22. August 2024, 21:12 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Vitamin D fördert die Aufnahme von Calcium und somit die Härtung des Knochens. Logisch also, dass Konsumenten sich von Supplements starke Knochen erhoffen. Doch bringen Sie wirklich etwas? Was bringen sie wirklich? FITBOOK-Redakteurin Melanie Hoffmann hat sich die Studienlage angeschaut.
Vitamin D ist wichtig für die Knochengesundheit. Dieser Fakt ist mittlerweile ins Allgemeinwissen übergangen, sodass immer mehr Menschen vor allem während der dunklen Jahreszeit auf das Nahrungsergänzungsmittel zurückgreifen. Das müsste doch in der Masse bei der Allgemeinbevölkerung zu weniger Knochenbrüchen und Frakturen führen, oder? Mit dieser Frage haben sich Harvard-Forscher des Brigham and Women’s Hospital beschäftigt und in einer groß angelegten Studie untersucht, was Vitamin-D-Supplemente tatsächlich für die Knochen bringen.
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Übersicht
Über 5 Jahre lang täglich eine Vitamin-D-Pille
Die Forscher der Harvard-Universität rekrutierten 25.871 Frauen und Männer über 50 Jahren, die im Allgemeinen gesund waren. Tests ergaben jedoch, dass einige Probanden zu Beginn der Studie einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel aufwiesen. Im Durchschnitt lag der Vitamin-D-Spiegel im Blut der Teilnehmenden bei 30,7 Nanomol pro Liter, wobei Werte unterhalb von 30 als Mangel definiert sind. Die Teilnehmer wurden anschließend in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine nahm jeden Tag 2000 IE Vitamin D ein, was ungefähr dem doppelten Tagesbedarf entspricht, die andere erhielt ein Placebo. Fünf Jahre später zählten die Wissenschaftler nach, zu wie vielen Knochenbrüchen bzw. Frakturen es bei den jeweiligen Gruppen in der Zwischenzeit gekommen ist. Die Ergebnisse dazu wurden 2022 im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.1
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Warum ein Vitamin-D-Supplement nicht unbedingt vorteilhaft für die Knochen sein muss
Die Einhaltung der Einnahmeempfehlungen lag nach zwei Jahren bei 87,3 Prozent und nach fünf Jahren bei 85,4 Prozent. Nach Ablauf der Nachbeobachtungszeit zeigte sich, dass die mittleren Vitamin-D-Spiegel in der Supplement-Gruppe von 29,2 auf 41,2 Nanomol pro Liter stiegen, während die in der Placebo-Gruppe von 30,0 auf 29,4 Nanomol pro Liter leicht sanken.
Hinsichtlich der Knochengesundheit war das Ergebnis jedoch überraschend. Für die allermeisten Teilnehmer machte es absolut keinen Unterschied, ob sie das Placebo oder das echte Präparat einnahmen. In Zahlen:
- Unter denen, die Vitamin D erhielten, hatten 769 von 12.927 Teilnehmern Frakturen – das sind sechs Prozent
- Und bei denen, die das Placebo erhielten, erlitten 782 von 12.944 Frakturen – das sind ebenfalls sechs Prozent
Studienleiterin Dr. Meryl LeBoff fasst als Erkenntnis in einer Universitätsmitteilung zusammen: „Eine Vitamin-D-Einnahme führte bei allgemein gesunden Erwachsenen mittleren Alters nicht zu einem geringeren Frakturrisiko als das Placebo.“2 Sprich: Bei gesunden Menschen können Vitamin-D-Supplemente wenig für die Knochen tun.
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Hilfreich nur für Menschen mit geringer Knochendichte
Die Wissenschaftlerin räumt ein, dass Patienten, die unter geringerer Knochendichte oder Osteoporose leiden, sehr wohl von einer täglichen Extra-Portion Vitamin D profitieren können. „Die meisten Teilnehmer der Studie hatten keinen Mangel und möglicherweise bereits den für die Knochengesundheit erforderlichen Vitamin-D-Spiegel erreicht.“
Risikogruppen für einen Vitamin-D-Mangel
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung nennt als Risikogruppen für einen Vitamin-D-Mangel Personen, die sich bei Sonnenschein kaum oder gar nicht bzw. nur mit gänzlich bedecktem Körperdraußen aufhalten. Dabei handelt es sich insbesondere um mobilitätseingeschränkte, chronisch kranke und pflegebedürftige ältere Menschen. Auch für Menschen mit dunkler Hautfarbe besteht ein höheres Risiko für einen Mangel.
Bevor man also nur auf Verdacht zu Nahrungsergänzungsmitteln greift, sollte zuvor immer ärztlich abgeklärt werden, ob überhaupt ein Mangel vorliegt.
Die meisten Menschen glauben, sie seien genug in der Sonne
“’Vitamin-D-Mangel? Hab‘ ich nicht, ich bin jeden Tag draußen!‘ – Diese Antwort höre ich oft von Freunden und Familie, wenn ich ihnen nahelege, einmal ihren Vitamin-D-Spiegel checken zu lassen. Denn ich habe bereits selbst eine unangenehme Erfahrung gemacht: Ich war kurz vor Winterbeginn frisch zurück von einer sechswöchigen Reise in der Sonne, den Winter über habe ich trotzdem halbherzig Vitamin D supplementiert – nur zur Sicherheit, wie ich dachte. Als meine Hausärztin im Januar ein Check-up mit mir machte, kam der große Knall: Mein Vitamin-D-Spiegel war komplett im Keller! Nun supplementiere ich es ganzjährig. Man darf nicht unterschätzen, dass Kleidung, Sonnencreme und nicht zuletzt das schwache Licht im Winter die ausreichende Vitamin-D-Synthese in unserer Haut stark abmildern können.
In Deutschland liegt bei der Mehrheit der Bevölkerung kein Vitamin-D-Mangel vor. Doch betont die Deutsche Gesellschaft für Ernährung auch, dass fast 60 Prozent der Bundesbürger die wünschenswerte Vitamin-D-Konzentration im Blut nicht erreichen: Bei einer guten Versorgung wären das 50 Nanomol pro Liter 25-Hydroxyvitamin-D. Ein Mangel beginnt erst bei einem Wert von 30 Nanomol pro Liter 25-Hydroxyvitamin-D. Dementsprechend schöpft ein großer Teil der Bevölkerung das präventive Potenzial von Vitamin D für die Knochengesundheit nicht aus.
Also, beim nächsten Hausarzttermin einfach einmal den Vitamin-D-Spiegel checken lassen und ggf. supplementieren – Ihre Knochen danken es Ihnen!“
Einordnung der Studie
Zu den Stärken der Studie zählen die große und vielfältige Stichprobe sowie die hohe Therapietreue der Teilnehmer. Darüber hinaus wurden Frakturen, die im Verlauf der Studie auftraten, sorgfältig beurteilt und bestätigt. Die Messung der 25-Hydroxyvitamin-D-Werte wurden gemäß den Standards der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC kalibriert.
Allerdings weist die Studie auch Schwächen auf. Ein zentraler Punkt ist, dass nur eine spezifische Vitamin-D-Dosis untersucht wurde. Zudem war die Studie nicht darauf ausgelegt, die Wirkung einer Vitamin-D-Ergänzung bei Personen mit einem nachgewiesenen Vitamin-D-Mangel zu testen. Lediglich ein kleiner Prozentsatz der Studienteilnehmer (2,4 Prozent) wies einen Vitamin-D-Spiegel von weniger als 12 Nanomol pro Liter auf, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf diese Gruppe einschränkt. Zwar fand eine Subgruppenanalyse statt, jedoch führte diese nicht zu signifikanten Ergebnissen – vermutlich aufgrund der geringen Probandenanzahl.
Schließlich wiesen die Studienautoren darauf hin, dass die Ergebnisse möglicherweise nicht auf bestimmte Gruppen, wie Erwachsene mit Osteoporose oder Osteomalazie oder ältere Menschen in Pflegeheimen, übertragbar sind.
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Nicht nur für die Knochen – wofür der Körper Vitamin D noch braucht
Vitamin D ist bei zahlreichen Stoffwechselvorgängen beteiligt, sodass ein Mangel nicht nur im Verdacht steht, Depressionen zu begünstigen, sondern Betroffene auch anfälliger für Infekte macht. Das gilt auch für tödliche Krankheiten wie Krebs. Laut einer Studie vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ließen sich in Deutschland jährlich 30.000 Krebstode verhindern, wenn die ältere Bevölkerung ausreichend mit Vitamin D versorgt wäre (FITBOOK berichtete).3 Eine weitere in 2022 veröffentlichte Studie fand heraus, dass tägliche Vitamin-D-Ergänzungen die Rate von Autoimmunerkrankungen bei den über 50-Jährigen um 22 Prozent senken könnten.4 Aber auch hier gilt: Wo kein Mangel herrscht, besteht auch kein Bedarf.