09.08.2023, 11:29 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Melatonin-Produkte werben damit, die Einschlafzeit zu verkürzen und das lästige Jetlag-Gefühl auf Flugreisen lindern. Im Ausland gibt es das Schlafhormon frei als Spray oder Tabletten zu kaufen, in Deutschland werden Nahrungsergänzungsmittel mit 0,5 bis 1 Milligramm Wirkstoff pro Anwendung geduldet, höhere Dosen sind verschreibungspflichtig. Wie wirken diese Präparate, bestehen gesundheitliche Risiken? Und sind sie wirklich der Schlüssel zu einem erholsamen Schlaf?

Wie beeinflusst Melatonin den Schlaf?

Melatonin wird bei Dunkelheit von der Zirbeldrüse im Hirn ausgeschüttet, mit der Folge, dass wir müde werden und der Körper sich auf das Schlafen einstellt. Wird es morgens hell, geht die Ausschüttung zurück – für den Körper das Signal, wach zu werden und aufzustehen.

Was bedeutet ein „gestörter Melatonin-Haushalt“?

Wenn der Körper zu den entsprechenden Tages- und Nachtzeiten nicht genügend Melatonin zur Verfügung steht, spricht man von einem gestörten Melatonin-Haushalt. Das kann natürliche Ursachen haben, etwa, dass die Hirndrüse mit zunehmendem Alter weniger davon ausschüttet. Aber auch bei jüngeren Menschen gibt es Faktoren, die den Melatonin-Haushalt beeinflussen können – etwa unregelmäßige Tagesabläufe, Schichtarbeit oder Reisen in andere Zeitzonen. Auch soll der blaue Lichtanteil von Handy- oder Computerbildschirm die Produktion des Hormons hemmen. Deswegen raten Wissenschaftler davon ab, im Bett auf dem Smartphone oder Laptop zu lesen.

Kann man einen Melatonin-Mangel beim Arzt feststellen lassen?

Laut Dr. Hans Günther Weeß, Psychotherapeut und Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum in Klingenmünster, gibt es die Möglichkeit, den Melatonin-Haushalt über Speichel- oder Bluttests zu ermitteln. Die Ergebnisse seien aber sehr ungenau. „Melatonin muss zu unterschiedlichen Zeiten des Tages gemessen werden, da der Hormonspiegel ständigen Schwankungen unterliegt“, erklärt Weeß gegenüber FITBOOK.

Sind Melatonin-Produkte der Schlüssel zum guten Einschlafen?

„Nein“, versichert der Experte gegenüber FITBOOK. „Der Melatonin-Haushalt ist nur ein kleines Rädchen im gesamten Kreislauf, der die Schlafqualität steuert.“ Etwa bringe jemandem, der aufgrund von Unruhezuständen kein Auge zu tun kann, die Einnahme von Melatonin rein gar nichts. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam „Stiftung Warentest“ 2022. Keines der rezept­freien Schlaf­mittel, darunter sechs Melatonin-Präparate, habe die gewünschte Wirkung gezeigt, hieß es. Stattdessen dokumentierten die Tester Nebenwirkungen wie u.a. Bauchschmerzen.¹

Nicht zuletzt wirkt Melatonin antioxidativ, was bedeutet, dass es die Auswirkungen schädlicher freier Radikale vermindert, die sonst Zellalterung und -schäden verursachen können. Das würde sich nicht nur mit Faltenentwicklung bemerkbar machen. Viel schlimmer noch: Oxidativer Stress wird vor allem mit Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht.

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Helfen Melatonin-Produkte bei einem Jetlag? Und zahlt die Krankenkasse dafür?

Wer nur sehr geringfügig unter Schlafproblemen leidet, könnte von der Einnahme von Melatonin laut Dr. Weeß profitieren. Und es hilft auch bei Flugreisen, die über mehrere Zeitzonen gehen. „Täglich eingenommen kann Melatonin dabei helfen, sich an die Zeitverschiebung zu gewöhnen und so einen Jetlag zu vermeiden“, so der Schlafmediziner gegenüber FITBOOK. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen (G-BA) hat sich mit Melatonin als Jetlag-Medikament beschäftigt, konkret damit, ob das Produkt „Melatonin Vitabalans“ in diesem Zusammenhang erstattungsfähig ist oder nicht. Dort argumentiert man, dass bei Flugreisen durch mehrere Zeitzonen der Schlag selbst nicht gestört sei, sondern lediglich zeitversetzt auftrete. Da die „Symptome nach einigen Tagen, wenn sich der Rhythmus wieder angepasst hat, meistens von allein verschwinden, ist in der Regel auch deren Behandlung medizinisch nicht notwendig“, begründet der G-BA. Melatonin als Jetlag-Hilfe ist damit nicht erstattungsfähig.²

Auch Weeß verzichtet in seiner schlaftherapeutischen Praxis weitestgehend auf den Einsatz von Melatonin als Mittel zum Einschlafen, nachdem er die Wirkung des Arzneimittels untersucht habe. Bislang würden wissenschaftliche Belege für eine positive Beeinflussung des Schlafrhythmus‘ fehlen, so der Experte.

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Verschreibungspflichtige Melatonin-Arzneimittel in Deutschland

In Deutschland ist die Vergabe von Melatonin-Arznei mit relevanter pharmakologischer Wirkung aufgrund mangelnder Studien zu Verträglichkeit und möglichen Nebenwirkungen strenger gehandhabt. Man braucht ein Rezept vom Facharzt. Verschreibungspflichtig zugelassen zur Behandlung einer schlechten Schlafqualität sowie zur Behandlung von Schlafstörungen (Insomnie) bei Kindern und Jugendlichen mit Autimus-Spektrum-Störungen und/oder Smith-Magenis-Syndrom sind hierzulande „Circadin“ (2 mg Melatonin pro Tablette) für Menschen ab 55 Jahren sowie „Slenyto“ für Jugendliche (1 mg Wirkstoff pro Tablette).

Im Ausland sind sogar Präparate mit Einzeldosen von bis zu 5 Milligramm Melatonin pro Tablette erhältlich.

Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin in Drogeriemärkten

Nach dem Vorbild der USA und auch der Niederlande erlebte auch Deutschland eine Schwemme an melatoninhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln. Diese haben (für den Hersteller) den Vorteil, dass sie nicht vom Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit und Medizinprodukte geprüft und zugelassen werden müssen, sondern lediglich den Lebensmittel-Überwachungsbehörden der Bundesländer unterliegen. Aktuell dulden unsere Behörden Nahrungsmittelergänzungsmittel einer Dosis von 0,5 bis 1 Milligramm Melatonin pro Anwendung. „Cefanight“ wird bspw. exklusiv in Apotheken vertrieben und enthält pro Tablette 0,5 Milligramm Melatonin; der Onlineshop von Dm führt Melatonin-Produkte als Kapseln (0,5 mg pro Kapsel), Spray (1 mg pro zwei Sprühstöße), Pulver (laut Herstellerangaben 1,5 Milligramm Melatonin pro Stick) oder Einschlaftees (keine Angabe); bei Rossmann gibt es Kapseln und Gums mit 1 mg pro Einheit, ansonsten enthält der Webshop ähnlich viele Produkte.

Wie nimmt man Melatonin ein?

Sofern nicht anders mit dem behandelnden Arzt besprochen, wird laut Circadin-Beipackzettel täglich eine Tablette eingenommen, etwa ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen. Diese Dosierung könne bis zu 13 Wochen beibehalten werden. Um einen Jetlag zu behandeln, rät Dr. Weeß zur täglichen Einnahme über den Zeitraum der Reise. US-amerikanische Hersteller und Anbieter von Melatonin-Präparaten raten oft zur Einnahme 30 bis 60 Minuten vor der gewünschten Schlafenszeit, andere Quellen empfehlen etwa 20 Minuten vor dem Zubettgehen.

Mögliche Nebenwirkungen einer Melatonin-Einnahme

„Die Dosis macht das Gift“, lautet die Einschätzung des Experten. So könne Melatonin in verschreibungspflichtigen Dosierungen, wie jedes andere Arzneimittel auch, Nebenwirkungen haben, die jedoch nicht zwingend auftreten müssen. Was man nicht vergessen darf: Melatonin ist ein Hormon – und wie empfindlich ein Organismus darauf reagiert, ist unterschiedlich. Auf Online-Portalen berichten Konsumenten von Albträumen, Migräne, Reizbarkeit und Nervosität, ebenso von Magen-Darm-Problemen und Gewichtszunahme. Zudem hält Dr. Weeß neben möglichem Überhang, also Müdigkeit am nächsten Tag, langfristig negative Auswirkungen auf Nieren- und Leberwerte für denkbar. Wie mit Schlafmangel richtig umzugehen ist – und was man selbst tun kann, wenn man nicht einschlafen kann, erfahren Sie hier.

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Quellen

• 1. Stiftung Warentest: Endlich wieder Ruhe finden – Schlafmittel im Test (2022, aufgerufen am 07.08.2023)
• 2. Deutsche Apotheker-Zeitung: Wann zahlt die Krankenkasse Melatonin? (2022, aufgerufen am 09.08.2023)