
7. Mai 2025, 12:56 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Wer spät isst, riskiert mehr als nur eine unruhige Nacht: Eine neue Zwillingsstudie zeigt, dass spätes Essen entgegen der inneren Uhr mit einer schlechteren Insulinempfindlichkeit verbunden ist – ein Risikofaktor für Typ-2-Diabetes. Überraschend dabei: Auch die Gene spielen eine Rolle bei der Frage, wann wir essen. Die Ergebnisse liefern erstmals konkrete Hinweise darauf, dass ein „ungünstiger“ Essenszeitpunkt nicht nur anerzogen, sondern auch vererbt sein kann.
Offenbar kommt es nicht nur darauf an, was man isst, sondern auch wann. Eine aktuelle Zwillingsstudie aus Deutschland liefert spannende Erkenntnisse zum Einfluss des individuellen Essenszeitpunkts auf die Insulinsensitivität – also darauf, wie gut der Körper auf das Hormon Insulin anspricht. Unter Leitung von Olga Pivovarova-Ramich (Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam) analysierte ein Forschungsteam Essenszeiten im Verhältnis zur inneren Uhr – dem sogenannten zirkadianen Rhythmus – und prüften zudem, wie stark genetische Faktoren diesen Zusammenhang beeinflussen. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass spätes Essen – bezogen auf den eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus – mit einer gestörten Verstoffwechslung von Zucker bis hin zu einer Insulinresistenz einhergeht.1
Jetzt dem FITBOOK-Kanal bei WhatsApp folgen!
Übersicht
- Was ist der zirkadiane Rhythmus?
- Was hat die innere Uhr mit unserer Gesundheit zu tun?
- 46 Zwillingspaare untersucht
- Früher essen wirkt sich positiv auf den Stoffwechsel aus
- Auch die Gene beeinflussen, wann wir essen
- Personalisierter Ansatz in der Forschung wichtig
- Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
- Fazit
- Quellen
Was ist der zirkadiane Rhythmus?
Als zirkadianen Rhythmus bezeichnet man wiederkehrende Prozesse im Körper, die in einem 24-Stunden-Zyklus stattfinden. Diese Rhythmen werden von unserer „inneren Uhr“ gesteuert. Der bekannteste ist wohl der Schlaf-Wach-Rhythmus, der etwa durch Tageslicht, Dunkelheit und das Schlafhormon Melatonin gesteuert wird.
Unsere besagte innere Uhr sitzt zum einen zentral im Gehirn, zum anderen sitzen in den Organen weitere periphere Uhren. Dadurch verstoffwechselt unser Körper dieselben Lebensmittel je nach Tageszeit unterschiedlich, was zu tageszeitlichen Schwankungen im Glukosestoffwechsel und der Hormonausschüttung (allen voran Insulin) nach einer Mahlzeit führt. Die Nahrungsaufnahme selbst fungiert als Zeitgeber, der die inneren Uhren synchronisiert. Weicht die Essenszeit vom natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus stark ab, z. B. durch Schichtarbeit, kann das die innere Uhr stören und zu negativen Stoffwechselveränderungen führen.
Auch interessant: Wie sich die innere Uhr auf Kopfschmerzen auswirkt
Was hat die innere Uhr mit unserer Gesundheit zu tun?
Die Bedeutung des zirkadianen Rhythmus für den Stoffwechsel ist bereits bekannt. So ist z. B. spätes Essen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden. Doch bislang war unklar, ob die Uhrzeit des Essens in Relation zum eigenen Biorhythmus eine eigenständige Rolle bei der Regulation des Blutzuckers spielt. Kann spät essen womöglich zu einer Insulinresistenz führen?
Diese Studie verfolgte daher zwei Ziele. Erstens sollte untersucht werden, ob ein späterer Essenszeitpunkt (relativ zur Schlafzeit) mit einer schlechteren Insulinverstoffwechslung zusammenhängt. Zweitens wollte das Team um Olga Pivovarova-Ramich herausfinden, inwieweit genetische oder Umweltfaktoren das individuelle Essverhalten beeinflussen. Um beide Fragestellungen gleichzeitig zu beantworten, wurden Zwillingspaare untersucht – ein bewährter Ansatz, um genetische und Umweltfaktoren voneinander abzugrenzen. Insbesondere fokussierte sich die Studie auf den „circadian caloric midpoint“ (CCM), da dieser Marker eine zentrale Rolle beim zeitlichen Essverhalten spielt. Er gibt den Zeitpunkt im Tagesverlauf an, an dem die Hälfte der täglichen Kalorien aufgenommen wurde.
46 Zwillingspaare untersucht
Die Forscher führten eine Querschnittsanalyse an 92 erwachsenen Zwillingen durch, die Teil der NUGAT-Studie (NCT01631123) waren. Dabei nahmen sowohl eineiige als auch zweieiige Zwillingspaare teil. Die Insulinsensitivität wurde mithilfe des oralen Glukosetoleranztests (OGTT) bewertet. Die Teilnehmenden führten fünf Tage lang ein Ernährungstagebuch, in welchem sie ihre Essenszeiten und -mengen protokollierten. Entscheidend war hierbei der CCM. Zusätzlich ermittelten die Wissenschaftler den individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus (Chronotyp) der Probanden.
Um einen zirkadianen Bezug herzustellen, wurde der CCM relativ zur mittleren Schlafzeit berechnet („corrected sleep midpoint“) – eine gängige Methode zur Einschätzung des Chronotyps. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler das zirkadiane Timing des Essens, also wann jemand im Verlauf des Tages isst, feststellen – und zwar in Bezug auf den individuellen biologischen Rhythmus und nicht auf die Uhrzeit. Schließlich könnten z. B. zwei Probanden bereits beide um 18 Uhr zu Abend essen, aber zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett gehen. Zuletzt untersuchten die Forscher mithilfe genetischer Strukturmodelle die Erblichkeit der Essenszeitpunkte.
Früher essen wirkt sich positiv auf den Stoffwechsel aus
Ein zentrales Ergebnis: Ein späterer CCM – also eine Kalorienaufnahme, die später in Bezug zur inneren Uhr stattfindet – war eindeutig mit einer schlechteren Insulinempfindlichkeit sowie höheren Nüchterninsulinwerten verbunden – bekannte Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes. Diese Zusammenhänge blieben auch nach Anpassung der statistischen Modelle für Alter, Geschlecht, Gesamtkalorienzufuhr und Schlafdauer bestehen. In einer Pressemitteilung des Instituts ergänzt Ramich: „Menschen, die ihre Hauptkalorien früher im Tagesverlauf zu sich nahmen, hatten eine bessere Insulinempfindlichkeit.“2 Darüber hinaus war ein späterer CCM mit einem höheren Body-Mass-Index (BMI) und höherem Taillenumfang verbunden, die ihrerseits ebenfalls das Risiko für Diabetes erhöhen können.
Auch die Gene beeinflussen, wann wir essen
Wie eingangs erwähnt, blickte das Forschungsteam nicht nur auf Umweltfaktoren, sondern auch auf den Einfluss der Gene auf die Essenszeiten. Hierfür verglich es das Essverhalten der eineiigen Zwillinge (100 Prozent identische Gene) mit dem der zweieiigen Zwillinge (ca. 50 Prozent identische Gene). Interessanterweise zeigten alle untersuchten Essenszeit-Komponenten (Zeitpunkt und Häufigkeit des Essens sowie Verteilung der Kalorien) eine moderate bis hohe Erblichkeit und korrelierten stark mit dem individuellen Schlafmuster. Bis zu 60 Prozent des täglichen Essenszeitmusters werden durch verschiedene Parameter genetisch beeinflusst.
Personalisierter Ansatz in der Forschung wichtig
Der Einbezug des individuellen Chronotyps zur Bewertung des Essenszeitpunktes und dessen Auswirkung auf den Stoffwechsel stellt einen hochmodernen personalisierten Ansatz in der Chronobiologie dar. Schließlich könnten Forschungsergebnisse, die sich ausschließlich auf die Zeitpunkte fokussieren, durch den Chronotyp verzerrt werden. Ein Beispiel der Autoren: Eine bestimmte Abendessenszeit könnte für den frühen Chronotyp als spät und für den späten Chronotyp als früh klassifiziert werden und daher einen unterschiedlichen Einfluss auf den Stoffwechselzustand und/oder Risiken haben.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es nicht nur zählt, was oder wie viel wir essen, sondern auch wann. Besonders kritisch ist eine späte Kalorienaufnahme relativ zur eigenen inneren Uhr. Personen, die regelmäßig spät am Abend essen, obwohl ihr natürlicher Schlaf-Wach-Rhythmus früher liegt, könnten dadurch eine Insulinresistenz riskieren. Diese Erkenntnis hat Konsequenzen für die Prävention und Therapie von Typ-2-Diabetes. Gleichzeitig macht die Studie klar: Die individuellen Unterschiede im Essverhalten sind zum Teil genetisch bedingt. Zwar könnte eine Verlagerung der Hauptkalorienaufnahme auf frühere zirkadiane Zeiten den Glukosestoffwechsel verbessern und vor Typ-2-Diabetes sowie Übergewicht schützen. „Da die Essenszeiten jedoch teils erblich bedingt sind, dürfte es einigen Menschen schwerfallen, ihre Gewohnheiten zu ändern“, erklärt Ramich.
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Studie überzeugt durch ihren innovativen Ansatz. Der Fokus auf den zirkadianen Rhythmus der Kalorienaufnahme ist ein bislang selten untersuchter Aspekt, der durch das Zwillingsdesign zusätzlich an Aussagekraft gewinnt. Die Kombination aus Ernährungsprotokollen, objektiven Glukoseparametern und genetischer Analyse macht die Arbeit methodisch solide. Dennoch gibt es Einschränkungen. Die Stichprobe war mit 92 Personen relativ klein, was die Verallgemeinerbarkeit einschränkt. Zudem handelt es sich um eine Querschnittsstudie. Sie zeigt Assoziationen, aber keine Kausalität. Auch ist unklar, ob die Effekte bei anderen Altersgruppen oder ethnischen Gruppen ähnlich ausfallen würden. Ein weiteres Manko sind die eigens geführten Ernährungstagebücher, welche fehleranfällig sein können. Dennoch liefern die robusten statistischen Zusammenhänge wertvolle Anhaltspunkte, die nun in größeren, prospektiven Studien bestätigt werden sollten.

Forscher finden überraschenden Weg, Hirntumor-Wachstum zu bremsen

Kann ein wählerisches Essverhalten genetisch veranlagt sein?

»Ärzte übersehen häufig eine wichtige Ursache für viele Krankheiten
Fazit
Die neue Zwillingsstudie zeigt, dass spät Essen relativ zur eigenen inneren Uhr die Insulinempfindlichkeit verschlechtern und zu einer Insulinresistenz führen kann, ein wichtiger Risiko für Diabetes. Wer auf seinen Biorhythmus achtet und frühzeitig isst, könnte damit seine Stoffwechselgesundheit unterstützen. Für die Forschung bedeutet das laut Ramich: „Um die Wirksamkeit von Interventionen, die auf der Essenszeit basieren, besser zu verstehen, sind weitere Validierungsstudien und klinische Untersuchungen nötig.“