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Komplexe Entwicklungsstörung

Formen, Ursachen, Symptome und Behandlung von Autismus

Autismus: Junge sitzt alleine auf einer Bank
Autistische Kinder werden oft zu Außenseitern, weil soziale Interaktion sie vor Probleme stellt Foto: Getty Images
Dr. Susanne Theisel

22.03.2023, 19:59 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Autismus ist eine komplexe neurologische Entwicklungsstörung, die in unterschiedlichen Formen und damit auch Schwere der Symptome auftreten kann. Welche Ursachen es gibt und wie Autisten ticken, lesen Sie hier.

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Montagmorgen in einer deutschen Kindertagesstätte. Es herrscht ein Geräuschpegel wie in einem Hühnerstall. Während die anderen Jungen ins gemeinsame Spiel vertieft sind, sitzt der 5-jährige Emil weit abseits auf seinem Lieblingsplatz neben dem Wäscheständer. Er sortiert seit Stunden die Wäscheklammern nach Farben, Form und Größe. Weder die anderen Kinder, noch die Erzieher scheinen ihn zu interessieren. Nur sein bester Freund, eine riesige schwarze Sporttasche, ohne die er nicht aus dem Haus geht, darf mit ihm kuscheln und den ganzen Tag bei ihm sein.

„Emil ist komisch“, sagen die anderen Kinder. Denn er versteht weder ihre Witze noch erwidert er ihr Lächeln. Emil ist Autist.

Was ist Autismus?

Ein Prozent aller Menschen leiden statistisch betrachtet an einer Autismus-Spektrum-Störung leiden – einer nicht heilbaren Erkrankung, die mitunter ein normales Leben schwer bis unmöglich macht.1 Insbesondere bei Frauen wird diese oft ein Leben lang nicht erkannt. Woher kommt das?

Ursachen für Autismus

Laut den wissenschaftlichen Leitlinien zum Thema Autismus gibt es eine Vielzahl an Genanomalien, die von Generation zu Generation weitervererbt werden.2 Spontane Mutation, die neu entstehen, sind ebenfalls möglich. Sie treten umso häufiger auf, je älter die zukünftigen Eltern sind. So gilt ein Alter der Frauen über 40 Jahre und der Männer über 50 Jahre als Risikofaktor für Autismus.

Weitere Autismus-Risikofaktoren

Zudem treten Autismus-Spektrum-Störungen häufiger bei Migrationshintergrund der Familie, niedrigem sozioökonomischen Status, Vorerkrankungen der Eltern (z.B. Allergien und Autoimmunerkrankungen) oder bei einer Rötelninfektion in der Schwangerschaft auf.2 Auch die Einnahme von Medikamenten in der Schwangerschaft, insbesondere gegen Epilepsie, könnte laut Studienergebnissen für das Entstehen von Autismus mitverantwortlich sein.

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Wie äußert sich eine Autismus-Spektrum-Störung?

Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation

Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung fällt es schwer, sich im Dschungel der zwischenmenschlichen Interaktionen zurechtzufinden, den Gesichtsausdruck anderer Menschen zu interpretieren und sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Sie verstehen keine Ironie oder Doppeldeutigkeiten. Auch Körperkontakt wird meist abgelehnt.

Zudem kann ihre Sprache abgehackt, nahezu mechanisch klingen. Manchmal drücken sie sich sehr weitschweifig und umständlich aus. Selbst komplette Wortneuschöpfungen, die nur autistische Menschen verstehen, kommen vor. Dies erschwert die Kommunikation oder macht sie letztlich unmöglich. Im Gegenzug wirken normal oder hochintelligente Kinder mit Asperger-Syndrom, einer abgeschwächten Form des Autismus, gerne altklug wie kleine Professoren.

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Feste Strukturen und Rituale wichtig für Autisten

Ebenso ungewöhnlich: Auffallende Bewegungen bzw. Bewegungsmuster, die steif oder auch wiederkehrend sind.

Menschen mit Autismus entwickeln ihre eigenen Rituale, denen sie sich völlig hingeben und die von außen betrachtet für sie fast lebenswichtig erscheinen. Typisch sind ebenfalls spezielle Interessen. Mit großer Liebe zum Detail eignen sich viel Wissen an in ihrem Thema an. In ihrer Materie können sie dadurch meisterhaft werden.

Diese außergewöhnlichen Menschen verabscheuen nichts mehr als Veränderungen oder unvorhergesehene Ereignisse. Spätestens die Einschulung stellt autistische Kinder vor ein großes Problem. Allein der Alltag mit seinen üblichen Abweichungen, wechselnden Interaktionspartnern, Zugverspätungen, Festen und Feiertagen kann für autistische Menschen schwierig sein.

Sie geraten mitunter in Panik, wenn ihre gewohnte Routine nicht exakt eingehalten werden kann. Es kann vorkommen, dass nur sehr wenige Nahrungsmittel immer wieder gegessen werden oder nur wenige Kleidungsstücke akzeptiert werden – z. B. nur in einer Farbe.

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Welcher Arzt kann Autismus diagnostizieren und wie erfolgt die Diagnose?

Erster Ansprechpartner bei einem Kind, das bspw. weder den Blickkontakt der Eltern erwidert noch Interesse am gemeinsamen Spiel zeigt, ist der Kinder- bzw. Hausarzt. Durch die gesetzlich vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen können bereits im ersten Lebensjahr Auffälligkeiten entdeckt werden.

Die Diagnosestellung sollte dann in einem auf Autismus spezialisiertem Zentrum stattfinden. Zum einen über eine Verhaltensbeobachtung des Kindes, aber auch mit standardisierten Testverfahren und Elterninterviews.

Im Erwachsenenalter erfolgt der oft lange Weg bis zur Diagnosestellung primär über den Hausarzt zum Psychiater und dann meist in eine Klinik mit Autismus-Ambulanz. Zudem ist eine ausführliche internistische und neurologische Untersuchung auf verschiedenste Erkrankungen notwendig, die beim Autismus gehäuft vorkommen und mit behandelt werden müssen.

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Warum sind Mädchen bzw. Frauen seltener von Autismus betroffen?

Frauen sind laut Statistik wesentlich seltener von Autismus betroffen als Männer (Verhältnis 1:2-3). Das könnte zum einen an einem weiblichen hormonellen Schutzeffekt vor dieser Erkrankung liegen. Andererseits sind Mädchen in aller Regel ruhiger und anpassungsfähiger. Zudem werden sie durch ihre Erziehung und ihr Wesen oft sozial kompetenter und fallen daher seltener auf.2 

Insgesamt variieren die Studienergebnisse für das Vorkommen von Autismus in der Gesellschaft je nach Region und Studiendesign jedoch sehr stark. Der „Autismus Deutschland e.V.“ nennt folgende Zahlen zur Häufigkeit von Autismus-Störungen3:

Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen     
Alle Autismus-Spektrum-Störungen6-7 pro 1000
Frühkindlicher Autismus1,3-2,2 pro 1000
Asperger-Autismus: 1-3 pro 1000
Andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen3,3 pro 1000

Zwar scheinen die Zahlen der Betroffenen anzusteigen, was jedoch viel mehr an einer verbesserten Diagnostik als an einer Autismus-Epidemie liegen dürfte.  

Welche Formen von Autismus gibt es?

Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterscheidet mit dem Diagnosekatalog ICD 10 im Wesentlichen zwei Formen bei Autismus4:

  1. Den frühkindlichen Autismus, der vor dem dritten Lebensjahr diagnostiziert wird und meist auch mit einer geistigen Behinderung sowie den bereits erwähnten Auffälligkeiten im Bereich Sprache, Kommunikation, sozialer Interaktion und stereotypen Verhaltensweisen einhergeht.
  2. Das Asperger-Syndrom, welches oft erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wird, da die Sprache und die Intelligenz nicht beeinträchtigt sind. Diese Menschen verfügen jedoch laut Diagnosekriterien über Spezialinteressen (mitunter auch Spezialtalente) und leiden unter Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich und der Kommunikation.

Dazu kommen bei beiden Formen Begleiterkrankungen wie zum Beispiel die Aufmerksamkeitshyperaktivitätsstörung (ADHS), Ängste, Depressionen, Schlafstörungen (insbesondere bei Kleinkindern), Erkrankungen der inneren Organe oder auch häufig Epilepsien. Durch den Hang zu Ritualen sind auch ausgeprägte Zwangsstörungen zu beobachten.

Wie kann man autistische Menschen unterstützen?

Da Autismus nicht „geheilt“ werden kann und über die Lebensspanne des Menschen erhalten bleibt, ist eine Verbesserung der Anpassungs- und Kompensationsmechanismen sowohl des Betroffenen als auch seiner Umwelt essenziell. Das ist langwierig und muss oft mit der ganzen Familie erst gelernt werden.

Zudem stellt die Behandlung der Krankheiten, unter denen Autisten vermehrt leiden, einen wichtigen Baustein dar, um die Lebensqualität zu verbessern. Bei Kindergartenkindern haben sich Frühförderprogramme mit Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie bewährt.

Fazit

Menschen mit Autismus sehen die Welt mit anderen Augen und bleiben insbesondere als Frauen oft unerkannt. Sie verdienen eine Gesellschaft, die auf sie und ihre besonderen Interessen und Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Auch sie verdienen alle Möglichkeiten, sich zu entfalten. 

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Quellen

Die Autorin Dr. Susanne Theisel ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Sie betreut seit 2015 psychisch kranke Kinder, Jugendliche und Erwachsenen in der Praxis als auch in der Klinik.

Themen Psychologie
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