
13. Mai 2025, 15:02 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Am 1. Dezember 2019 wurde der erste bekannte Fall von COVID-19 registriert. Drei Monate später erklärte die WHO die weltweite Pandemie. Rund eine Milliarde Menschen in über 200 Ländern infizierten sich, mehr als 7 Millionen Menschen starben. Eine neue, innovative Studie vertieft die Ursprünge des Coronavirus. Forscher konnten zeigen: Die nächsten bekannten Vorfahren des Virus zirkulierten weniger als 10 Jahre vor deren Auftreten beim Menschen in Fledermäusen.
Dass das Coronavirus ursprünglich aus der Tierwelt stammt – vermutlich von Fledermäusen –, gilt als wahrscheinlich.1 Doch wie genau? Wann tauchten die direkten tierischen Vorläufer des Virus auf? Wo lebten sie? Und konnten sie tatsächlich aus eigener Kraft bis nach Wuhan gelangen, wo die Pandemie begann? Ein internationales Team, bestehend aus Forschern der University of Edinburgh, der University of Tokyo, der University of Oxford, der University of Arizona, der University of California und der Katholieke Universiteit Leuven ist diesen Fragen noch einmal nachgegangen. Ihre genetischen und geografischen Analysen zeigen erstaunliche Details – und werfen ein neues Licht auf den Ursprung des Coronavirus.
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Übersicht
- Forscher wollten wissen: Wann und wo lebten die engsten bekannten Vorläuferviren?
- 250 Virengenome aus Fledermäusen analysiert
- Analyse zeigt: Tierische Vorläufer tauchten viel näher am Ausbruchszeitpunkt auf, als gedacht
- Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
- Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
- Fazit
- Quellen
Forscher wollten wissen: Wann und wo lebten die engsten bekannten Vorläuferviren?
Seit dem Ausbruch von SARS-CoV-1 im Jahr 2002 und SARS-CoV-2 im Jahr 2019 wird intensiv nach den tierischen Ursprüngen dieser beiden Viren geforscht. Klar ist: Beide gehören zur Gruppe der sogenannten „Sarbecoviren“ und stammen von Fledermäusen – genauer gesagt von Hufeisennasen. Das ist eine Fledermausgattung, die in Asien vorkommt.
Ziel der in der Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlichten Studie war es, die Herkunft dieser beiden Pandemieviren – also den Ursprung des Coronavirus – genetisch und geografisch möglichst exakt zurückzuverfolgen.2 Die Forschenden wollten wissen: Wann lebten die engsten bekannten Vorläuferviren? Wo zirkulierten sie? Und: Ist es plausibel, dass sie auf natürlichem Weg bis nach Wuhan oder Guangzhou gelangten? Damit sollte auch überprüft werden, ob menschliche Einflüsse – etwa durch den Wildtierhandel – beim Überspringen auf den Menschen eine Rolle gespielt haben könnten.
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250 Virengenome aus Fledermäusen analysiert
Die Forscher analysierten 250 vollständige Virengenome aus Fledermäusen, die zur Gruppe der Sarbecoviren gehören. Um die evolutionäre Geschichte dieser Viren nachvollziehen zu können, konzentrierten sich die Wissenschaftler auf sogenannte nicht-rekombinante Regionen (NRRs) – das sind Abschnitte des Virus-Erbguts, die im Gegensatz zu anderen nicht durch Vermischung mit anderen Viren verändert wurden.
Insgesamt wurden 31 NRRs für SARS-CoV-1-ähnliche und 44 NRRs für SARS-CoV-2-ähnliche Viren untersucht. Je länger ein Virus in der Natur zirkuliert, desto mehr verändert sich sein Erbgut – also der „Bauplan“, der alle Eigenschaften des Virus bestimmt. Anhand dieser Veränderungen konnten die Forscher abschätzen, wann die nächsten bekannten tierischen Vorläufer der SARS-Viren wahrscheinlich existierten. Ergänzend nutzten sie geografische Modelle, um zu rekonstruieren, wo diese Vorläufer lebten – und wie schnell sich die Viruslinien über Fledermauspopulationen ausbreiteten. Die Forscher haben auch berücksichtigt, dass es möglicherweise noch unbekannte Viren gibt, die bislang unentdeckt geblieben sind. Sie wollten prüfen, ob ihre Ergebnisse auch dann noch gültig wären, falls solche Viren in Zukunft gefunden werden.
Analyse zeigt: Tierische Vorläufer tauchten viel näher am Ausbruchszeitpunkt auf, als gedacht
Die Untersuchung zeigt: Die tierischen Vorläufer von SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 tauchten viel näher am Ausbruchszeitpunkt auf, als bisher gedacht. Beim ersten SARS-Virus, das 2002 beim Menschen festgestellt wurde, stammt der bislang engste bekannte tierische Verwandte aus dem Jahr 1996 – in einem Abschnitt des Erbguts sogar nur ein Jahr vor dem Ausbruch. Auch bei SARS-CoV-2, das Ende 2019 erstmals beim Menschen festgestellt wurde, zeigt die Analyse: Manche Vorläufer waren vermutlich noch 2014 im Umlauf – also nur fünf Jahre vor Beginn der Pandemie. Diese Erkenntnisse liefern neue Hinweise zum Ursprung von Corona.
Diese Viren wurden jedoch nicht in Wuhan oder Guangzhou gefunden, wo die Ausbrüche beim Menschen begannen, sondern über 1.000 Kilometer entfernt. Also in Regionen wie Yunnan (im Westen Chinas), Sichuan, Guizhou oder Nordlaos.
Konnten sich die Viren über Fledermäuse in so kurzer Zeit so weit verbreiten?
Die Forscher wollten wissen, ob sich die Viren über Fledermäuse in so kurzer Zeit so weit verbreiten konnten. Dafür berechneten sie, wie schnell sich solche Viren normalerweise ausbreiten – nämlich nur ein paar hundert bis maximal rund 1.600 Quadratkilometer pro Jahr. Das entspricht ungefähr dem Gebiet, das sich auch Fledermäuse jährlich „erschließen“. Doch das reicht nicht aus, um die weite Strecke zwischen den Ursprungsregionen und den Ausbruchsorten – wie etwa Wuhan – innerhalb weniger Jahre zu überwinden.
Deshalb kommt die Studie zu einem klaren Schluss: Die Viren konnten nicht allein durch natürliche Bewegung von Fledermäusen zum Menschen gelangen. Menschen könnten die Viren über den Handel mit Wildtieren verbreitet haben – indem sie infizierte Tiere über große Entfernungen transportierten.
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass es bei der Entstehung von SARS-Pandemien nicht nur auf die Viren selbst ankommt – sondern auch auf die Umstände, unter denen sie sich ausbreiten konnten.
Wenn die bekannten Vorläufer nicht allein über Fledermäuse zu den Ausbruchsorten gelangten, rückt der Mensch in den Fokus – etwa durch Wildtierhandel, Märkte oder Transportwege in Asien.
Künftige Studien sollten nicht nur die genetische Nähe von Viren untersuchen, sondern auch, wo Tiere gefangen und gehandelt werden – und welche Verbindungen dabei eine Rolle spielen. Auch bislang wenig beachtete Regionen könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.
Für die Seuchenprävention heißt das: Risiken durch Wildtierhandel und exotische Tierhaltung müssen deutlich ernster genommen werden. Denn solche Handelswege könnten eine zentrale Rolle beim Ursprung von Corona gespielt haben – sie könnten entscheidend dafür gewesen sein, dass Viren wie SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 überhaupt bis zum Menschen gelangten.
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie gilt als eine der bislang gründlichsten Untersuchungen zur Herkunft der beiden SARS-Viren. Besonders hervorzuheben ist, dass die Forscher sich gezielt auf stabile Abschnitte des Viruserbguts konzentrierten, die sich nicht durchmischen. Das erlaubt eine bessere Rückverfolgung der Entwicklung – und liefert wichtige Hinweise zum Ursprung des Coronavirus.
Auch die Verbindung von genetischen und geografischen Daten ist ein Fortschritt. Sie zeigt, was verwandt ist – und wo es vorkommt.
Trotzdem gibt es Einschränkungen: Für einige wichtige Berechnungen mussten die Forscher auf Virenproben aus menschlichen Fällen zurückgreifen. Der Grund: Aus Fledermäusen – dem natürlichen Ursprung der Viren – liegen zu wenige Proben aus den entscheidenden Regionen vor. Außerdem hängt der Nachweis von Viren in Tieren davon ab, wann und wo genau man sie untersucht. Zum Beispiel spielen Jahreszeit oder Gesundheitszustand der Tiere eine Rolle.
Kein direkter Ursprung in Wuhan gefunden
Trotz dieser Unsicherheiten zeigt die Studie klar: Selbst nach jahrelanger intensiver Suche wurde in Wuhan und Umgebung kein einziger tierischer Vorläufer entdeckt, der dem Virus beim Menschen eng genug verwandt ist. Das untermauert die Aussage, dass SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 nicht direkt vor Ort aus einem Fledermausvirus entstanden sein können.
Natürlich gibt es noch viele Regionen, in denen bisher kaum Proben genommen wurden. Und vielleicht gibt es auch noch unbekannte Viren, die das Gesamtbild später ergänzen könnten. Doch selbst wenn man solche Möglichkeiten mit einrechnet, bleibt das zentrale Ergebnis bestehen. Die nächsten bekannten tierischen Vorläufer waren zwar zeitlich sehr nah – aber geografisch zu weit entfernt, um ohne menschliches Zutun bis zu den Ausbruchsregionen zu gelangen.

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Fazit
Die neue Studie der Universität Edinburgh liefert wichtige Hinweise zur Herkunft der SARS-Viren. Sie zeigt: Die tierischen Vorläufer beider SARS-Viren tauchten kurz vor den Ausbrüchen auf – aber nicht in der Nähe der ersten bekannten Infektionsorte. Das legt nahe: Ohne menschliches Zutun – etwa durch den Wildtierhandel – lässt sich die schnelle Verbreitung kaum erklären.
Für die Zukunft bedeutet das: Um neue Pandemien besser zu verhindern, muss man nicht nur die genetische Entwicklung von Viren beobachten, sondern auch verstehen, auf welchen Wegen sie vom Tier zum Menschen gelangen – und welche Rolle Märkte, Transporte und menschliche Eingriffe dabei spielen.