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Interview mit Klinik-Leiterin in München

„Viele glauben, in einem Kinderhospiz sei es ständig traurig – aber das stimmt nicht“

Kinderhospiz
Begleitung im Kinderhospiz: Nähe, Vertrauen und kleine Momente der Freude. Foto: Getty Images
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Julia Freiberger
Redakteurin

20. Juli 2025, 8:32 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

FITBOOK: Was sind die größten Herausforderungen für Familien mit schwer erkrankten Kindern?
Jutta Malenke: „Das ist sehr individuell, aber häufig fällt mindestens ein Elternteil als Verdiener weg – entweder vorübergehend oder dauerhaft. Das bringt oft finanzielle Schwierigkeiten mit sich. Hinzu kommt soziale Isolation: Viele Freundschaften brechen weg, weil das Umfeld mit dem Schicksal überfordert ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Kind bereits mit der Erkrankung geboren wurde oder die Diagnose erst später kam. Das soziale Umfeld verändert sich, neue Kontakte zu knüpfen ist nicht immer einfach – vor allem, wenn das Kind das Haus kaum oder gar nicht verlassen kann.“

„Diese Kinder übernehmen häufig früh Verantwortung“

Wie gehen Geschwister mit dieser Situation um?
„Für Geschwisterkinder bedeutet die Erkrankung oft eine komplett neue Lebensrealität. Wenn die Diagnose plötzlich kommt und nicht von Anfang an Teil des Familienlebens war, ist das besonders einschneidend. Diese Kinder übernehmen häufig früh Verantwortung, reifen schneller als Gleichaltrige – teils mehr, als für ihr Alter gut wäre.“

Werden die Geschwisterkinder gezielt in Ihre Arbeit eingebunden?
„Ja, wir arbeiten immer mit dem gesamten Familiensystem. Dazu zählen neben den Eltern auch Geschwister oder enge Bezugspersonen wie Großeltern. Wir setzen ehrenamtliche Familienbegleitungen ein, die von uns intensiv geschult werden und gezielt Zeit mit dem erkrankten Kind oder mit den Geschwistern verbringen – je nach Bedarf. Diese Zeit ist für die Familien eine große Entlastung und für die Kinder oft ein Highlight.“

Gibt es auch spezielle Gruppenangebote nur für Geschwisterkinder?
„Ja. Wir bieten Geschwistergruppen an, in denen keine Eltern oder erkrankten Geschwister anwesend sind. Diese Räume sind für die gesunden Geschwister wichtig, um eigene Erlebnisse zu teilen. Zusätzlich gibt es Vater-Kind-Wochenenden oder ähnliche Aktionen. Uns ist wichtig, dass die Geschwister nicht nur als ‚die Schwester oder der Bruder von‘ wahrgenommen werden, sondern als eigenständige Persönlichkeiten.“

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Reden über das, was unaussprechlich scheint

Wie wird mit den betroffenen Kindern über Krankheit oder Tod gesprochen?
„Kinder sind neugierig und stellen Fragen – wenn man ihnen signalisiert, dass sie in einem sicheren Umfeld fragen dürfen. Ehrlichkeit ist dabei zentral. Das bedeutet nicht, jedes Detail zu erzählen, aber die gestellten Fragen ehrlich zu beantworten. Wir empfehlen passende kindgerechte Literatur, je nach Alter. Zusätzlich arbeiten wir mit Netzwerkpartnern zusammen, die spezialisierte Angebote bereithalten.“

„Trauer beginnt oft schon mit der Diagnose“

Wann und in welchen Situationen können Familien auf Ihr Kinderhospiz-Team zukommen?
„Wir begleiten Familien, in denen ein Familienmitglied – also auch ein Elternteil – lebensbedrohlich oder lebensverkürzend erkrankt ist und minderjährige Kinder im Haushalt leben. Unser Ansatz ist ganzheitlich. Wir bieten psychosoziale Begleitung für die gesamte Familie, führen Entlastungsgespräche und unterstützen bei Themen wie Tod, Sterben und Trauer. Denn Trauer beginnt oft schon mit der Diagnose.“

Was genau bedeutet psychosoziale Begleitung in diesem Kontext?
„Wir schauen, was die Familie braucht, um die vorhandene Zeit sinnvoll und erfüllend zu gestalten. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit der Familie ein stabiles Gerüst aufzubauen – wir sind dabei ein Baustein, aber nicht das Fundament. Unser Ziel ist, dass die Familie irgendwann ohne unsere Hilfe weitergehen kann.“

Hilfe in der Krise – jederzeit erreichbar

Wie sieht die akute Unterstützung bei Krisen aus?
„Für Notfälle haben wir einen rund um die Uhr erreichbaren Krisendienst – an 365 Tagen im Jahr. Alle Familien wissen, dass sie diesen jederzeit kontaktieren können, was oft schon Sicherheit genug ist.“

Gibt es auch Angebote zu Bewegung, Kreativität oder Achtsamkeit?
„Ja, auch hier beraten wir mithilfe unserer Angehörigenberatung, zum Beispiel über Pflegeangebote oder Kurse. Aktuell läuft etwa ein digitaler Resilienzkurs für Eltern. Digitale Formate sind für unsere Familien oft leichter umsetzbar.“

Zwischen Finanzierung und Freiraum

Wie werden die Leistungen finanziert? Können Familien über die Krankenkasse Unterstützung erhalten?
„Ein Teil der Kosten wird von den Krankenkassen übernommen, der andere über Spenden finanziert. Pflegeberatungen sind beispielsweise bis zu einem gewissen Grad über die Krankenkassen abrechenbar. Aber wir arbeiten nicht im Minutentakt – Gespräche dauern bei uns so lange, wie sie eben dauern müssen.“

Wie sieht es mit Bewegungsangeboten bei schwer kranken Kindern aus?
„Das ist ein großes Thema. Es fehlt an Physiotherapeutinnen, Pflegepersonal und mobilen Diensten. Dadurch sind die Eltern oft gezwungen, vieles selbst zu übernehmen, was an ihre Grenzen geht.“

„Manche Diagnosen bestehen nur aus einer Buchstaben-Zahlen-Kombination“

Gibt es typische Erkrankungen, mit denen Sie besonders häufig zu tun haben?
„Viele unserer Kinder haben onkologische Erkrankungen. Daneben betreuen wir viele Kinder mit seltenen genetischen Erkrankungen, deren Diagnosen manchmal gar keinen Namen, sondern nur noch eine Buchstaben-Zahlen-Kombination haben. Das bedeutet oft, dass es weltweit nur wenige ähnliche Fälle gibt – und damit kaum Austauschmöglichkeiten oder gezielte Hilfen.“

„Es wird viel gelacht“

Was sind die größten Missverständnisse, mit denen Sie im beruflichen Alltag konfrontiert sind?
„Viele glauben, in einem Kinderhospiz sei es ständig traurig. Aber das stimmt so nicht. Wir begleiten Familien über Jahre hinweg, auch zurück ins Leben. Es wird viel gelacht, es gibt viele schöne, lebendige Momente – das ist uns sehr wichtig.“

Wie gehen Sie persönlich mit der emotionalen Belastung um?
„Man kann sich nicht auf den Tod eines Kindes vorbereiten – auch nicht als Eltern. Unsere Aufgabe ist es, in dem Moment da zu sein, wenn es passiert, und mit den vielen Emotionen, die dann auftauchen, umzugehen. Auch nach dem Tod begleiten wir die Familie bis zu einem Jahr weiter.“

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„Das ist für mich das Wertvollste“

Was macht diese Arbeit im Kinderhospiz für Sie persönlich so wertvoll?
„Die Gewissheit, dass unsere Arbeit den Familien hilft. Wir sind in schweren Momenten da, aber auch in den schönen. Zu erleben, dass die Kinder trotz Krankheit ganz normale Kinder sind – neugierig, verspielt, voller Leben – das ist für mich das Wertvollste.“

Gibt es ein persönliches Erlebnis, das Sie besonders berührt hat?
„Einen konkreten Lieblingsmoment gibt es nicht. Aber jedes Mal, wenn ein Ehrenamtlicher perfekt zu einem Kind passt, das Kind vor Freude leuchtende Augen bekommt und umgekehrt auch der Ehrenamtliche begeistert ist – dann weiß ich, warum ich diese Arbeit mache.“

Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich in Ihrem Team?
„Allein am Standort München haben wir aktuell 110 Ehrenamtliche. In unseren vier Zentren insgesamt sind es 224, die ausschließlich im Bereich der Kinderhospizarbeit tätig sind. Dazu kommen noch viele weitere in anderen Aufgabenbereichen, etwa im Krisendienst.“

Hilfe, die ankommt: Ein Herz für Kinder unterstützt das Kinderhospiz München

Damit diese wichtige Arbeit auch langfristig möglich bleibt, wird das Ambulante Kinderhospiz München mit einer sechsstelligen Summe von der BILD-Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ gefördert. Die Organisation engagiert sich weltweit für benachteiligte Kinder – etwa mit Operationen, dem Bau von Schulen und Kliniken oder Nothilfe in Katastrophengebieten. Allein in den letzten 1,5 Jahren konnten dadurch 1.674 Projekte und Familien unterstützt werden – mehr als 1,4 Millionen Menschen wurde geholfen.

Hilfe, die Familie auffängt

Wenn ein Kind ohne Aussicht auf Heilung erkrankt, braucht nicht nur das Kind Unterstützung – sondern das ganze System Familie. Jutta Malenke und ihr Team vom Ambulanten Kinderhospiz München begleiten Eltern, Geschwister und Angehörige mit Erfahrung, Empathie und einem Blick für das, was wirklich zählt. Dass dabei nicht nur getrauert, sondern auch gelacht wird, zeigt: Diese Arbeit ist ein Anker – in einer Zeit, in der vielen der Boden unter den Füßen wegbricht.

Themen Kindergesundheit

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