl hören: Unsere Intuition sagt uns ziemlich genau, was gut für uns ist. Und statt Social-Media-Kanäle lieber wissenschaftliche Datenbanken durchforsten oder Informationen auf Webseiten suchen, die für hochwertige Gesundheitsinformationen stehen und Ernährungsmythen prüfen – wie FITBOOK.

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Quellen

  1. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen der DGE (aufgerufen am 30.04.2024) ↩︎
  2. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Evidenzbasierte Leitlinie: Fettzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten. (2015, aufgerufen am 30.04.2024= ↩︎
  3. Forouhi N.G., Sharp S.J., Huaidong D. et al (2009): Dietary fat intake and subsequent weight change in adults: results from the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition cohorts. The American Journal of Clinical Nutrition. ↩︎
  4. Page I. H., Allen E.V., Chamberlain F.L (1961): Dietary Fat and Its Relation to Heart Attacks and Strokes. Circulation 23, S. 133–136. ↩︎
  5. Mengjie Y., /Singer M.R., Pickering R.T. et al (2022): Saturated fat from dairy sources is associated with lower cardiometabolic risk in the Framingham Offspring Study. The American Journal of Clinical Nutrition. ↩︎
  6. Dehghan M., Mente A., Zhang X. et al (2017): Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from five continents (PURE): a prospective cohort study. The Lancet. ↩︎
  7. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2011): Evidenzbasierte Leitlinie: Kohlenhydratzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten. ↩︎
  8. Ayoob K., (2023): Carbohydrate confusion and dietary patterns: unintended public health consequences of “food swapping“. Frontiers in Nutrition. ↩︎
  9. Jo U., Park K. (2023): Carbohydrate Intake and Risk of Cardiovascular Disease: A Systematic Review and Meta-Analysis of Prospective Studies. Nutrients. ↩︎
  10. Kearns C.E., Schmidt L.A., Glantz S.A. (2016): Sugar Industry and Coronary Heart Disease Research: A Historical Analysis of Internal Industry Documents. JAMA Internal Medicine. ↩︎
  11. Musick K., Meier A. (2012): Assessing Causality and Persistence in Associations between Family Dinners and Adolescent Well-Being. Journal of Marriage and the Family. ↩︎
  12. Statista: Häufigkeit des Kochens in Deutschland 2023 (aufgerufen am 30.04.2024) ↩︎
  13. Statista: So viel teurer sind Bio-Lebensmittel (aufgerufen am 30.04.2024) ↩︎
  14. Taylor C., Wernimont S.M., Northstone K. et al (2015): Picky/fussy eating in children: Review of definitions, assessment, prevalence and dietary intakes. Appetite. ↩︎
  15. Feng B., MacGeorge E.L. (2006): Predicting Receptiveness to Advice: Characteristics of the Problem, the Advice-Giver, and the Recipient. Southern Communication Journal. ↩︎
  16. Eskreis-Winkler L., Fishbach A., Duckworth A.L. (2018): Dear Abby: Should I Give Advice or Receive It? Psychological Science. ↩︎
  17. Adam Grant: Stop Giving Advice and Start Doing This Instead. Inc (2020, aufgerufen am 30.04.2024) ↩︎
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