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Ernährungsexperte erklärt

Darum wollen wir bei Stress ungesund essen und das hilft dagegen

Stressessen
Chipstüten üben auf vielen Menschen eine magische Anziehungskraft aus, besonders dann, wenn sie sich gestresst fühlen. Das ist kein Zufall. Foto: Getty Images
Anna Echtermeyer
Redakteurin

11.03.2024, 04:44 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Je stressiger die Lebensphase, desto schneller verschwinden bei vielen die Finger in Chips- und Süßigkeitentüten. Warum wir dann genau bei diesen Produkten so hemmungslos zugreifen und wie man sich aus der Futter-Falle befreien kann, erklärt Lars Selig, Leiter der Ernährungsambulanz am Universitätsklinikum Leipzig.

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Meist wird dann nicht bei Gemüsesticks und Nüssen zugegriffen, sondern in der Abteilung hochkalorisch. Alles, was der Körper schnell zu Zucker abbauen kann, verlangt geradezu danach, von uns Stressessern verschlungen zu werden. Was dahinter steckt und was man tun kann, um bei Stress nicht zwangsläufig ungesund zu essen, hat sich FITBOOK-Redakteurin Anna Echtermeyer von einem Experten erklären lassen.

Die Ursachen von Fressattacken bei Stress

Für unsere vorzeitlichen Ahnen war es wenig sinnvoll, in stressigen Momenten gefrustet an der Mammutkeule zu knabbern; Stress bedeutete für Menschen lange Zeit akute Lebensgefahr. Der Körper schaltete in den Notfallmodus, schüttete Adrenalin aus und bereitete sich sekundenschnell auf Kampf oder Flucht vor. In der nachfolgenden Ruhephase versuchte er dann, sich möglichst schnell das zurückzuholen, was dabei an Energie verbraucht worden war.

Ungünstigerweise tickt unser Körper heute noch genauso. „Daher haben wir Appetit auf besonders leicht aufschließbare Kohlenhydrate, wie beispielsweise Chips“, sagt Lars Selig, Diätassistent und Leiter der Ernährungsambulanz am Universitätsklinikum Leipzig, zu FITBOOK. Chips und Gummibärchen liefern zwar schnell und viel Energie in Form von Kohlenhydraten – doch unser aktueller Stress verbraucht sehr viel weniger Energie als eine Flucht, wie sie für unsere Ahnen häufig der einzige Weg war, das eigene Leben zu schützen.

Die Folgen von Stressessen – das passiert im Gehirn

Doch auch bei länger anhaltendem Ärger, beispielsweise am Arbeitsplatz, werden vermehrt Stresshormone freigesetzt. Und die verstärken dann den Appetit, obwohl der Körper eigentlich keine Nahrung braucht. Besonders bei chronischem Stress droht so Übergewicht.

Welches Fressverhalten chronischer Stress bei Mäusen hervorruft, zeigte etwa 2018 eine Studie des Garvan Institute of Medical Research in Sydney. Aus einem Bereich im Zwischenhirn, der sogenannten lateralen Habenula, blieb ein Stoppsignal aus, wenn die Mäuse jeden zweiten Tag eine Stunde lang in einen Käfig mit kaltem Wasser statt Streu gesetzt wurden. Diese gestressten Mäuse zeigten mehr Appetit auf süße Nahrung und legten auch mehr an Gewicht zu als ungestresste Artgenossen.1 Die laterale Habenula dämpft das Belohnungssystem und bewahrt vor einem Überessen.

Es gibt aber auch Menschen, mit denen in Stressphasen das Gegenteil geschieht: Wer etwa empfindlich auf Cortisol reagiert, verbrennt mehr Kalorien und nimmt sogar ab, erklärte der Ernährungsmediziner Dr. Mathias Riedl FITBOOK über die Auswirkungen von Stress auf das Gewicht. Sobald der Stress chronisch wird, beginnt der Körper mit Kompensation. Zu den möglichen Folgen gehören vermehrte Müdigkeit, eine beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit, seelische Verstimmungen sowie Libidoverlust und Verdauungsprobleme. Stress ist – spätestens dauerhaft – alles andere als gesund für den Körper. Dauerhaft führt er nicht nur zu Übergewicht, sondern schwächt auch das Immunsystem und verlangsamt etwa die Wundheilung.  

Auslöser von emotionalem Essen 

Ganz entscheidend spielen auch unsere Gefühle mit:

Wir wollen die positiven Gefühle, die wir mit Essen in Verbindung bringen, immer wieder spüren und unser Belohnungssystem stimulieren. Fühlt sich halt gut an. Also gibt’s noch eine Ladung Kuchen oder Pommes. Das ist gelerntes Verhalten und leider nicht so leicht abzulegen.

Sinnlos seien hier strenge Verbote, die haben eher den gegenteiligen Effekt. Das kennen viele: Verbotenes ist nur noch attraktiver …

Risikoprodukte für unsere Gesundheit: Snacks wie Chips, Gummibärchen und Co. bestehen zum überwiegenden Teil aus Kohlenhydraten, die die im Körper zu Zucker abgebaut werden; Gummibärchen sogar fast vollständig. Außerdem handelt es sich um hochverarbeitete Lebensmittel – „Ultra Processes Food“, kurz UPF. Diese werden in Studien im Zusammenhang mit einem vorzeitigen Tod und vielen weiteren Gesundheitsproblemen gesehen, mehr dazu hier.

Ungesund essen bei Stress – das kann man dagegen tun

Was kann man tun, um nicht immer wieder in dieselbe Futter-Falle zu tappen? Die Lage mag ernst sein, ist aber keinesfalls hoffnungslos. Im ersten Schritt kann es ratsam sein, erst gar keinen Süß- oder Knabberkram in Griffweite aufzubewahren. Absolut nichts. Weder zu Hause, noch im Auto oder in der Tasche.

Denn wer gestresst ist, hat eine niedrigere Frustrations-Toleranzgrenze, gleichzeitig aber eine höhere Impulsivität – und kann dann einfach nicht mehr vernünftig entscheiden. Das innere Verlangen wird schier unbezähmbar und plötzlich steht man doch wieder vorm Kühlschrank oder Süßigkeitenregal. Findet sich dort nichts ‚Brauchbares‘, kann der Heißhunger auf Süßigkeiten auch erst einmal nicht befriedigt werden. Das ist noch kein Sieg, aber immerhin ein Etappenerfolg.

Außerdem sollte man sich bewusst machen, dass man wahrhaftig und tatsächlich Stress durchlebt. Als Nächstes kann man der Frage nachgehen, was genau die Ursache jetzt für dieses Gefühl ist. Vielleicht hilft ein klärendes Gespräch mit Kollegen, Partner, Freunden oder Chef. Wer dauerhaft Stress ausgesetzt ist, der sollte auch versuchen, aktiv etwas gegen die Ursache zu tun. Weitere Maßnahmen, die helfen können, den Teufelskreis zu durchbrechen, finden Sie hier.

Schließlich ist es ratsam, sich alternative Strategien zur Stressbewältigung zu überlegen. Beispielsweise Yoga, Joggen, Tanzen, autogenes Training, Meditation, Spaziergänge, Gespräche mit Freunden. „Jeder muss für sich selbst überlegen: Was erheitert meine Stimmung?“, sagt Lars Selig zu FITBOOK. Das helfe nicht nur bei akuter Stressbewältigung, sondern führe auch zu grundsätzlich höherer Stressresistenz. Und dann heißt es beim nächsten Mal: Ungesundem Essen bei Stress widerstehen und den Raum für Alternativen öffnen.

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Stressessen komplett unterdrücken wohl eher aussichtslos

Ruhig bewusst mal etwas gönnen

Ich gebe zu, auch ich zähle zu den Stressessern. Besonders schlimm war es in Drucksituationen wie z. B. während der Abschlussprüfungen im Studium oder auch später in einem Job, der einfach nur Stress pur war. Abends oder am Wochenende ging es dann los mit dem Stressessen. Da ich weiß, dass ich dazu neige – und das schon, seit ich denken kann – habe ich einige Strategien entwickelt. Yoga war ein wichtiges Vehikel, um generell dem Stress und damit dem Verlangen nach Essen entgegenzuwirken. Auch wenn ich mich gut im Krafttraining befinde, also meine Fitness in den Fokus nehme, gelingt es mir besser, den Essimpuls zu kontrollieren. Außerdem kaufe ich schon lange keine Süßigkeiten (auch, weil ich generell möglichst auf Zucker verzichte) oder andere ungesunde Snacks mehr auf Vorrat. So reduziere ich die Verführung durch Essen.

Aber: Den Impuls, bei Stress zu essen, konsequent zu unterdrücken, halte ich für aussichtslos. Wie viel mentale Energie dabei benötigt würde! Das stresst zudem womöglich noch zusätzlich. Ein Teufelskreis. Ich bin daher der Meinung, dass man sich, wenn bei Stress der Appetit kommt, ruhig bewusst mal eine kleine „Ernährungssünde“ gönnen darf. Aber eben bewusst und vor allem in Maßen. Es geht darum, sich dem Heißhunger nicht hinzugeben, sondern zu verstehen, was ihn gerade auslöst und ob sich an der Ursache etwas ändern lässt. Dann sind auch ein kleines Stück Schokolade oder mal eine Handvoll Chips vollkommen okay.

Quellen

  1. Zhu P., Zhang Z.H., Huang X.F. et al. (2018). Cold exposure promotes obesity and impairs glucose homeostasis in mice subjected to a high‑fat diet. Molecular Medicine Reports. ↩︎
Themen: #peloton
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