
8. Juni 2025, 8:21 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
O-Beine und X-Beine sind beides Fehlstellungen, die das Knie belasten und die Entstehung von Arthrose begünstigen. Wer ist häufiger davon betroffen? Und was bedeutet das für die Therapie? Forschende der Universität des Saarlandes haben eine klare Antwort gefunden.
Dass Personen mit O-Beinen im Falle eines Meniskusschadens häufiger eine Knie-Arthrose entwickeln als Menschen mit X-Beinen, wurde in der Praxis schon länger vermutet. Doch erst im Jahr 2022 konnte ein Forschungsteam um Prof. Henning Madry von der Universität des Saarlandes diesen Zusammenhang wissenschaftlich belegen. Die Ergebnisse bieten neue Ansätze für bessere Therapiemöglichkeiten – und damit mehr Lebensqualität für Betroffene.
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Übersicht
Wie erkennt man eine Beinachsenfehlstellung?
Eine Beinachsenfehlstellung kann angeboren oder erworben sein. Man unterscheidet dabei zwischen dem X-Bein (medizinisch: Valgusstellung) und dem O-Bein (Varusstellung).
Leicht ausgeprägte Fehlstellungen im Kindesalter sind normal und verwachsen sich meist bis zum Schulalter. Bei Erwachsenen jedoch sind sie dauerhaft – und damit auch relevant für die Gelenkgesundheit. Optisch zeigen sich O-Beine, wenn bei geschlossenen Füßen die Knie auseinanderstehen. X-Beine erkennt man daran, dass die Knie sich berühren, aber die Füße weit auseinanderstehen. Eine sichere Diagnose kann jedoch nur per Röntgenbild gestellt werden.1
Typische Beschwerden bei X- oder O-Beinen
Oft verlaufen Beinachsenabweichungen zunächst symptomlos. Beschwerden treten erst im Verlauf auf – vor allem durch die einseitige Belastung des Kniegelenks.
- O-Beine führen häufiger zu Schmerzen an der Innenseite des Knies
- X-Beine an der Außenseite
Wenn die Beine schief stehen, wird eine Seite des Knies stärker belastet als die andere. Dadurch nutzt sich der Meniskus – eine Art Stoßdämpfer im Knie – schneller ab oder kann sogar reißen. Außerdem kann sich Flüssigkeit im Knochen ansammeln, was sehr schmerzhaft ist. Typische Beschwerden sind Schmerzen beim Loslaufen (besonders morgens), bei kaltem Wetter oder beim Sport.2
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Ursachen: Warum entstehen Beinachsenfehlstellungen?
Bei Kindern sind sie meist entwicklungsbedingt und harmlos. Doch bei Erwachsenen stecken oft folgende Ursachen dahinter:
- Vitamin-D-Mangel im Kindesalter (Rachitis)
- Unfälle oder schlecht verheilte Brüche
- Wachstumsstörungen oder Stoffwechselerkrankungen
- Übergewicht oder Fehlhaltungen
- Fußfehlstellungen wie Knick-Senkfuß, die sich auf die Beinachse auswirken
Dabei gilt: Je länger die Fehlstellung unbehandelt bleibt, desto stärker werden die Gelenkflächen einseitig belastet – was die Entstehung einer Arthrose begünstigt.3
Wie sich der Druck bei einer Fehlstellung ins Knie ableitet
Entscheidend ist dabei die Ausrichtung der Beinachse, heißt es in der im Fachblatt „Science Translational Medicine“ veröffentlichten Studie.4 Ist sie nach innen geneigt, hat man X-Beine. Ist sie nach außen gewölbt, hat man O-Beine. Beides ist nicht ungewöhnlich und auch nicht ungesund. Dennoch wird der Druck, der auf den Kniegelenken lastet, übermäßig stark nach innen bzw. außen abgeleitet. Ein gesundes Knie kann eine solche Achsenabweichung in der Regel gut tolerieren. Bei einem Meniskusschaden steigt das Arthrose-Risiko allerdings erheblich.
Nachbildung am Tiermodell
Madry und seine Kollegen haben beide Fehlstellungen sowie die normale Beinachse im Tiermodell nachgebildet und die Auswirkungen eines Meniskusschadens auf das anschließende Arthrose-Risiko untersucht. „Wir haben in der Studie sehr detailliert nachweisen können, dass ein Meniskusschaden tatsächlich das Risiko für eine Arthrose im Kniegelenk messbar steigert“, erklärt Madry in einer Mitteilung der Universität.5 Seine wichtigste Erkenntnis: „O-Beine sind viel riskanter für die letztendliche Entstehung einer Arthrose als X-Beine.“

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O-Beine und erhöhtes Arthrose-Risiko – was das für die Therapie bedeutet
Für die gängigen Therapieverfahren ist die Erkenntnis von Bedeutung. Denn es gibt mehrere Ansätze, die Achse zu korrigieren: Schuheinlagen und Knieorthesen (spezielle Bandagen und Schienen zur Stabilisierung des Kniegelenks) oder ein chirurgischer Eingriff, bei dem die Achse des natürlichen Kniegelenks korrigiert wird. Ein künstliches Kniegelenk wäre auch eine Möglichkeit, „ist aber für jüngere Patienten, die zumeist noch sehr aktiv sein wollen, natürlich sehr belastend“, so der Experte. Zumal diese nach zehn Jahren meist ausgetauscht werden müssen. Die grundlegenden Erkenntnisse aus seiner Studie könnten nun dafür sorgen, dass Operationen unter Erhalt des natürlichen Knies verstärkt eingesetzt werden. Das beschert Patienten mit O-Beinen auch ohne Knieprothese eine gute Lebensqualität.
Wie bei einer gotischen Kathedrale
Der Experte vergleicht O-Beine mit dem Bogen einer gotischen Kathedrale – auch bei dieser Konstruktion ist die Last auf die Pfeiler groß. Letzten Endes verhalte es sich mit dieser wissenschaftlichen Studie ähnlich wie mit dem Fortschritt in der Baukunst. „Gotische Baumeister wussten auch, wie sie den Bogen als Stütze für die Last der Kathedrale bauen mussten, und zwar aus Erfahrung. Heutige Bauingenieure hingegen wissen genau, wie sie die Traglast einer Wand oder eines Bogens berechnen müssen, um ein Gebäude sicher errichten zu können.“ Genau das ist für Madry der Unterschied zwischen Erfahrungswerten und exakter Wissenschaft.