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Corona-Pandemie

Corona-Krise – bekommt man jetzt noch psychologische Hilfe?

Corona und psychologische Hilfe
Bernhard Kiesel berichtet von Angst-Patienten, denen es jahrelang gut ging, die sich nun aber wieder bei ihm melden würden, da sie zurzeit unter starken Anspannungen leiden Foto: Getty Images
Carolin Berscheid

24.03.2020, 16:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Ein wenig fühlt es sich so an, als hätte das Coronavirus mal eben auf den Pausenknopf dieser Welt gedrückt. Was man aber trotz allem nicht einfach auf Standby setzen kann, sind psychische Erkrankungen. Dazu gehören Ängste, Zwänge, Depressionen oder Essstörungen. Ganz im Gegenteil sogar, für viele Betroffene stellt die momentane Corona-Krise eine große zusätzliche Belastung dar. Aber kann das Angebot an Psychotherapien derzeit überhaupt aufrechterhalten werden oder gibt es auch hier Einschränkungen? FITBOOK hat mit einem Psychologen über die aktuellen Herausforderungen gesprochen und erklärt, was Betroffene wissen müssen und wo sie Hilfe bekommen.

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Als besonders gefährdet durch das Coronavirus gelten Personen mit körperlichen Vorerkrankungen. Aber auch Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden, trifft die derzeitige Situation hart, mit der Folge, dass psychologische Hilfe nötig wird. Denn: Die soziale Isolation, ein Wegfall der Alltagsstrukturen und die tägliche Überflutung mit Corona-Nachrichten verstärken psychosomatische Symptome oder rufen sie wieder bzw. neu hervor.

Corona-Situation triggert psychische Erkrankungen

Das bestätigt im Gespräch mit FITBOOK der Diplom-Psychologe und Psychologische Psychotherapeut Bernhard Kiesel. Seiner Erfahrung nach zeige die Corona-Krise besonders bei Patienten mit Zwangsstörungen derzeit vermehrt Auswirkungen. „Bei Menschen, die vorher schon an Wasch- oder Kontrollzwängen gelitten haben, steigert sich dieses Verhalten zur Zeit sehr stark“, sagt Kiesel.

Auch berichtet er von Angst-Patienten, denen es zum Teil jahrelang gut ging, die sich nun aber wieder bei ihm melden würden, da sie zurzeit unter starken Anspannungen leiden. „Kleinigkeiten führen dann plötzlich zu starken emotionalen Reaktionen. Ich denke, das liegt daran, dass die allgemeine Anspannung einfach derzeit bei vielen Menschen höher ist als sonst, was eine solche Symptomatik natürlich begünstigen kann“, erklärt der Psychologe.

Das erscheint wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass auch viele psychisch und physisch gesunde Menschen Angst vor einer Corona-Ansteckung oder auch den noch nicht absehbaren wirtschaftlichen Folgen der Krise haben. Umso schwieriger also, wenn man ohnehin bereits unter krankhaften Ängsten und Zwängen leiden.

Psychologische Praxen dürfen grundsätzlich geöffnet bleiben

Aber können Psychotherapien, deren fester Bestandteil schließlich persönliche Sitzungen mit dem Therapeuten sind, in der derzeitigen Situation überhaupt noch weiterhin angeboten werden? Ja, wenn auch mit Einschränkungen. Bernhard Kiesel betont hier zunächst den besonderen Versorgungsauftrag der Psychotherapeuten.

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„Diesem müssen und wollen wir auch gerecht werden. Das Therapieangebot wird in jedem Fall aufrecht erhalten“, so der Psychologe. Psychotherapeutische Praxen zählen, wie jede andere Arztpraxis auch, zur medizinischen Grundversorgung und dürfen deshalb theoretisch weiterhin geöffnet bleiben. Das erklärte auch Dr. Dietrich Munz, Vorsitzender der Bundespsychotherapeutenkammer, in einer Pressemitteilung auf die Frage hin, ob eine persönliche Behandlung überhaupt noch möglich sei.

„Sicher, insbesondere solange weder Patient*innen noch Psychotherapeut*innen irgendwelche Symptome für Atemwegserkrankungen haben. Dann ist es zwar notwendig, dass ein ausreichender Abstand von ein bis zwei Metern eingehalten, auf das Händeschütteln verzichtet, die Husten- und Nies-Etikette beachtet werden und z.B. Türklinken regelmäßig desinfiziert werden. Dies sind die gesundheitlichen Vorsichtsmaßnahmen, die jederzeit gelten. Sie ermöglichen aber auch, weiter Patient*innen in der Praxis zu sehen, zu beraten und zu behandeln“, so seine Antwort.

Virtuelle Therapiesitzungen sind nun unbegrenzt möglich

Jedoch gebe es im Therapieablauf durchaus einige Anpassungen an die derzeitige Corona-Situation, erklärt Psychologe Bernhard Kiesel. Therapiesitzungen würden jetzt in den meisten Fällen per Video oder Telefon durchgeführt werden. Dies wurde nun auch offiziell seitens der Krankenkassen genehmigt.

Zuvor gab es für solche „virtuellen“ Therapiesitzungen eine Beschränkung. Pro Monat durfte man als Therapeut nur eine gewisse Anzahl davon abrechnen. Diese Mengenbegrenzung ist nun allerdings aufgrund der besonderen Umstände gänzlich aufgehoben worden. So soll im Übrigen auch sichergestellt werden, dass Patienten, die sich wegen einer Corona-Erkrankung oder des Verdacht darauf in Quarantäne befinden, weiterhin psychologisch behandelt werden können.

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Video- und Telefontherapie – wie und wie gut funktioniert das?

Aber wie funktioniert so eine Videotherapie überhaupt? „Es gibt zertifizierte Anbieter, die von der Krankenkassenvereinigung dafür zugelassen sind. Mit deren Technik können wir vor dem Bildschirm Sitzungen durchführen. Das ist ganz ähnlich wie zum Beispiel bei Skype, läuft jedoch über eine sichere Verbindung mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Die Patienten bekommen dafür einen individuellen Code, mit dem sie sich einloggen können“, beschreibt Kiesel das neue Verfahren.

Das Video- und Telefonangebot werde von den allermeisten seiner Patienten positiv angenommen, berichtet der Psychologe. „Selbstverständlich gibt es aber auch Menschen, die das nicht wollen. Da behandeln wir weiterhin in der Praxis, mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen natürlich“. Einige würden ihre Therapietermine auch erst einmal bis auf Weiteres verschieben, das seien aber nur sehr wenige.

Am Ende habe das Ganze bislang sogar viel besser funktioniert, als er anfangs erwartet hatte. Dass eine virtuelle Therapie nach Ende der Corona-Krise zur Dauerlösung werde, hält Kiesel jedoch nicht unbedingt für sinnvoll. Ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut lasse sich dennoch am besten im realen Miteinander aufbauen.

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Auch neue Patienten können aufgenommen werden

Eine Psychotherapie kann übrigens weiterhin ganz normal beantragt werden. „Es ist im Moment auch nicht schwieriger als sonst, einen Therapieplatz zu bekommen, zumindest bei uns nicht“, so der Psychologe, der eine eigene Praxis in Freiburg im Breisgau hat. Für die sogenannte probatorische Erstsitzung muss man weiterhin persönlich vorbeikommen, damit sich der behandelnde Psychologe ein umfassendes Gesamtbild vom Patienten machen kann. So lautet die Vorschrift der Krankenkassen.

Jedoch erklärte Bundeskammer-Präsident Dr. Munz im Interview auch, dass in begründeten Fällen Erstgespräche per Video stattfinden dürften. „Die Corona-Epidemie schafft hier jedoch Notlagen bei den Patient*innen, die wir lösen müssen. Wir können in einer solchen weltweiten Epidemie die Patient*innen nicht allein lassen“, positioniert er sich diesbezüglich ganz klar.

Nach Aussage von Psychologe Bernhard Kiesel hätten sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mehr Menschen wegen einer Psychotherapie bei ihm gemeldet als üblich. Er sei allerdings sehr gespannt, ob sich dies in den kommenden Wochen der andauernden Corona-Krise noch ändern werde.

Selbsthilfe-Tool der „Deutschen Depressionshilfe“

Wer das Gefühl hat, von einer leichteren Depression betroffen zu sein, sich noch nicht in therapeutischer Behandlung befindet, aber dennoch aus eigener Kraft etwas unternehmen möchte, für den bietet die Stiftung „Deutsche Depressionshilfe“ ein spezielles Angebot zur Selbsthilfe an.

„iFightDepression“ ist ein internetbasiertes und therapeutisch begleitetes Selbstmanagement-Programm, das sich an Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren richtet. Normalerweise wird die Begleitung durch einen Arzt oder Psychologischen Psychotherapeuten vorausgesetzt. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation ist das Programm jedoch zur Zeit für sechs Wochen auch ohne eine solche Begleitung zugänglich. Dafür kann man sich ganz einfach formlos per Email anmelden.

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Sie benötigen Hilfe? So finden Sie Beratung in Ihrer Nähe

Wenn Sie unter psychischen Problemen leiden, sollten Sie, Corona-Zeit hin oder her, nicht zögern, sich professionelle Hilfe zu suchen. Am besten geben Sie dafür in einer Suchmaschine Ihren Wohnort plus das Schlagwort „Psychologische Beratung“ ein. Damit sollten Ihnen Angebote, insbesondere offizielle psychologische Beratungsstellen in Ihrer Nähe, angezeigt werden. Nachfolgend noch einige weitere hilfreiche Links:

Speziell in der Corona-Krise: Tipps der Stiftung „Deutsche Depressionshilfe

Psychotherapeutensuche der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung

Psychotherapie-Informationsdienst (PID) des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)

Themen Depression
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