
27. Mai 2025, 11:04 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Das bewährte und preiswerte Diabetes-Medikament Metformin steht womöglich vor dem Aus. Darüber berichtet der „Spiegel“. Grund sind drohende Preissteigerungen infolge einer EU-Umweltrichtlinie. Für rund 2,9 Millionen Menschen in Deutschland, die auf Metformin angewiesen sind, hätte das Folgen.
Metformin ist ein nach seinem Wirkstoff benanntes Medikament, das in erster Linie zur Behandlung von Diabetes mellitus verabreicht wird. Insbesondere bei übergewichtigen Patienten.1 Indem es bei Diabetikern den Blutzuckerspiegel reduziert, verbessert sich die Glucoseverwertung in den Blutgefäßen – ein wichtiges weiteres Behandlungsziel ist die Reduktion von Begleit- und Folgeerkrankungen. Metformin gilt als gut verträglich – und ist extrem günstig. Jedoch droht der Produktion des wichtigsten Diabetes-Medikaments das Aus.
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Übersicht
Grund für das drohende Metformin-Aus
Eine Packung Metformin für drei Monate kostet im Schnitt nur etwa fünf Euro. Für Patienten bedeutet das eine wirksame, sichere und vor allem bezahlbare Therapie – gerade bei einer chronischen Erkrankung wie Diabetes ein entscheidender Faktor. Doch nun könnte dem Medikament das Aus drohen: Laut einem aktuellen Bericht des „Spiegel“ prüfen Hersteller wie Zentiva und Sandoz, ob sie die Produktion einstellen müssen. Eine neue EU-Abwasserrichtlinie verpflichtet die Unternehmen dazu, sich finanziell daran zu beteiligen, Medikamentenrückstände im Abwasser besser herauszufiltern.
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Was das für Patienten bedeutet
Für Patienten bedeutet das: Metformin könnte vom Markt verschwinden, weil aufgrund der neuen Richtlinie die alten Herstellungskosten explodieren könnten. Der Verband der Generikahersteller in Deutschland, Pro Generika, spricht nach Modellrechnungen von einer möglichen Vervierfachung der Preise.2 Diese Preissteigerungen können die Metformin-Hersteller aber nicht an Krankenkassen oder Patienten weitergeben, weil die Preise für Generika wie Metformin gesetzlich gedeckelt sind.
Laut dem „Spiegel“ prüfen Metformin-Hersteller wie Zentiva und Sandoz jetzt, ob sie die Produktion einstellen müssen. Die Folge für Patienten wären deutlich teurere Alternativen, die oft auch komplizierter in der Anwendung sind. Viele müssen zum Beispiel gespritzt werden. Etwa Gliflozine (SGLT-2-Hemmer), Glutide (GLP-1-Rezeptor-Agonisten) oder Insulin.
Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, bezeichnet die Auswirkungen der kommunalen Abwasserrichtlinie auf die Versorgung gegenüber FITBOOK als „verheerend“. Brehhauer: „Weil die Produktion unwirtschaftlich wird, werden Hersteller gezwungen sein, lebenswichtige Produkte vom Markt zu nehmen. Darunter leiden Patienten, die ihr Medikament wechseln müssen.“
Diabetes in Deutschland: In Deutschland gibt es aktuell rund 8,7 Millionen Menschen mit einer diagnostizierten Typ-2-Diabetes.3 Laut Zahlen des Robert Koch-Instituts erhält in Deutschland ein Drittel der 45- bis 79-jährigen Personen mit Typ-2 Diabetes eine Metformin-Monotherapie. Jede vierte Person bekommt eine Insulintherapie. Im Zeitverlauf von 1998 bis 2010 haben die Metformin-Monotherapie und die Kombinationstherapie von oralen Antidiabetika und Insulin zugenommen.4
Tipps für Patienten, die sich um Metformin-Versorgung sorgen
Zunächst: Derzeit läuft die Produktion weiter, es gibt noch keinen Versorgungsengpass. Die frühzeitige Einlösung von Rezepten (innerhalb des erlaubten Rahmens) kann helfen, Engpässe zu vermeiden. Außerdem sollten Patienten ihre Kontrolltermine beim Arzt wahrnehmen, damit gegebenenfalls rechtzeitig eine alternative Therapie besprochen werden kann, falls ein Engpass eintreten sollte. Eine Umstellung auf Alternativen wie SGLT-2-Hemmer, GLP-1-Agonisten oder Insulin ist immer ärztlich zu begleiten.
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Warum diese Richtlinie?
Medikamentenrückstände können in Gewässern landen und dort ökologische Schäden verursachen. Etwa, indem sie das Fortpflanzungsverhalten von Fischen stören, zur Entwicklung von Resistenzen (Antibiotika) führen oder sogar in Trinkwasserquellen gelangen. Die EU möchte den Umweltschutz verbessern. Die EU-Abwasserrichtlinie (UWWTD) regelt die Anforderungen an die Nährstoffentfernung in den EU-Mitgliedsstaaten.
Die neue Stufe sieht vor, Mikroschadstoffe wie Medikamentenrückstände aus dem Abwasser zu entfernen, um ihre Umweltauswirkungen zu minimieren. Demnach müssen alle großen Einleiter bis 2039 entsprechende Maßnahmen ergreifen. Einleiter sind unter anderem Pharmaunternehmen. Die UWWTD (steht für Urban Waste Water Treatment Directive) verpflichtet Pharmaunternehmen dazu, sich an den Kosten für eine zusätzliche Reinigungsstufe in Kläranlagen zu beteiligen – um diese Rückstände besser herauszufiltern. Bisher war diese weitere Reinigungsstufe nicht verpflichtend für die EU-Mitgliedsstaaten.
Nicht nur Metformin betroffen
Auch andere lebenswichtige Medikamente wie das Antibiotikum Amoxicillin oder das Brustkrebsmedikament Tamoxifen sind laut „Spiegel“ gefährdet. Besonders Generikahersteller, die ohnehin mit engen Margen arbeiten, könnten unter der neuen Verordnung ihre Produktion einstellen oder ins Ausland verlagern – was Lieferengpässe verschärfen könnte.

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Wie geht es jetzt weiter?
Obwohl das Ziel der Richtlinie – weniger Schadstoffe im Wasser – unstrittig ist, stößt die Finanzierungslast auf heftige Kritik. Umweltverbände fordern das Verursacherprinzip, während Pharmafirmen und Experten eine gerechtere Lastenverteilung, etwa über Abwassergebühren, fordern. Auch das Umweltbundesamt geht von jährlichen Kosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro allein für Deutschland aus.
Für Pro-Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer ist klar: „Die kommunale Abwasserrichtlinie muss überprüft und es müssen neue Wege zur Finanzierung gefunden werden, die nicht zulasten der Versorgungssicherheit gehen.“
Mehrere Länder, darunter Polen, haben bereits Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Die EU-Kommission prüft nun die wirtschaftlichen Folgen erneut.