Es ist eine der schwersten Verletzungen, die sich ein Sportler zuziehen kann, und kommt besonders häufig bei Fußballern und Skifahrern vor: der Kreuzbandriss. Wie der Name schon beschreibt, handelt es sich dabei um einen Riss des (vorderen und/oder hinteren) Kreuzbandes durch Krafteinwirkung. Wer den Schaden nicht vollständig behandelt, riskiert unter Umständen irreparable Spätfolgen. FITBOOK hat mit Experten gesprochen.
Im Sommer 2019 stand der FC Bayern kurz vor einer Verpflichtung von Man-City-Star Leroy Sané, als der sich einen Kreuzbandriss zuzog. FCB-Boss Karl-Heinz Rummenigge nahm daraufhin Abstand von einem Transfer und kommentierte seine Entscheidung mit den Worten: „Nein, Leute, jeder weiß, was eine Kreuzband-OP bedeutet und was die Ausfallzeit betrifft.“ Ein Jahr später hat es Sané ja nun bekanntlich doch in den Kader der Bayern geschafft, nach überstandener Verletzung. Ganz frisch erwischte es jetzt seine Vereinskollegin, die deutsche Fußball-Nationalspielerin Giulia Gwinn, bei einem EM-Qualifikationsspiel gegen Irland.

Nicht grundlos sprechen auch Sportreporter gerne von einer Albtraumdiagnose. Ein Kreuzbandriss ist oftmals auch dann nicht ausgestanden, wenn die Behandlung bereits abgeschlossen ist. FITBOOK stellte einem Sportmediziner die wichtigsten Fragen zur Verletzung.
Wie kommt es zu einem Kreuzbandriss?
Durch ein Verdrehtrauma. „Man verliert die Kontrolle, stürzt und der Fuß ist gefangen, etwa durch eine verdrehte Position auf dem Spielfeld oder in festsitzenden, hohen Skischuhen.“ So schildert Dr. med. Thomas Teichmüller, Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin aus Frankfurt am Main, einen möglichen Hergang. Wenn es nun – durch ein Foul beim Kontaktsport oder die eigene Gewichtsverlagerung beim Sturz – zu einer Krafteinwirkung kommt, ist das Kreuzband schnell gerissen.
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Was ist zu tun, wenn es passiert ist?
Direkt im Anschluss an die Verletzung sollte man das betreffende Bein ruhigstellen, idealerweise hochlegen, und mit Eis oder Ähnlichem kühlen. Dann bitte möglichst schnell vom Fachmann untersuchen lassen, der nach einer Kernspintomographie eine Vordiagnose stellen kann. So kann eingesehen werden, ob und gegebenenfalls wo es zu einer Ruptur, also einem Riss, gekommen ist. Mit ein bisschen „Glück“ ist nur eines der Kreuzbänder an-, mit Pech beide komplett gerissen. Und es kann leider noch unangenehmer kommen.
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Warum ist der Kreuzbandriss besonders gefürchtet?
Vor allem weil die Verletzung so langwierig ist, weiß Dr. Teichmüller. Es kann Profisportler sehr zurückwerfen, wenn sie sich darauf einstellen müssen, erst viele Monate nach einer Operation und dem Beginn der Therapie wieder voll ins Training einsteigen zu können. „Zudem geht ein Kreuzbandriss oft mit Begleitverletzungen einher“, erklärt der Orthopäde. Er spricht etwa vom „Unhappy Triad“: dem unglücklichen, aber häufigen Fall, dass zusätzlich zum Kreuzband auch das Seitenband reißt und der Innenmeniskus geschädigt ist. Hier komme man ohne einen operativen Eingriff kaum wieder auf die Beine.
Wie läuft die Operation ab?
Wie Dr. Teichmüller erklärt, kann man das genaue Ausmaß der Verletzung bei der Kernspintomographie nicht immer gut erkennen. Der Patient wird daher, nachdem er in Narkose versetzt wurde, noch einmal genauestens untersucht. Danach beginnt der eigentliche Eingriff. Über einen kleinen Schnitt seitlich der Kniescheibe wird der Arthroskopieschaft samt Trokar (einem in der minimalinvasiven Chirurgie üblichen Instrument, um sich zunächst einen Zugang zu schaffen) in das Gelenk eingebracht. Danach wird der Trokar durch das Arthroskop ausgetauscht und dieses an einer digitalen Chipkamera fixiert. Die Kamera überträgt die Bilder „live“ aus dem Körper auf einen LCD-Monitor. So können die Strukturen innerhalb des Kniegelenks begutachtet und gegebenenfalls mit Fotos festgehalten werden. Für eine bessere Übersichtlichkeit wird Wasser mittels einer Pumpe in das Gelenk geleitet, damit es sich entfaltet.
Mit einem Tasthaken, der über einen weiteren kleinen Schnitt auf der anderen Seite der Kniescheibe in das Gelenk eingebracht wird, können die Kreuzbänder auf Festigkeit untersucht werden. Auch lässt sich so nachvollziehen, ob beispielsweise der Meniskus ebenso abgerissen ist und gegebenenfalls mitoperiert werden muss. Ist der Zustand innerhalb des Gelenks klar, wird das geschädigte Sehnengewebe abgetragen, nur dessen Stumpf wird auf jeden Fall belassen – „damit der Operateur genau weiß, wo die neue Sehne einzusetzen ist.“ Die richtige Stelle auf der korrespondierenden Seite im Gelenk zu erkennen, erfordert laut Dr. Teichmüller jahrelange chirurgische Erfahrung. Die Sehne, von der er spricht, ist körpereigenes Gewebe, das im Zuge des Eingriffs meist aus der Oberschenkelrückseite entnommen wird. Es wird anstelle des geschädigten Kreuzbandes eingesetzt und häufig mit sich selbst auflösenden Schrauben fixiert.
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Was ist nach der Operation zu beachten?
„Dass man direkt mit der Reha beginnt“, betont Andre Scholz, geschäftsführender Physiotherapeut bei Physion in Frankfurt. Bei der Therapie gehe es in erster Linie darum, wieder einen Reiz und Druck in das Gelenk zu bringen. „Wichtig ist, dass der Patient schnellstmöglich aufsteht und das operierte Bein dabei teilbelastet“, also nicht mit vollem Körpergewicht, aber kontrollierten 20 Kilogramm. Ebenso müsse man in der ersten Phase der Therapie eine Streckung aktiv ansteuern, um die Beweglichkeit zu fördern. Belastungsübungen kommen erst viel später. „Wenn man das Kreuzband überfordert und zu früh belastet, ist es noch nicht ausreichend durchblutet. Man muss etappenweise vorgehen, damit die eingesetzte Sehne sukzessive die Eigenschaften eines echten Kreuzbands erlernen kann.“
Die Therapie erfolge entsprechend in Phasen. Nachdem das Knie in der ersten Woche langsam an das Gefühl einer Teilbelastung herangeführt wurde, kann zwischen Woche zwei und vier mit „isometrischen Kraftübungen“ begonnen werden, „passiven und aktiven, leichten Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit“, so Scholz. Ab der fünften Woche gelte es, das Bewegungsausmaß zu steigern und koordinative Übungen in die Reha zu integrieren. Zwischen der neunten und zwölften Woche ist der Patient in der Regel bereit für komplexere Bewegungsabläufe und leichtes Ausdauertraining. „Erst ab dem fünften oder sechsten Monat können spezifisches Training und Kontaktsport wieder aufgenommen werden.“
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Muss ein Kreuzbandriss immer operiert werden?
Nein. Das Nichtoperieren bedeutet allerdings auch den Abschied des entsprechenden Bandapparats, wie Dr. Teichmüller erklärt, „das Kreuzband heilt nicht wieder ein.“ Das sei nicht unbedingt ein Problem: Laut dem Experten leben viele Menschen ohne Kreuzband, was sich weder im Alltag noch beim Joggen oder Fahrradfahren bemerkbar machen müsse. Anders verhalte es sich bei Kontaktsportarten und komplexeren Bewegungsabläufen, die ohne Kreuzband nicht ausgeführt werden können. Generell ist der Unfallchirurg ein großer Befürworter des Eingriffs, den er im Rotes-Kreuz-Krankenhaus in Frankfurt am Main regelmäßig durchführt. Er lohne sich nicht nur für aktive Profi-Athleten, sondern auch bei älteren sowie weniger sportlich aktiven Menschen.
Meist empfehle es sich, gleich zu operieren. Viele Kreuzbandriss-Patienten setzten jedoch monatelang auf die konventionelle Physiotherapie, um dann doch zu merken, dass der Eingriff die bessere Entscheidung ist. „So haben sie aber leider unnötig viel Zeit verloren“, findet der Orthopäde.
Welche Kompliakationen sind möglich?
„Die Kreuzbandchirurgie hat in den vergangenen sieben, acht Jahren große Fortschritte gemacht, es werden in 95 Prozent der Fälle sehr gute Ergebnisse erzielt“, versichert Dr. Teichmüller. Natürlich sei es wichtig, sich in fähige Hände zu begeben. Ein weniger erfahrener Chirurg könnte womöglich ein Implantat von der falschen Größe einsetzen, was zu mechanischen Störungen führen könne, oder es falsch platzieren. Auch gebe es in sehr seltenen Fällen Abstoßungsreaktionen auf das neue Gewebe.
Die Reha nach dem Eingriff zu vernachlässigen oder vorzeitig zu beenden, sei in jedem Fall die ungünstigste Entscheidung, die sich sehr wahrscheinlich mit Arthrose rächt. Ein paar Monate zum Physiotherapeuten zu gehen vs. bis ins hohe Alter unter schmerzendem Gelenkverschleiß zu leiden, stehe in keinem Verhältnis.