
17. Mai 2025, 7:57 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Ursprünglich als Medikament gegen starke Schmerzen entwickelt, hat Fentanyl inzwischen auch eine dunkle Seite: Immer häufiger wird die hochwirksame Substanz als Rauschmittel missbraucht – mit teils tödlichen Folgen. Was das Opioid so gefährlich macht? Es wirkt schneller und stärker als Heroin, birgt ein extremes Abhängigkeitspotenzial und lässt sich nur schwer dosieren. FITBOOK-Autorin Julia Freiberger erklärt die Wirkungen und Gefahren der Substanz.
In den USA hat Fentanyl eine schwere Gesundheitskrise verursacht. Auch in Deutschland mehren sich inzwischen Berichte über gefährlichen Missbrauch – zum Beispiel in Halle oder Dresden. Könnte Fentanyl auch in Deutschland eine Krise herbeiführen?
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Übersicht
Was ist Fentanyl?
Unter Fentanyl versteht man ein synthetisch hergestelltes Opioid, welches ursprünglich zur Behandlung chronischer und starker Schmerzen eingesetzt wurde. Entwickelt wurde es im Jahr 1959 von dem belgischen Chemiker Paul Janssen und seinem Team. Fentanyl gehört zur Gruppe der Anilinopiperidine. Für gewöhnlich wird es in der medizinischen Praxis unter anderem bei Krebserkrankungen oder in der Narkose eingesetzt – etwa als Injektion, Nasenspray, Lutschtablette oder transdermales Pflaster.1
Zudem führt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Fentanyl auf ihrer Liste der unentbehrlichen Arzneimittel auf. Das Besondere dabei: Der Wirkstoff ist etwa 100-mal stärker als Morphin und besitzt eine extrem geringe therapeutische Breite. Einfacher ausgedrückt: Schon geringe Abweichungen in der Dosierung können toxisch sein. Zwei Milligramm intravenös verabreichtes Fentanyl reichen unter Umständen aus, um eine tödliche Atemlähmung auszulösen.2
Was versteht man unter Opioiden?
Opioide zählen zu den verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln und entfalten ihre Wirkung hauptsächlich im zentralen Nervensystem – also in bestimmten Zellen des Gehirns und Rückenmarks, die über sogenannte Opioid-Rezeptoren verfügen. Dort blockieren sie die Weiterleitung von Schmerzsignalen. Man unterscheidet zwischen schwächer wirksamen Substanzen wie Codein oder Tramadol und stark wirksamen Präparaten wie Morphin oder Fentanyl. Opioide können nicht nur starke Schmerzen lindern, sondern auch beruhigend wirken. Vor allem die stärker wirkenden Opioide können häufig unangenehme Nebenwirkungen verursachen – dazu gehören z. B. Verstopfung, Übelkeit, Schwindel und Müdigkeit.3
Woher kommt der Name „Zombie-Droge“?
Tatsächlich hat sich der Begriff „Zombie-Droge“ vor allem in den USA etabliert und beschreibt den körperlichen Verfall und die Bewegungsstörungen, die bei einem Langzeitkonsum auftreten. Da Fentanyl zu Muskelversteifungen führen kann, können Betroffene sich nur noch abgehackt, schwankend oder unkoordiniert bewegen. Hinzu kommen geistige Ausfälle, die an das Verhalten von Untoten erinnern – wodurch von „Zombie-Droge“ die Rede ist.
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Wie wird der Wirkstoff verabreicht?
Fentanyl lässt sich auf unterschiedliche Weise verabreichen – je nachdem, wie schnell der Wirkstoff einsetzen und wie lange seine Wirkung anhalten soll. Bereits kleine Mengen reichen aus, um starke Schmerzen zu lindern.
Intravenöse Gabe
Wird Fentanyl direkt in eine Vene gespritzt, entfaltet es seine Wirkung besonders schnell – oft bereits nach fünf Minuten. Diese Methode kommt häufig im Rahmen von Operationen zum Einsatz, etwa zur Einleitung einer Narkose oder zur Behandlung starker akuter Schmerzen. Häufig wird es dabei mit Schlaf- oder muskelentspannenden Mitteln kombiniert.
Tabletten und Sprays
Fentanyl ist auch in Form von Lutschtabletten, Sublingualtabletten (zum Auflösen unter der Zunge), Buccaltabletten (für die Anwendung in der Wangentasche) oder als Nasenspray erhältlich. Diese Darreichungsformen wirken besonders schnell – oft schon innerhalb weniger Minuten – und werden meist bei plötzlich auftretenden, sehr starken Schmerzen eingesetzt, zum Beispiel bei Krebspatienten.
Transdermale Pflaster
Besonders verbreitet ist die Anwendung von Fentanyl über sogenannte transdermale Pflaster. Dabei handelt es sich um Pflaster, die auf die Haut aufgeklebt werden und den Wirkstoff über mehrere Tage hinweg kontinuierlich freisetzen. Die Wirkung beginnt nach etwa zwölf bis 24 Stunden und hält bis zu 72 Stunden an. Diese Methode eignet sich hauptsächlich für Menschen mit dauerhaft starken Schmerzen – nicht jedoch für akute Beschwerden.
Welche Wirkungen hat Fentanyl?
Fentanyl gelangt über das Blut ins Gehirn und wirkt dort auf Opioidrezeptoren. Es blockiert Schmerzsignale, beruhigt und sorgt für ein starkes Glücksgefühl. Die Wirkung tritt – je nach Anwendungsform – sehr schnell ein.4 Zu den typischen körperlichen Effekten gehören:
- Verlangsamte Atmung
- Beruhigung und Schläfrigkeit
- Verlangsamter Puls
- Euphorie
- Magen-Darm-Beschwerden wie Verstopfung
- Schwindel, Kopfschmerzen
- Übelkeit, Erbrechen
- Herzrhythmusstörungen
Psychische Wirkung
Fentanyl wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem und beeinflusst das sogenannte Belohnungssystem im Gehirn. Es kann ein starkes Wohlgefühl auslösen, das Menschen immer wieder erleben wollen. Das Risiko einer psychischen Abhängigkeit ist hoch, insbesondere bei missbräuchlichem Konsum.
Welche Folgen drohen beim Missbrauch?
Fentanyl hat ein sehr hohes Risiko für körperliche und psychische Abhängigkeit – selbst bei medizinisch verordneter Einnahme. Besonders gefährlich ist der Mischkonsum mit Alkohol, Schlafmitteln oder anderen Drogen – dieser kann schnell zum Atemstillstand führen.
Kurzfristige Nebenwirkungen
- Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung
- Schläfrigkeit, Schwindel
- Schlafstörungen, Nervosität
- Herzrhythmusstörungen
Mittelfristige Folgen
- Toleranzentwicklung: Es werden immer höhere Dosen benötigt
- Entzugserscheinungen beim Aussetzen der Einnahme
- Angstzustände, Schüttelfrost, Unruhe
Langfristige Auswirkungen:
- Soziale Isolation
- Verlust von Beruf, Familie, Stabilität
- Beschaffungskriminalität
- Lebensgefahr durch Überdosierung5

Von der Intensivstation zur gefährlichen Droge
„Fentanyl ist mir noch ein Begriff aus der Zeit, als ich meinen Zivildienst in der Intensivstation eines Krankenhauses absolvierte. Viele Patienten lagen im künstlichen Koma, das starke Opioid wurde von den Ärzten verabreicht, um starke Schmerzen zu lindern, etwa nach Operationen. Dass das Medikament heute anscheinend als Droge auf der Straße gehandelt und eingenommen wird, empfinde ich als ziemlich erschreckend.“
Wer ist besonders gefährdet?
Zwei Gruppen gelten als besonders gefährdet:
- Chronische Schmerzpatienten, die regelmäßig über längere Zeit Fentanyl einnehmen. Auch bei korrekter ärztlicher Anwendung kann sich eine Gewöhnung und damit eine Sucht entwickeln. Deshalb sollte die Behandlung so kurz wie möglich erfolgen.
- Drogennutzende, die Fentanyl als Rauschmittel verwenden. Hierbei werden oft gebrauchte oder illegal beschaffte Pflaster missbräuchlich aufgekocht und injiziert – mit unkalkulierbarem Risiko. Da die genaue Dosierung nicht kontrolliert wird, ist die Gefahr einer Überdosis extrem hoch.
Symptome einer Fentanyl-Abhängigkeit
Eine beginnende oder bestehende Abhängigkeit zeigt sich oft durch folgende Anzeichen:
- Ständiges Verlangen nach dem Medikament, auch ohne Schmerzen
- Missachtung von Nebenwirkungen
- Gedanken kreisen nur noch um die nächste Einnahme
- Entzugserscheinungen, wenn die Einnahme vergessen oder unterbrochen wird
(z. B. Übelkeit, Durchfall, Schwindel, Schlaflosigkeit)
Die Opioidkrise in den USA
In den Vereinigten Staaten hat Fentanyl seit Mitte der 2010er-Jahre eine beispiellose Gesundheitskrise ausgelöst. Die Substanz wird häufig in illegale Drogen wie Heroin, Kokain oder Methamphetamin gemischt – oft ohne Wissen der Konsumierenden. Die Folge sind hohe Überdosiszahlen. Allein im Jahr 2023 starben in den USA etwa 75.000 Menschen an Fentanyl – das entspricht drei Viertel aller Drogentoten. Damit ist Fentanyl zur häufigsten Todesursache bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 45 Jahren geworden.6
Die Ursache der Krise liegt nicht nur im Missbrauch, sondern auch in der extremen Potenz der Substanz und der illegalen Herstellung – vor allem in Asien. Große Mengen erreichen Nordamerika über Schmuggelrouten.

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Mögliche Folgen für Deutschland
In Deutschland ist Fentanyl ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel und wird streng kontrolliert. Dennoch mehren sich Berichte über missbräuchliche Anwendung, besonders in Ostdeutschland. In Städten wie Halle und Dresden wurde Fentanyl bereits in illegalem Kontext sichergestellt – oft in Form von aus Pflastern extrahierter Wirkstofflösung.
Zudem kommt es vor, dass Fentanyl unwissentlich konsumiert wird, etwa wenn Heroin oder andere Substanzen mit dem Wirkstoff gestreckt werden. Die Gefahr: Eine Überdosis ist in solchen Fällen kaum vorhersehbar und kann schon bei minimalen Mengen tödlich verlaufen.
Auch wenn die Fallzahlen in Deutschland bisher deutlich niedriger sind als in Nordamerika, warnen Fachleute vor einem möglichen Anstieg. Besonders kritisch wird die steigende Zahl der medizinischen Verschreibungen gesehen – sie erhöhen indirekt die Verfügbarkeit im Umlauf. Bisher fehlen in Deutschland allerdings verlässliche Zahlen zu illegalem Konsum, Todesfällen oder Beschlagnahmungen.7