
12. Mai 2025, 14:59 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Nach wenigen Monaten mit der „Abnehmspritze“ hatten 262 Teilnehmer einer irischen Studie ein drastisch reduziertes Verlangen nach Alkohol. Klinische bedeutsam ist diese Erkenntnis zwar noch nicht – doch die Studie ist ein relevanter Hinweisgeber für einen willkommenen Doppelnutzen von GLP-1-Analoga.
Alkoholmissbrauch ist eine schwere Krankheit, die jährlich für 2,6 Millionen Todesfälle verantwortlich ist. Das sind 4,7 Prozent aller Todesfälle weltweit, heißt es in einer Veröffentlichung der European Association for the Study of Obesity.1 Behandlungsmethoden wie kognitive Verhaltenstherapie können meist nur kurzfristig helfen, denn 70 Prozent der Patienten erleiden innerhalb des ersten Jahres einen Rückfall. Eine neue Studie scheint nun eine bereits vermutete Nebenwirkung der sogenannten Abnehmspritzen zu bestätigen: Sie dämpfen das Verlangen nach Alkohol.
Übersicht
Mit Abnehmspritzen aus der Alkoholsucht?
Gefühlt hspritzt sich halb Hollywood, und längst sind Ozempic, Semaglutid und Co. auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Wirkstoffe sind sogenannte GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die nicht nur den Blutzuckerspiegel regulieren und den Appetit zügeln, sondern offenbar auch das Suchtverlangen dämpfen. Erste Studien an Mäusen hatten bereits Hinweise darauf gegeben (FITBOOK berichtete).
Nun wollten Forscher des University College Dublin der Sache auf den Grund gehen und rekrutierten für ihre Studie 262 Erwachsene, von denen 188 die Studie beendeten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Diabetes, Obesity and Metabolism“ veröffentlicht.2
Ablauf der Studie
Die Teilnehmer (79 Prozent Frauen) hatten zu Beginn alle einen BMI über 27 und wurden entweder mit Semaglutid oder Liraglutid behandelt. Das Durchschnittsalter lag bei 49 Jahren, das Durchschnittsgewicht bei 98 Kilogramm. Sie wurden unterteilt in
- Nichttrinker (31 Personen bzw. 11,8 Prozent der Probanden)
- Gelegenheitstrinker mit weniger als 10 Alkoholeinheiten pro Woche (52 Personen bzw. 18,8 Prozent der Teilnehmer)
- Regelmäßige Trinker mit mehr als 10 Alkoholeinheiten pro Woche (179 Personen bzw. 68,4 Prozent der Teilnehmer)
Eine Alkoholeinheit entspricht acht Gramm reinem Alkohol, also einem kleinen Glas Bier, einem kleinen Glas Wein oder einem Schnaps.
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So stark reduzierten Abnehmspritzen die Lust auf Alkohol
Vier Monate später zogen die Forscher Bilanz. Keiner der Teilnehmer hatte seinen Alkoholkonsum erhöht. Im Gegenteil: Die Reduktion des Alkoholkonsums war statistisch signifikant. Der durchschnittliche Konsum von 11,8 Alkoholeinheiten pro Woche sank auf 4,3. Wer sich also vorher 12 kleine Drinks genehmigte, griff nur noch gut viermal zum Glas.
Auch starke Trinker profitierten enorm
Auch die starken Trinker profitierten enorm. Bei ihnen sank der Alkoholkonsum von riskanten 23,2 Einheiten auf 7,3 Einheiten pro Woche. Die Reduktion um gut ein Drittel ist vergleichbar mit der Wirkung von Nalmefen, einem Medikament zur Behandlung von Alkoholmissbrauch, heißt es im Studienbericht. Zusätzlich brachten die Probanden durchschnittlich 7,7 Kilogramm weniger auf die Waage.
Keine geschlechtsspezifischen Unterschiede
Die Studie analysierte Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmern hinsichtlich der Reduktion des Alkoholkonsums und stellte fest, dass diese Unterschiede nicht signifikant waren. Die Studie fand überdies eine schwache positive Korrelation zwischen der Reduktion des Alkoholkonsums und dem Gewichtsverlust.
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Wie ist die Wirkung zu erklären?
Abnehmspritzen, genauer gesagt GLP-1-Medikamente, scheinen nicht nur das Gewicht, sondern auch das Verlangen nach Alkohol signifikant zu reduzieren – und das offenbar ganz ohne Selbstdisziplin. Die Patienten berichten von einer „mühelosen Wirkung“. Wie ist das möglich? „Wie genau GLP-1-Analoga den Alkoholkonsum reduzieren, ist noch nicht vollständig geklärt“, sagt Studienleiter Professor le Roux. „Wahrscheinlich wirken sie, indem sie das Verlangen nach Alkohol unterdrücken – und zwar in Hirnarealen, die außerhalb unseres bewussten Willens liegen.“ Dort verringern die Medikamente offenbar die Dopaminfreisetzung in Reaktion auf Alkohol.

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Eine Studie mit Einschränkungen
Die Vermutung, dass Abnehmspritzen wie Semaglutid oder Liraglutid nicht nur einen Einfluss auf das Essverhalten, sondern auch auf das Verlangen nach Alkohol haben, wurde durch die Studie weiter bestärkt. Allerdings fehlt zum einen eine Kontrollgruppe. Zum anderen mussten sich die Forscher ganz auf die Selbstauskünfte der Probanden verlassen. Das kann zu Erinnerungsverzerrungen und sozial erwünschten Antworten führen. Ungenauigkeiten führen. Zudem war der Versuchszeitraum mit vier Monaten relativ kurz und etwa 28 Prozent der Teilnehmer gingen während der Studie „verloren“.
Die Ergebnisse deuten zwar klar darauf hin, dass diese Medikamente eine unterstützende Rolle bei der Behandlung von Alkoholmissbrauch spielen könnten – doch klinisch bedeutsam wird die Erkenntnis erst dann, wenn randomisierte kontrollierte Studien mit längerer Beobachtungsdauer, Kontrollgruppen und objektiveren Messmethoden die Hypothese bestätigen. Die Studie zeigt lediglich eine Assoziation, keine Kausalität.