
1. Juni 2025, 11:20 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Viele der Menschen, die unter sogenannten intrusiven Gedanken leiden, fürchten, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Denn ihnen kommen oft völlig unvermittelt bedrohliche Vorstellungen in den Sinn. FITBOOK erklärt das Phänomen genauer und erklärt, wie sich Betroffene helfen können.
„Intrusive“ bedeutet auf Englisch „aufdringlich“. Bei sogenannten intrusiven Gedanken handelt es sich um aufdringliche Einfälle, die zudem meist bedrohlich sind und um Tabus kreisen. Bei den Betroffenen bleibt es gemeinhin bei den Gedanken, welche für sie jedoch sehr unangenehm sein können. Manche von ihnen entwickeln eine psychische Störung. Lesen Sie bei FITBOOK, was Experten dazu sagen.
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Übersicht
- Was sind intrusive Gedanken?
- Beispiele für intrusive Gedanken
- Die wohl schwerste Form: Flashbacks
- Die Gedanken kommen – und vergehen wieder
- Wann intrusive Gedanken Ausdruck einer Zwangserkrankung sein können
- Welche Personen besonders zu intrusiven Gedanken neigen
- Gedanken als reine Gedanken akzeptieren
- Wer besonders anfällig für intrusive Gedanken ist
- Quellen
Was sind intrusive Gedanken?
Intrusive Gedanken sind unwillkommene, wiederkehrende Gedanken, Bilder oder Impulse, die unvermittelt und häufig störend in unser Bewusstsein dringen. Sie können alltägliche Situationen betreffen oder völlig irrational und abwegig erscheinen. Obwohl sie oft sehr real wirken, stellen sie keine Aufforderung zum Handeln dar. Meist werden sie von intensiven Gefühlen wie Unsicherheit, Angst oder Scham begleitet. Je mehr man jedoch versucht, diese Gedanken zu unterdrücken oder loszuwerden, desto hartnäckiger scheinen sie zu werden.1
Beispiele für intrusive Gedanken
Betroffene intrusiver Gedanken stellen sich z. B. vor, plötzlich im Büro die Kontrolle zu verlieren oder den Chef anzupöbeln. Oder sie überlegen, wenn sie etwa auf einem Aussichtsturm stehen, wie es wohl wäre, über die Absperrung zu klettern und zu springen. Ein anderes Beispiel: Es ploppt bei ihnen plötzlich der Gedanke auf, das Auto gegen einen Baum zu lenken – oder gar dem Kind oder dem Partner Gewalt anzutun.
Es sind Momente, in denen es einem kalt den Rücken herunterläuft. Denn es ist das eigene Gehirn, das so schreckliche und schockierende Szenarien produziert. Auch wenn man diese wohl keinesfalls in die Realität umsetzen würde.
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Die wohl schwerste Form: Flashbacks
„Es gibt verschiedene Arten intrusiver Gedanken“, sagt der Psychologische Psychotherapeut René Noack. Er leitet die Tagesklinik für Angst- und Zwangserkrankungen der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik in Dresden.
Noack führt zunächst eine besonders heftige Form an: sogenannte Intrusionen, die nach traumatischen Erlebnissen auftauchen und als Flashback bezeichnet werden. Es sind Erinnerungen an Ereignisse, die Betroffene immer wieder mit voller Wucht durchleben. Flashbacks sind ein Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Sie können, müssen aber nicht, durch bestimme Reize ausgelöst werden.2
Wie Intrusionen das Leben belasten
Intrusionen zeigen sich oft in Form von belastenden Erinnerungen, die sich wie ein Überfall ins Bewusstsein drängen – und Betroffene fühlen sich wieder mitten in der traumatischen Situation. Sie können von lauten Geräuschen, Gerüchen oder bestimmten Orten ausgelöst werden.
„Man hat zum Beispiel einen Überfall erlebt und läuft dieselbe Straße wieder entlang. Daraufhin kann ein Gedanke an den Überfall ganz plötzlich auftauchen.“ Dies sagt Julia Asbrand, Professorin für Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.
Die Gedanken kommen – und vergehen wieder
„Solche Gedanken können einfach kommen und sind auch nicht schlimm“, so Julia Asbrand. „Unser Gehirn produziert sie, sie tauchen auf und verschwinden wieder.“ Dass man sich beispielsweise vorstellt, sein Auto gegen einen Baum zu lenken, ist zwar durch den Baum angestoßen, den man in dem Moment sieht. Es heißt aber nicht, dass man sich wirklich das Leben nehmen möchte. Asbrand stellt klar: „Nur weil man etwas denken kann, heißt das nicht, das man es auch wirklich tun wird oder tun möchte.“
Intrusive Gedanken haben keine besondere Bedeutung – es sind Gedanken, keine Taten. Sie dürfen sein. Je mehr man sie akzeptiert, desto schneller verlieren sie an Bedeutung. Manchmal helfen Ablenkungsstrategien, um die Aufmerksamkeit umzulenken: Rechenaufgaben, Sport oder lautes Musikhören können hier helfen.
Wann intrusive Gedanken Ausdruck einer Zwangserkrankung sein können
Das Auftauchen intrusiver Gedanken ist in einem bestimmten Rahmen also völlig normal. Doch schmerzlich können die Vorstellungen trotzdem sein. Denn obwohl die Gedanken als sinnlos erlebt werden, kann man ihnen meist nichts entgegensetzen. Das kann bei Eltern zum Beispiel der Gedanke sein, seinen Kindern etwas anzutun. „Gerade, weil man seine Kinder liebt und nicht möchte, dass ihnen etwas zustößt, ist dieser Gedanke für Eltern natürlich sehr belastend“, sagt die Psychologin Julia Asbrand.
Intrusive Gedanken und psychische Störungen: Wo liegt die Grenze?
Intrusive Gedanken sprechen nicht automatisch für eine psychische Störung. Eine solche entstehe „dann, wenn man durch die Gedanken langfristig belastet und beeinträchtigt wird“, sagt Julia Asbrand. Also etwa, wenn Eltern überlegen, die Kinder in Pflege zu geben. Einfach weil sie nicht wissen, ob sie mit ihnen weiterhin allein sein können. Professionelle Hilfe ist also dann wichtig, wenn sich intrusive Gedanken gravierend auf den Alltag und Beziehungen auswirken. Dann können sie Ausdruck einer Zwangserkrankung sein.
Intrusive Gedanken können auch im Rahmen von Depressionen oder Angststörungen auftreten und mit Gefühlen von Unsicherheit, Angst oder Scham verbunden sein. Sie sind kein Beweis für einen schlechten Charakter oder verborgene Gewaltfantasien, sondern Ausdruck der Verarbeitung von Erlebtem.
Welche Personen besonders zu intrusiven Gedanken neigen
„Personen mit einem besonderen Sicherheits- und Kontrollbedürfnis haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Gedanken verselbstständigen“, sagt René Noack. Denn solche Menschen haben es schwerer, sich von den Gedanken zu distanzieren. Lieber gehen sie auf Nummer sicher. In dieser Absicht entfernen sie etwa sämtliche Küchenmesser aus der Wohnung.
Eine gute Nachricht: Den meisten Menschen fällt es leicht, sich von intrusiven Gedanken zu distanzieren. Intrusive Gedanken haben sogar eine Funktion, wie Psychologin Asbrand erklärt. „Der Mensch ist ein kreatives Wesen und kann sich sehr vieles vorstellen.“ Mit Blick auf die Evolution eine wichtige Fähigkeit. Denn, wenn wir uns angsteinflößende Situationen vorstellen können, können wir sie vorab durchspielen und Lösungen entwickeln. Denn Angst hat die Funktion, uns zu beschützen.
PTBS: Eine schwere Folge belastender Erinnerungen
Allerdings bedeutet das nicht, dass sich alles, was wir uns vorstellen können, auch wirklich ereignen kann oder wird. „Deswegen würde ich solche Gedanken erst mal nicht zwingend als bedrohliches Signal einordnen. In der Regel erinnert man sich auch nicht an sie, weil man ihnen zu Recht keinen besonderen Wert beimisst“, so Asbrand.
Intrusionen sind ein Leitsymptom der PTBS. Plötzliche Panik, ständige Anspannung, sozialer Rückzug – manchmal stecken unverarbeitete Traumata hinter solchen Symptomen. „Viele Betroffene kämpfen mit Ängsten, Schlafstörungen oder Flashbacks, ohne zu ahnen, dass hinter ihren Beschwerden eine ernstzunehmende psychische Erkrankung steckt“, erklärt Prof. Dr. med. Petra Beschoner, Ärztliche Leiterin der Akutklinik Bad Saulgau. PTBS ist mehr als nur ein Albtraum oder Angstgefühl – sie verändert dauerhaft, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und auf sie reagieren.
Gedanken als reine Gedanken akzeptieren
„Alle Gedanken, die man hat, sind erst einmal nur Gedanken. Sie dürfen sein“, sagt dazu Julia Asbrand. Es kann ebenso helfen, sich klarzumachen, dass die Gedanken wieder verschwinden und Platz machen für andere.
Ähnlich verläuft auch die Arbeit mit intrusiven Gedanken in einer Psychotherapie: Betroffene lernen, die Gedanken als unsinnig zu erkennen und sich emotional von ihnen zu distanzieren. Eine hilfreiche Strategie kann auch sein, den Gedanken bewusst Raum zu geben, zu hinterfragen, warum gerade dieses Szenario im Kopf auftaucht – und es gedanklich einmal zu Ende zu denken.
„Eltern kommen dann ziemlich sicher darauf, dass sie den Gedanken, ihren Kindern etwas anzutun, denken, weil sie sich um ihre Kinder sorgen und auf keinen Fall möchten, dass ihnen etwas zustößt“, sagt Asbrand. Man könne so verstehen, dass man eigentlich gerade genau das Gegenteil tut und seinen Schutzauftrag besonders ernst nimmt.
Drei Tipps im Umgang mit intrusiven Gedanken:
- Versuchen Sie nicht, die Gedanken zu unterdrücken. Der Widerstand gegen intrusive Gedanken verstärkt sie oft und kann den Leidensdruck erhöhen.
- Akzeptieren Sie die Gedanken als das, was sie sind: bloße Gedanken ohne Bedeutung. Sie müssen nicht bekämpft oder bewertet werden.
- Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit bewusst auf eine andere Tätigkeit – beispielsweise auf Aufgaben, die Konzentration erfordern, wie Kopfrechnen, Jonglieren oder Sport.3

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Wer besonders anfällig für intrusive Gedanken ist
„Personen mit einem besonderen Sicherheits- und Kontrollbedürfnis haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Gedanken verselbstständigen“, sagt René Noack. Denn solche Menschen haben es schwerer, sich von den Gedanken zu distanzieren. Lieber gehen sie auf Nummer sicher. In dieser Absicht entfernen sie etwa sämtliche Küchenmesser aus der Wohnung.
Eine gute Nachricht: Den meisten Menschen fällt es leicht, sich von intrusiven Gedanken zu distanzieren. Intrusive Gedanken haben sogar eine Funktion, wie Psychologin Asbrand erklärt. „Der Mensch ist ein kreatives Wesen und kann sich sehr vieles vorstellen.“ Mit Blick auf die Evolution eine wichtige Fähigkeit. Denn, wenn wir uns angsteinflößende Situationen vorstellen können, können wir sie vorab durchspielen und Lösungen entwickeln. Denn Angst hat die Funktion, uns zu beschützen.
Menschen, die anhaltend unter intrusiven Gedanken leiden, sollten nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – beispielsweise in Form von Psychotherapie oder durch den Kontakt zu spezialisierten Anlaufstellen wie Traumaambulanzen oder Selbsthilfegruppen. Auch der bewusste Verzicht auf Reizüberflutung kann helfen, die Symptome zu lindern. Mit der richtigen Unterstützung ist Besserung möglich, denn eine Posttraumatische Belastungsstörung ist kein unausweichliches Schicksal.
*Mit Material von dpa