
14. Mai 2025, 13:01 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Egal, ob beim Blutabnehmen oder Spritzen von Medikamenten: Nadeln machen vielen Menschen Angst und nicht jeder kann sich vorstellen, selbst Hand anzulegen. Doch gerade, wenn es um starkes Übergewicht und Diabetes Typ 2 geht, sind sogenannte GLP-1-Rezeptor-Agonisten – wie Ozempic und Wegovy – eine wirksame Hilfe. Der Clou: das Medikament muss regelmäßig mit einer Spritze injiziert werden. Doch eine neue „Abnehmpille“ könnte diese bald ablösen.
Kommt die Tablette gegen Übergewicht? Der Pharmakonzern Eli Lilly hat erste Phase-3-Ergebnisse zu Orforglipron vorgelegt – der weltweit ersten oralen GLP-1-Pille, die statistisch signifikant Blutzucker senkt und Gewicht reduziert. Phase-3-Studien sind die letzte Stufe vor einer möglichen Zulassung, um die Wirksamkeit und Sicherheit eines Medikaments zu testen. Die Wirkung von Orforglipron sei vergleichbar mit denen bisheriger GLP-1-Präparate, die gespritzt werden müssen.
Übersicht
Das globale Problem mit dem Übergewicht
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO litt 2022 weltweit jeder Achte an Adipositas. Diese Form von Übergewicht liegt ab einem Body-Mass-Index von 30 vor. Bei Erwachsenen haben sich die Fälle von Adipositas weltweit seit 1990 mehr als verdoppelt, bei Jugendlichen sogar vervierfacht.1 In Folge steigt das Risiko für Erkrankungen wie Diabetes Typ 2, Herzkreislauf-Erkrankungen, Krebs und weitere. Da auch Prognosen für zukünftige Zahlen – vorsichtig ausgedrückt – nicht besonders gut aussehen, sind laut dem Fachjournal „The Lancet“ „sofortige Maßnahmen zur Bewältigung dieser Gesundheitskrise“ notwendig.2
Was genau steckt in der Tablette gegen Übergewicht?
Chugai Pharmaceutical entwickelte Orforglipron 2018, später wurde es von Eli Lilly lizenziert. Der Wirkstoff gehört zur Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten – Medikamente, die das körpereigene Hormon GLP-1 nachahmen und so den Blutzuckerspiegel regulieren, das Hungergefühl verringern und die Magenentleerung verzögern. Anders als die bekannten injizierbaren Wirkstoffe wie Semaglutid, welcher in Ozempic steckt, basiert Orforglipron nicht auf einem Peptid, sondern auf einem kleinen Molekül. Und das ist der entscheidende Unterschied: Es wird im Verdauungstrakt nicht sofort zersetzt und kann deshalb als Tablette eingenommen werden. Pro Tag ist eine Pille notwendig, ohne Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme. Die einfache Einnahmeform könnte für viele Betroffene eine niedrigere Hürde darstellen, als sich regelmäßig eine Spritze zu setzen.
Auch interessant: Diese heftigen Nebenwirkungen können Abnehmspritzen wie Ozempic haben
Wie das Medikament getestet wurde
Der Pharmakonzern testete Orforglipron im Rahmen der Phase-3-Studie ACHIEVE-1. An dieser klinischen Studie nahmen 559 übergewichtige Erwachsene mit Typ-2-Diabetes teil, deren Blutzucker trotz Ernährung und Bewegung nicht im gewünschten Bereich lag. Als Marker hierfür diente der HbA1c-Wert, welcher Informationen über den Blutzucker in den vergangenen zwei bis drei Monaten gibt. Bei Gesunden liegt dieser Wert etwa bei 5,7 Prozent. Bei Typ-2-Diabetikern werden Werte zwischen 6,5 und 7,5 Prozent in der Therapie angestrebt.3 Die Probanden wiesen zu Studienbeginn allerdings einen durchschnittlichen HbA1c-Wert von 8,0 Prozent auf und wogen im Schnitt rund 90 Kilogramm. Sie wurden zufällig einer von vier Gruppen zugewiesen: drei verschiedene Dosierungen von Orforglipron (3, 12 und 36 Milligramm) oder einem Placebo.
Die Behandlung erstreckte sich über 40 Wochen. Alle Teilnehmenden begannen mit einer niedrigen Startdosis, die schrittweise bis zur jeweiligen Zielmenge erhöht wurde. Ziel war es, die blutzuckersenkende Wirkung des Medikaments im Vergleich zu Placebo zu bewerten. Währenddessen wurden keine anderen Diabetesmedikamente eingenommen.
Blutzuckerwerte sanken signifikant
Tatsächlich zeigte Orforglipron eine signifikante Senkung des HbA1c-Werts über alle Dosierungen hinweg. Der durchschnittliche Rückgang lag je nach Dosis zwischen 1,3 und 1,6 Prozentpunkten – ein Effekt, der mit injizierbaren GLP-1-Wirkstoffen wie Semaglutid vergleichbar ist. Über 65 Prozent der Teilnehmenden, die die höchste Dosis erhielten, erreichten einen HbA1c-Wert von 6,5 Prozent oder darunter – also einen Wert unterhalb der Schwelle für Diabetes.
Wie viel Gewicht verloren die Probanden?
Die Frage, die nun wohl jedem unter dem Nagel brennt: Hilft die Tablette genauso gut gegen Übergewicht wie die Spritzen? Die Studie zeigte, dass die Teilnehmenden durchschnittlich 7,3 Kilogramm verloren. Das entspricht etwa acht Prozent ihres Ausgangsgewichts. Allerdings konnte Tirzepatid in Zulassungsstudien einen höheren Gewichtsverlust von 16 bis 21 Prozent verzeichnen.4 Bei Ozempic sind es nach etwas mehr als einem Jahr Anwendung auch stolze 15 Prozent.5 In der Pressemitteilung weist Eli Lilly jedoch darauf hin, dass der Gewichtsverlust ihrer Probanden bisher nicht abgeschlossen sei, das Plateau also noch nicht erreicht sei. Das Potenzial der Wirkung könnte also über den acht Prozent liegen – doch das bleibt abzuwarten.6
Nebenwirkungen ähnlich zu bekannten Präparaten
Trotz oraler Einnahme unterscheiden sich die Nebenwirkungen von Orforglipron nicht jenen bekannter GLP-1-Therapien. Am häufigsten traten Beschwerden des Magen-Darm-Trakts auf, darunter Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Verstopfung. Diese Nebenwirkungen waren meist mild bis moderat und führten nur in wenigen Fällen zu einem Abbruch der Therapie. Die Abbruchraten aufgrund unerwünschter Ereignisse lagen zwischen vier und acht Prozent – im Vergleich zu einem Prozent in der Placebo-Gruppe.

Was kommt nach dem Absetzen der Abnehm-Pille?
„Es ist nicht überraschend, dass ich als Ernährungsexpertin lieber das Übel an der Wurzel packe – die Ernährung. Sicher, eine Tablette ist eine bequeme Lösung, die keine Verhaltensumstellung erfordert. Doch was kommt danach? Möchte man lebenslang ein Medikament zur Gewichtskontrolle einnehmen? Auch Prof. Dr. Norbert Stefan gibt im FITBOOK-Interview zu bedenken, dass der Rebound-Effekt ohne entsprechende Lebensstilveränderungen viel größer als aktuell erwartet ausfallen könnte.
Ich selbst hatte mir eine dänische Studie angeschaut, die herausfinden wollte, ob sich das Körpergewicht nach dem Absetzen von Liraglutid (ein weiterer GLP1-Wirkstoff) langfristig besser halten lässt, wenn die Behandlung mit einem strukturierten Trainingsprogramm kombiniert wird. Und siehe da: Die besten Langzeitergebnisse erzielte die Kombination aus Medikament und Bewegung, nicht das Medikament allein.“
Experte bewertet die Studienergebnisse
Der Kardiologe Professor Naveed Sattar von der University of Glasgow sieht großes Potenzial in den Studienergebnissen. „Dies sind wichtige Ergebnisse. Neue orale Wirkstoffe, die den Blutzucker senken und gleichzeitig das Gewicht deutlich über die Werte der meisten bestehenden Diabetestherapien hinaus reduzieren, sind für die zukünftige Behandlung von Typ-2-Diabetes von entscheidender Bedeutung. Denn aktuelle Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Übergewicht nicht nur bei vielen Menschen überhaupt erst zu Typ-2-Diabetes führt, sondern auch maßgeblich zu vielen damit verbundenen Komplikationen beiträgt. Gezielter Gewichtsverlust trägt oft auch zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten bei“, kommentierte er.7
Allerdings betont Sattar auch, dass noch nicht alle Fragezeichen beseitigt sind: „Ein Vorbehalt ist allerdings, dass wir die Auswirkungen dieser neueren Therapie auf kardiovaskuläre Ereignisse noch nicht kennen, aber zukünftige Studien werden dies zeigen. Es ist auch erfreulich, etwas über das Sicherheitsprofil dieser neuen oralen GLP-1RA-Medikamente zu erfahren – insbesondere über die Leberwerte – und wir freuen uns, die Daten zu gegebener Zeit in einer vollständigen Veröffentlichung zu sehen.“

Die Wirkung und gesundheitlichen Effekte von GLP-1-Rezeptor-Agonisten

Ralph Siegel nimmt 36 Kilo ab – was Studien zu Wegovy & Co. sagen

Experten warnen vor unkontrollierter Einnahme von Semaglutid zum Abnehmen
Wann wird es Orforglipron auf dem Markt geben?
Die Ergebnisse der ACHIEVE-1-Studie werden auf der diesjährigen Jahrestagung der American Diabetes Association im Juni vorgestellt und sollen in einer Fachzeitschrift publiziert werden. Zudem plant Lilly, bald weitere Daten aus der klinischen Phase-3-Studienreihe „ACHIEVE“ zu veröffentlichen. Ebenso gibt es bald neue Ergebnisse aus der Parallelstudie „ATTAIN“, die Orforglipron gezielt zur Gewichtskontrolle untersucht.
Die Zulassung für die Behandlung von Übergewicht will Eli Lilly noch in diesem Jahr bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragen. Danach folgt einer zur Diabetes-Behandlung Anfang 2026. Das Unternehmen betont, dass bei einer Zulassung keine Lieferengpässe zu erwarten seien.