13. Oktober 2020, 5:33 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wenn Menschen stets Fleisch gegessen haben und dann (zumindest zeitweise) darauf verzichten, nehmen sie recht schnell ab. In das Phänomen spielen offenbar verschiedene Faktoren hinein – wie Experten gegenüber FITBOOK bestätigen.
Bei vielen Menschen sind Kohlenhydrate als vermeintliche Dickmacher verschrien. Dabei können die Pfunde auch schnell purzeln, wenn man aufhört, Fleisch zu essen. Diese Erfahrung hat unter anderem FITBOOK-Redakteur Flavio Treppner gemacht: Gleich zu Beginn seiner Vegan-Challenge purzelten bei dem früheren Fleisch-Junkie (angeblich verputzte er davor bis zu fünf Kilo Fleisch pro Woche) wöchentlich etwa drei Kilogramm Körpergewicht. Ein Diäteffekt, der von ihm gar nicht beabsichtigt – aber dennoch nicht zu übersehen war. Fleisch vom Speiseplan streichen – und prompt abnehmen: Wie Flavio geht es auch vielen anderen. Was steckt dahinter?
Experte: »Kein echtes Abnehmen, wenn man kein Fleisch mehr isst
FITBOOK hat Prof. Nicolai Worm zu diesem Phänomen befragt. Der Diplom-Ökotrophologe und Buchautor („Außen schlank – innen fett“, Thieme Verlag) ist Verfechter und selbst überzeugter Anhänger einer fleischreichen Ernährung. „Der erfolgreichste Weg zum Abnehmen ist eine Low-Carb-Diät über einen Zeitraum von zwölf Monaten“, versichert er uns. „Und da wird sicherlich meist Fleisch gegessen.“
Dennoch will der Experte nicht abstreiten, dass es sich deutlich auf der Waage bemerkbar machen kann, wenn man von jetzt auf gleich Fleisch meidet. Der vermeintliche Gewichtsverlust sei jedoch nicht echt: „Das Gewicht auf der Waage ist trügerisch. Wenn Protein fehlt, wird viel fettfreie Masse abgebaut“, so Worm. Und: „Auch Muskeln natürlich.“
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Weniger Fleisch, weniger Protein
Zum Aufbau und Erhalt von Muskeln braucht der Körper ausreichend Proteine. Dies betrifft einerseits formschöne Muskeln, die aus ästhetischen Gründen gewünscht sein können – andererseits aber auch jene, die wesentliche Körperfunktionen erfüllen. Nicht zuletzt muss auch der Herzmuskel ausreichend versorgt sein.
Proteine kann man sich durch die Ernährung zuführen. Zusätzlich gibt es Nahrungsergänzungsmittel wie Eiweißshakes und -riegel, um einen erhöhten Bedarf zu decken. Diejenigen, die tierische Produkte maßvoll zu sich nehmen wollen, greifen mehr und mehr auf pflanzliche Eiweißlieferanten und -supplements zurück.
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Unterschiedliche biologische Wertigkeit
Zwischen tierischem und pflanzlichen Protein bestehen Unterschiede in der sogenannten biologischen Wertigkeit. Diese sagt aus, wie gut entsprechendes Protein vom Körper umgesetzt werden kann. Die biologische Wertigkeit (auch: Bioverfügbarkeit) von pflanzlichem Protein ist nicht ideal. Tierisches Protein verfügt dagegen über eine günstigere Aminosäure-Zusammensetzung. Das muss kein Problem sein, wenn man sich informiert und verschiedene pflanzliche Proteinquellen sinnvoll kombiniert.
Wer auf Fleisch verzichtet, führt meist automatisch weniger Eiweiß zu
Aber auch wenn man nicht direkt zum Veganer wird und weiterhin tierisches Eiweiß zu sich nimmt (bspw. Eier und Milchprodukte), führt man sich im Zweifelsfall weniger Eiweiß zu, als man es noch als Fleischesser getan hat.
So gehören Quark und Eier zu den eiweißreicheren vegetarischen Lebensmitteln. Beide liefern à 100 Gramm jeweils etwa 13 Gramm Eiweiß – also kaum die Hälfte von 100 Gramm Hähnchenbrust. Da sind es stolze 27 Gramm Eiweiß, und zwar von idealer biologischer Wertigkeit. 100 Gramm Rindfleisch bringen immer noch zwischen 25 und 26 Gramm Eiweiß auf den Tisch. Heißt: Von vegetarischen Lebensmitteln müsste man deutlich mehr essen, um auf die gleiche Menge Eiweiß zu kommen.
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Gewichtsverlust bei Fleischverzicht – woran es noch liegen kann
Häufig hat der scheinbare Gewichtsverlust aber auch mit der kalorienreichen Darreichung von Fleischgerichten zu tun, die auf einmal wegfällt. Das sagen zu FITBOOK gleich zwei Ernährungsexperten.
„Fleisch wird oft mit gehaltvollen Soßen gegessen“, weiß Ernährungswissenschaftler Uwe Knop. Wer auf Fleisch verzichte, erspart sich in der Regel auch „das ganze Beiwerk“. Knop zählt zuckerreichen Ketchup, fette Mayonnaise und „in Fett ausgebackene Pommes, Gebratenes oder Frittiertes sowie in Speck Eingewickeltes“ auf. „Ebenfalls nicht wenig Kalorien!“ Zudem werde auch Fleisch oft selbst paniert. Eine Zubereitungsform, die den Gehalt an Kohlenhydraten (im Paniermehl) und Fett deutlich erhöhe.
Fleischesser nehmen verhältnismäßig viel Kalorien zu sich
Wie Knop spricht auch sein Kollege Sven-David Müller von dem Phänomen der verminderten Kalorienzufuhr, für das es noch an wissenschaftlichen Belegen fehlt. Demnach zeichnen sich bestimmte Fleischwaren – etwa Hackfleisch oder Wurst – bereits ohne Sauce oder Beilage durch eine hohe Kaloriendichte aus, „also einen hohen Gehalt an Kalorien à 100 Gramm“, so der Ernährungsexperte. Wer häufig Wurst und Fleisch isst, nimmt in vielen Fällen also automatisch mit kleinen Portionen große Kalorienmengen zu sich.
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Beispiel gefällig? 100 Gramm gewöhnliche Salami haben rund 345 Kalorien. Bei 100 Gramm Eiern sind es im Schnitt 140 Kalorien.
Auch das Sättigungsgefühl spielt eine Rolle
„Insbesondere vegane Lebensmittel sind häufig sehr kalorienarm und haben eine niedrige Energiedichte“, sagt uns Müller. Nüsse, Samen, Kerne und Ölfrüchte (z.B. Oliven und Avocados) ausgenommen. „Im Vergleich zu Fleisch ist die Sättigung bei ballaststoffreichen veganen Produkten wie Hülsenfrüchten, Pellkartoffeln oder Kohl extrem hoch.“ Man esse somit weniger, fühlt sich länger satt und erreicht einfacher eine negative Energiebilanz, was zum Abnehmen führen kann.
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Fazit
Wissenschaftlich ist nicht bewiesen, dass es zum Abnehmen führt, wenn man kein Fleisch mehr isst. Dass es dennoch häufig passiert, liegt dann im Zweifelsfall an einer insgesamt geringeren Kalorienzufuhr. Bei sehr sportlich aktiven Menschen – insbesondere solchen, die vorher sehr viel Fleisch zu sich genommen haben – fällt eine Menge an gut verwertbarem Eiweiß weg. Das vermissen die Muskeln; als Folge wird fettfreie Masse abgebaut.