25. Mai 2025, 8:41 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Der plötzliche Kindstod (medizinisch: Sudden Infant Death Syndrome, kurz SIDS) gehört zu den erschütterndsten Ereignissen für Eltern. Ohne Vorwarnung verstirbt ein zuvor gesundes Baby – meistens im Schlaf. Die gute Nachricht: Die Zahl solcher Todesfälle ist in Deutschland stark gesunken. Was Eltern tun können, um das Risiko weiter zu minimieren, erklärt Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ), im Gespräch mit FITBOOK-Autorin Doris Tromballa.
SIDS ist keine Krankheit im klassischen Sinn: Das Baby stirbt unerwartet, und es lässt sich kein eindeutiger medizinischer Grund finden. Der plötzliche Kindstod entsteht nach heutigem Wissen durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Beispiel: ein Baby mit einer körperlichen Empfindlichkeit (zum Beispiel bei der Atemregulation), eine besonders sensible Entwicklungsphase (meist in den ersten sechs Lebensmonaten) und ein äußerer Auslöser wie Bauchlage beim Schlafen oder Tabakrauch in der Umgebung.1 „Plötzlicher Kindstod ist natürlich ein absolut tragisches Ereignis für diejenigen, die es trifft“, sagt Dr. Rodeck. Die gute Nachricht: Viele dieser Auslöser lassen sich vermeiden, womit das Risiko erheblich sinkt.
Übersicht
- Zahlen: ein Rückgang durch Prävention
- Schlafposition: Rückenlage als wichtigste Regel
- Kein „Nestbau“: Luft muss zirkulieren können
- Rauchen (auch passiv) ist Hochrisiko
- Wie sinnvoll sind Schnuller?
- Überhitzung vermeiden
- Impfen kann schützen
- Stillen senkt das Risiko deutlich
- Monitore, Apps und Gadgets – wirklich nötig?
- Wo finde ich verlässliche Hilfe?
- Checkliste: Sicherer Babyschlaf
- Quellen
Zahlen: ein Rückgang durch Prävention
„Plötzlicher Kindstod ist deutlich seltener geworden als noch vor 30 Jahren“, erklärt Dr. Rodeck: 1991 starben in Deutschland laut Statistischem Bundesamt noch 1285 Kinder an SIDS – das entsprach etwa 1,5 Todesfällen pro 1000 Lebendgeburten. Im Jahr 2023 lag diese Zahl bei nur noch 83 Fällen, also etwa 0,1 pro 1000.2 „Das bedeutet, dass die Maßnahmen, die man getroffen hat, dazu geführt haben, dass das Risiko massiv zurückgegangen ist“, so Rodeck. Vor allem die bessere Aufklärung der Eltern habe in den letzten Jahren viel bewirkt.
Schlafposition: Rückenlage als wichtigste Regel
Als wichtigsten Faktor überhaupt nennt Dr. Rodeck: „Babys sollten im nicht beaufsichtigtem Schlaf immer in Rückenlage liegen. Das ist die allererste und wichtigste Regel.“ Lange Zeit galt die Bauchlage als hilfreich, vor allem bei unruhigen Kindern oder bei Reflux (also, wenn das Baby häufig aufstößt). Heute weiß man: Schlafen in Bauchlage erhöht das Risiko für SIDS erheblich. Gleichzeitig rät Dr. Rodeck aber, Säuglinge tagsüber – unter Aufsicht – auch mal auf den Bauch zu legen, um eine Abflachung des Hinterkopfs zu vermeiden.
Kein „Nestbau“: Luft muss zirkulieren können
Manche Eltern sind besorgt, dass ihr Nachwuchs beim Schlafen kalte Zugluft abbekommen könnte. Deswegen werden Babys mitunter extra gut „eingepackt“, mit Kissen, Decken und Kuscheltieren. Rodeck fällt dazu eine Karikatur ein, die er in einer Zeitschrift gesehen hat: „Da stehen Mama und Papa vor dem Bett, und in dem Bett liegt irgendwo das Kind – überhäuft mit lauter Kuscheltieren. Und er fragt: ‚Bist du dir sicher, dass wir unser Kind da gestern hineingelegt haben?‘“ Aber genau so sollte es nicht sein: Der Kopf des Kindes sollte immer frei liegen, die Luft ungehindert zirkulieren können. Auch dicke Federbetten sind tabu. Und ebenso ist laut Rodeck das sogenannte „Pucken“, bei dem Babys fest eingewickelt schlafen sollen, nicht zu empfehlen: „Das gibt es in bestimmten Kulturen, aber man sollte es vermeiden. Es schränkt die Bewegungsfreiheit ein und kann problematisch für die Atmung sein.“ Stattdessen rät die DGKJ zu einem geeigneten Schlafsack – ohne Decke, auf einer festen Matratze, im eigenen Babybett, das im Elternschlafzimmer steht.3 „Co-Sleeping“, also das Teilen des Elternbetts, wird nicht empfohlen.
Rauchen (auch passiv) ist Hochrisiko
Zigarettenrauch ist pures Gift – besonders für das empfindliche Atemzentrum eines Säuglings. Und zwar nicht nur nach der Geburt. „Rauchen in der Schwangerschaft ist ein massiver Risikofaktor für plötzlichen Kindstod“, mahnt Rodeck. Das belegen auch zahlreiche Studien.4 „Am besten gar nicht rauchen – weder vor noch nach der Geburt.“ Auch Drogen- und Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zählen zu den klar belegten Risikofaktoren für SIDS.
Wie sinnvoll sind Schnuller?
Schnuller gelten als Schutzfaktor vor plötzlichem Kindstod. Der Grund: „Die Atemwege des Kindes sollten möglichst weit gestellt sein, und das wird durch die Platzierung eines Schnullers gefördert“, erklärt Dr. Rodeck. Der Schnuller könnte außerdem dafür sorgen, dass Babys in einer leichteren Schlafphase bleiben und die Atemwege offen gehalten werden.5 Aber hier gilt: kein Zwang. Und wenn das Kind den Schnuller nachts verliert, muss man ihn nicht wieder in den Mund stecken. Wichtig: Der Schnuller darf nicht mit einer Schnur am Körper befestigt sein – Erstickungsgefahr! Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikum Ulm rät außerdem: Der Schnuller sollte frühestens von der 6. bis 8. Lebenswoche an bis maximal zum 12. Lebensmonat verwendet werden.6
Überhitzung vermeiden
Babys frieren schnell – aber sie überhitzen auch schnell. Deshalb ist das richtige Maß entscheidend. Dicke Decken, Wärmflaschen oder Heizdecken sind tabu. „Wenn ich die Kinder einpacke bis zum Gehtnichtmehr, dann werden sie zu warm – auch das ist ein Risikofaktor“, warnt Rodeck. Die optimale Raumtemperatur liegt zwischen 16 und 18 Grad. Ideal ist ein atmungsaktiver Schlafsack aus Baumwolle. Ein nützlicher Tipp: Der Nacken des Babys sollte warm, aber nicht schwitzig sein.
Impfen kann schützen
Auch Impfungen tragen zur Prävention bei. Nicht, weil sie direkt gegen SIDS schützen, sondern weil sie das Immunsystem des Kindes stärken und Infektionen verhindern, die das Atemzentrum beeinträchtigen könnten. „Man erklärt sich den Schutzeffekt über diesen Mechanismus – das Kind wird ‚lebensfest‘ gemacht“, sagt Rodeck. Deshalb gilt: Impfungen gemäß STIKO-Empfehlung konsequent durchführen – auch zum Schutz vor dem plötzlichen Kindstod.
Stillen senkt das Risiko deutlich
Stillen bietet mehrfachen Schutz. Es fördert die Immunabwehr, beruhigt und verbessert die Atmungsregulation. „Stillen – vier bis sechs Monate – ist besser als Formula-Nahrung“, so Rodeck. Er fügt aber hinzu: „Das heißt nicht, dass man Mütter verurteilen sollte, wenn sie nicht stillen können oder wollen.“ Aber wenn Stillen möglich ist, dann ist es auch ein Schutzfaktor bei SIDS. Einer Studie zufolge reduziert schon zwei Monate Stillzeit das Risiko auf die Hälfte.7
Monitore, Apps und Gadgets – wirklich nötig?
Viele Eltern setzen auf Atemmonitore oder Baby-Matten mit Sensor. Doch Dr. Rodeck rät zur Vorsicht. Die Datenlage sei schwach, Fehlalarme häufig – und die Sicherheit oft trügerisch. „Das ist eine gute Verkaufsidee“, sagt Dr. Rodeck offen. „Die Eltern haben eine vermeintliche Sicherheit, die aber auch nur eine vermeintliche ist.“
Wo finde ich verlässliche Hilfe?
„Nicht Dr. Google“, warnt Dr. Rodeck. „Und auch keine Foren. Da finden Sie eher das, was so Meinung ist, aber nicht wirklich was wissenschaftlich haltbar ist. Die Gefahr, auf unseriöse Inhalte zu stoßen, ist groß.“ Stattdessen:
- Kinderärzte/-innen (besonders bei den U-Untersuchungen)
- DGKJ-Informationsblätter (dgkj.de)
- Frühe Hilfen: kostenfreie Unterstützungsangebote vom Bundeszentrum für Gesundheitliche Aufklärung für (werdende) Eltern mit Kindern bis drei Jahre, besonders in belastenden Lebenssituationen. Über die Suchfunktion kann man direkt vor Ort Ansprechpartner/innen finden. Dazu gibt es verschiedene Erklärvideos.

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Diese Punkte helfen, das Risiko für den plötzlichen Kindstod zu minimieren:
- Immer Rückenlage beim Schlafen
- Schlafsack statt Decke
- Keine Kissen, Nestchen oder Kuscheltiere im Bett
- Raumtemperatur: 16 bis 18 °C
- Baby schläft im Elternzimmer – aber im eigenen Bett
- Rauchfreie Umgebung (auch keine Gäste rauchen lassen)
- Stillen, wenn möglich
- Schnuller bei Bedarf – nicht erzwingen
- Keine Überhitzung
- Impfungen laut STIKO
- Keine Schlaf-Apps oder Matten als Ersatz für Prävention
- Information bei Fachportalen oder Beratung durch Kinderarzt/-innen bei Unsicherheit