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FITBOOK-Redakteurin berichtet

„Disziplin, Schmerz, Applaus! Meine Kindheit als Tänzerin auf der größten Theaterbühne der Welt“

Training
Regelmäßiges Training an der Ballettstange gehörte zum Alltag im jungen Ensemble. Foto: Getty Images / FITBOOK
Julia Freiberger
Redakteurin

25. Juni 2025, 13:37 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Mit sechs Jahren stand FITBOOK-Redakteurin Julia Freiberger das erste Mal auf der größten Bühne Europas. Zehn Jahre lang erhielt sie eine professionelle Ausbildung als Tänzerin und Schauspielerin. Sie tanzte auf einer Bühne, die sich bewegte und lebte zwischen Proben, Schulbank und Applaus. Doch dann kam die Stille und ihr Körper wusste plötzlich nicht mehr, wohin mit sich.

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Es gibt nur wenige Orte, die ich wirklich als mein Zuhause bezeichnen kann. Der Friedrichstadt-Palast ist einer davon. Auch wenn die Jahre dort von Schweiß, Tränen und Verzicht geprägt waren – ich würde diesen Weg jederzeit wieder gehen.

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Mein erster Schritt auf die Bühne

Manchmal, wenn ich im Bett liege und die Augen schließe, kann ich ihn noch ganz genau hören: den Applaus. Ich stelle mir vor, wie ich in vollständiger Dunkelheit stehe, mit meiner Hand, die vor Aufregung zittert, nach der meiner Freundin taste – und sie drücke. Und sie zurückdrückt. Dann sehe ich vor mir, wie der Vorhang nach oben geht, das Licht angeht, die Bühne plötzlich hell ist – und über 1000 Menschen einen anschauen. Ich erinnere mich an das kurze Aufflackern von Nervosität, bis ich die Musik höre – und mein Körper ganz automatisch übernimmt.

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Disziplin statt Ausschlafen

Ich war ein Langschläferkind. Morgens aufzuwachen, fiel mir schwer – bis ich plötzlich um neun Uhr im Probesaal stehen musste: wach, fokussiert, voller Spannung bis in die Fingerspitzen. Kein Raum für Trägheit, keine Zeit für Ausreden. Mit der Zeit wurde aus unserer Trainingsgruppe eine Gemeinschaft. Wir wuchsen zusammen, durch jede Probe, jedes gemeinsame Zittern vor Auftritten. Es war mehr als nur Training – es war ein Zuhause.

Ich hatte schon immer einen Hang zum Dramatischen und mochte es, auf der Bühne zu stehen (oder zu liegen).
Ich hatte schon immer einen Hang zum Dramatischen und mochte es, auf der Bühne zu stehen (oder zu liegen). Foto: FITBOOK

Zwischen Schulbank und Scheinwerferlicht

Ich befand mich im Spagat – nicht nur auf der Bühne, sondern im Alltag. Zwischen Schule, Tanz und meinem Privatleben. Morgens Schulbank, mittags Trainingssaal, abends Hausaufgaben. Und am Wochenende: Proben, Auftritte oder einfach nur schlafen, weil der Körper müde war.

Früher gab es klare Anforderungen an die Kinder im Ensemble – nicht nur tänzerisch, sondern auch optisch. Die Gruppe sollte einheitlich wirken, in Größe, Figur und Ausstrahlung. Es gab bestimmte Vorgaben, ähnlich wie bei den Erwachsenenshows oder im Moulin Rouge. Das Ziel war ein stimmiges Gesamtbild auf der Bühne – akrobatisch, synchron, visuell ansprechend. Denn am Ende war es ein Unterhaltungsprogramm.

Disziplin wurde großgeschrieben

Wer sich körperlich oder leistungsmäßig nicht anpassen konnte, durfte nicht bleiben. Ein gutes Rhythmusgefühl, Balletttechnik, Disziplin – all das wurde vorausgesetzt. Gleichzeitig war auch die schulische Leistung Teil der Bewertung: Wenn sich meine Noten durch das Training im Palast verschlechtert hätten, hätte ich nicht mehr mitwirken dürfen. Schule hatte Vorrang. Das hat bei mir oft zu Druck geführt. Ich wusste, dass ich meinen Platz verlieren könnte, wenn ich in der Schule nicht funktioniere – obwohl ich nachmittags stundenlang trainierte. Ich hatte Angst, dass eine schlechte Note alles gefährden könnte. Und diesen Gedanken hatte ich oft im Hinterkopf, auch wenn ich getanzt habe.

Auch organisatorisch war einiges notwendig

Es brauchte ein ärztliches Attest, das die körperliche Eignung bestätigte, sowie die Zustimmung der Schule. Und weil wir für unsere Auftritte ein kleines Taschengeld bekommen haben, musste das Jugendamt offiziell zustimmen – da wir unter 18 waren und damit als Kinder im künstlerischen Bereich „verdienten“.

Manche meiner Freunde konnten das nicht nachvollziehen. Warum ich auf Geburtstagen fehlte, warum ich nie lange blieb oder spontan absagte. Aber ich wusste: Wenn ich am Samstag um neun Uhr wieder im Saal stehen musste, konnte ich mir keine Nacht mit wenig Schlaf leisten – besonders, wenn eine Generalprobe anstand, die dann eben mal schnell vier Stunden dauern konnte.

Leben auf der größten Bühne Europas

Im Ensemble gab es immer eine A- und eine B-Besetzung. Mein Jahrgang bestand aus 20 Mädchen. Zwei Tänzerinnen pro Rolle – das bedeutete doppelte Leistung, aber auch doppelte Chance. Jede von uns wusste: Die Bühne gehört heute mir – oder ihr.

Im Klartext hieß das: Die A- und B-Besetzung wechselte täglich. Jede von uns hatte ein festes „Double“ – ein Mädchen, das ihr in Körpergröße und Proportionen möglichst ähnlich war. Nur so konnten wir uns eine Rolle teilen, auch was die Kostüme anging. Manchmal fiel das Double auch kurzfristig aus – und dann sprang man ein. Dann konnte es auch schnell mal passieren, dass man drei Abende hintereinander auf der Bühne stand. Und obwohl es anstrengend war, war genau das auch eine besondere Art von Glück.

Ausbildung mit Anspruch

Die Mitgliedschaft im jungen Ensemble des Friedrichstadt-Palastes war für mich viel mehr als nur Tanzen. Wir erhielten dort eine professionelle Bühnenausbildung mit Schwerpunkten in Tanz, Schauspiel und Gesang. Die Tanzausbildung war für alle verpflichtend. Wir lernten klassisches Ballett, Modern Dance und Jazz – jede Woche, über Jahre hinweg.

So sah unser Training beim Tanzen aus

Eine typische Trainingseinheit begann immer mit Cardio. Wir mussten uns aufwärmen – und zwar richtig. Wenn das Trikot am Ende der Einheit nicht durchgeschwitzt war, hatte man sich nicht genug angestrengt.

Standen keine Shows an, lag der Fokus auf klassischem Ballett. Dabei wurden wir auf dem Klavier begleitet – live, von jemandem, der unseren Rhythmus unterstützte. Es reichte nicht, die Schritte technisch zu beherrschen, man brauchte auch ein Gespür für Takt, für Tempo und Musik.

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Unsere Ballettlehrerin zeigte uns die Abfolgen, wir stellten uns in drei Reihen auf und versuchten, sie nachzumachen. Eine der größten Herausforderungen: nach einem Sprung lautlos auf dem Boden zu landen. Kein Geräusch – oder zumindest so leise wie möglich. Das wurde Reihe für Reihe kontrolliert. Wir haben viele verschiedene Technikübungen trainiert – darunter Pliés, Tendus, Ronds de jambe, Grand battements, Port de bras. Das waren nur einige Beispiele.

Anfangs tat das alles sehr weh

Die Füße waren ständig wund, jede Bewegung brannte. Aber mit der Zeit stumpften sie ab. Irgendwann gewöhnte sich der Körper daran. Bis heute habe ich den Vorteil, dass ich stundenlang hohe Schuhe tragen kann – ohne Schmerzen.

Willkommen im Showbusiness

Der Spiegel war ein täglicher Begleiter. Vor allem bei den klassischen Übungen an der Stange mussten wir ständig kontrollieren, ob jede Haltung stimmte, jede Linie sauber war. Jede Bewegung wurde visuell gegengecheckt – nicht, um sich selbst zu bewundern, sondern um besser zu werden.

Während das Training von Struktur und Technik geprägt war, sah es bei den Showvorbereitungen ganz anders aus. Dort arbeiteten wir mit speziellen Choreografen, die eigens dafür engagiert wurden. Zuerst gab es einen Durchlauf – man sah sich die Choreografie an, hörte die Musik, verfolgte die Bewegungen. Dann musste man sie gemeinsam mit dem Choreografen nachtanzen.

In die erste Reihe tanzen

Gleich in der ersten Runde wurden die ersten Positionen vergeben – meistens an die, die bereits früh gut mitgekommen waren. Das setzte viele unter Druck. Niemand wollte schon am Anfang in der ersten Reihe landen – denn dort war man sofort sichtbar. Trotzdem hoffte man insgeheim, dass der Finger sich auf einen richtete – dass man ausgewählt wurde. Es war eine Mischung aus Angst und Sehnsucht. Und auch wenn die Reihen später ohnehin durchrotierten, ging es ums Prinzip.

Sobald die Plätze verteilt waren, begann das eigentliche Einstudieren. Wer sich besonders reinhängte, konnte im späteren Showverlauf weiter nach vorn rücken. Wer vorn tanzte, galt als stärker. Deshalb strengten sich alle an – immer.

Die Kostüme fand ich immer besonders cool, auch wennes manchmal eine Herausforderung war, sich grazil in ihnen zu bewegen. 
Die Kostüme fand ich immer besonders cool, auch wennes manchmal eine Herausforderung war, sich grazil in ihnen zu bewegen.  Foto: Getty Images / FITBOOK

Eine Bühne, die wirklich lebte

All das fand auf der größten Theaterbühne Europas statt – mit beweglichen Ebenen, Wasserbecken und Plattformen, die sich während der Show senkten oder hoben. Damals lachte ich noch, wenn man sagte: „Die Bühne lebt.“ Aber sie tat es wirklich.

Unser Alltag war durchgetaktet: Training, Proben, Aufführungen – und dazwischen Schule, Hausaufgaben, kurze Pausen in der Maske. Trotzdem entstanden genau dort die schönsten Erinnerungen: das Warten hinter der Bühne, das Flüstern vor dem Auftritt, heimliche McDonald’s-Ausflüge. Der Palast war mehr als nur eine Bühne – er war wie eine zweite Familie.

In der Show gab es nicht immer nur „gute Rollen“. Manchmal musste man auch „böse Rollen“ übernehmen.
In der Show gab es nicht immer nur „gute Rollen“. Manchmal musste man auch „böse Rollen“ übernehmen. Foto: Privat

Als alles stillstand

Nach zehn Jahren endete meine Ausbildung. Falls man dafür ausgesucht wurde, hätte man für ein weiteres Jahr bleiben können – allerdings in einer anderen Gruppe. Einige meiner Mädels haben das gemacht und sind danach in die Erwachsenenshows übergegangen. Das hätte ich theoretisch auch machen können. Aber ich habe meine Zukunft nicht im Theater gesehen – deshalb habe ich mich dagegen entschieden und mich stattdessen nach einem Studium umgeschaut.

Plötzlich war der Alltag nicht mehr durchgetaktet

Kein Training am Nachmittag, keine Proben am Wochenende, keine festen Abläufe, die den Tag strukturieren. Das war ungewohnt. Ich hatte jahrelang nach einem festen Rhythmus gelebt – und auf einmal gab es keinen mehr. Ich versuchte, zu Hause aktiv zu bleiben, machte Workouts – aber sie kamen nicht annähernd an das Pensum heran, das mein Körper gewohnt war. Und so reagierte er: mit Muskelverhärtungen, Spannung, Krämpfen.

Tagsüber war es erträglich, abends wurde es schlimm. Besonders die Waden. Mein Vater massierte sie mir jeden Abend, setzte sich ans Bett und versuchte zu helfen. Ich lag daneben, völlig erschöpft, und weinte oft. Weil es einfach nicht besser wurde. Egal, was ich versuchte.

Wärmepflaster, heiße Bäder, Tabletten – nichts half wirklich

Die Krämpfe wurden so stark, dass ich schließlich zum Arzt musste. Eine Zeit lang brauchte ich sogar eine Krücke. Seine Empfehlung war: „Nimm Magnesium.“

Meine Beine waren durch das Training so kräftig, dass ich keine Stiefel tragen konnte, die über das Knie gingen. Der Reißverschluss ging einfach nicht zu. Mein Körper war bereit für Leistung – aber sie war plötzlich nicht mehr gefragt.

Körperliche Folgen

Nach etwa einem Monat habe ich gemerkt, dass meine Waden und Beine an Muskelmasse verloren hatten. Mein Körper hatte sich schnell umgestellt – ohne tägliches Training baut der Körper Muskulatur relativ zügig wieder ab. Gleichzeitig fehlte mir plötzlich die Ausdauer, die ich vorher für selbstverständlich gehalten hatte. Wenn ich einkaufen war und die Tüten in den dritten Stock getragen habe, kam ich kaum noch oben an, ohne nach Luft zu ringen – und das ist bis heute so geblieben.

Auch meine Beweglichkeit hat stark nachgelassen. Früher konnte ich mein Bein problemlos über den Kopf heben – heute geht das nicht mehr. Den Spagat, den ich jahrelang trainiert hatte, bekomme ich inzwischen auch nicht mehr hin. Mein Körper war an tägliche Dehnung und Koordination gewöhnt – und ohne das geht vieles einfach verloren. Als das Tanzen aufhörte, hörte auch mein Körper auf – nicht auf einen Schlag, aber spürbar, Stück für Stück.

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Was vom Tanzen bleibt

Heute tanze ich nicht mehr. Aber ich merke, dass das Tanzen geblieben ist – in meiner Haltung, in meiner Disziplin, in meinem Gefühl für Bewegung. Ich war früher ein Langschläferkind. Heute kann ich problemlos früh aufstehen. Ich habe gelernt, wie man sich organisiert, wie man weitermacht, auch wenn es nicht leicht ist. Und wie man Verantwortung übernimmt – für sich selbst, für andere, für das, was man angefangen hat.

Manchmal denke ich daran zurück – und ich bereue, dass ich nicht weitergemacht habe

Meine Eltern wollten, dass ich mir eine neue Tanzgruppe suche. Aber ich wollte mit meiner alten weitermachen. Und weil das nicht mehr ging, habe ich es gelassen. Heute gehe ich ins Fitnessstudio. Das hilft – aber es ist nicht das Gleiche.

Vielleicht stehe ich heute nicht mehr auf der Bühne. Aber vieles davon begleitet mich noch – in Bewegungen, in Haltung, in meinem Alltag. Rückblickend weiß ich, dass ich mehr auf meinen Körper hätte hören sollen. Nicht auf das Gefühl, dass ich nur mit meiner Gruppe tanzen kann. Sondern auf das, was mir körperlich gutgetan hätte.

Ich habe lange gedacht, dass ich weitermachen muss, weil alles andere wie Verrat an meinem früheren Alltag wäre. Aber ich hätte Verantwortung für mich übernehmen können – früher. Das ist etwas, das ich aus dieser Zeit mitgenommen habe: Nicht alles durchziehen, nur weil es vertraut ist – sondern ehrlich hinschauen, was der Körper braucht. Heute mache ich das anders.

Themen Ausdauertraining Training

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