
5. Juni 2025, 11:04 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Kann der Familienstand über Leben und Tod entscheiden? Eine neue Untersuchung zu Darmkrebs zeigt überraschende Unterschiede im Überleben – abhängig davon, ob jemand verheiratet ist oder single durchs Leben geht. Wer bei der Diagnose auf sich allein gestellt ist, scheint es deutlich schwerer zu haben. Was steckt hinter diesem Befund – und was lässt sich daraus für Früherkennung und Therapie ableiten?
Wie stark beeinflusst das persönliche Umfeld den Krankheitsverlauf bei Krebs? Genau das wollte eine neue Studie, vorgestellt auf dem renommierten Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), herausfinden. Sie beleuchtet den Zusammenhang zwischen dem Beziehungsstatus und der Überlebenswahrscheinlichkeit bei Darmkrebs. Die Untersuchung, unter Leitung von Onkologin Dr. Namrata Vijayvergia vom Fox Chase Cancer Center, basiert auf über zwei Jahrzehnten Patientendaten aus den USA. Das Forschungsteam verglich erstmals die Entwicklungen zwischen den Jahren 2000 bis 2021 und fand dabei deutliche Muster, die weitreichende Folgen für die Versorgungspraxis haben könnten.
Übersicht
Erhöht die Ehe die Überlebenschance bei Darmkrebs?
Die Studie untersuchte, wie der Beziehungsstatus das Überleben von Patientinnen und Patienten mit kolorektalem Karzinom (Darmkrebs) beeinflusst. Hintergrund ist, dass frühere Analysen bereits Hinweise darauf gaben, dass Verheiratete bessere Überlebensraten haben – jedoch stammten die meisten dieser Daten aus der Zeit vor 2015.1
Ziel der aktuellen Untersuchung war daher, diesen Zusammenhang auf Basis aktueller Daten (2000 bis 2021) zu überprüfen und mit früheren Zeiträumen zu vergleichen. Gleichzeitig analysierten die Forschenden, ob Unterschiede im Erkrankungsstadium bei Diagnosestellung je nach Familienstand bestehen. Da sich Therapieansätze, Screeningmethoden und Gesundheitsversorgung im Zeitverlauf verbessert haben, wurde die Datenanalyse in zwei Dekaden unterteilt (2000 bis 2010 vs. 2011 bis 2021), um mögliche zeitliche Trends sichtbar zu machen.
Im Fokus stand dabei insbesondere die Frage, ob die Daten folgende Annahme bestätigten: Verheiratete Menschen haben bessere Überlebenschancen, weil sie früher diagnostiziert werden. Denn genau darauf deutete der bisherige Kenntnisstand der Wissenschaft hin. „Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen, die allein sind, doppelt belastet sind: Sie werden in der Regel in einem späteren Stadium diagnostiziert und haben schlechtere Behandlungsergebnisse“, erklärte Namrata Vijayvergia, MD, Assistant Chief of Gastrointestinal Medical Oncology in Fox Chase und Hauptautorin der Studie in einer Mitteilung der Temple University.2
Auch interessant: An Darmkrebs erkranken immer mehr jüngere Menschen
Studiendesign und Methoden
Die Studie basiert auf Daten von Patientinnen und Patienten mit kolorektalem Karzinom, die zwischen 2000 und 2021 im SEER-Register erfasst wurden. Bei SEER handelt es sich um das offizielle Register des US-amerikanischen National Cancer Institutes.
Insgesamt wurden die Fälle von Darmkrebs nach Beziehungsstatus in drei Gruppen unterteilt:
- verheiratet
- ledig
- getrennt/geschieden/verwitwet
Die Forschenden analysierten die 5-Jahres-Überlebensraten für jede Gruppe und verglichen diese in den erwähnten zwei Zeitabschnitten (2000 bis 2010 und 2011 bis 2021) sowie über den Gesamtzeitraum. Die Unterschiede zwischen den Gruppen werteten die Forscher mittels Kaplan-Meier-Überlebensanalyse statistisch aus. Zudem erfasste man den Krankheitsstatus bei Diagnosestellung und unterteilte ihn in drei Stadien:
- lokalisiert (Frühstadium)
- regional (Ausbreitung auf umliegende Gewebe)
- Fernmetastasen (fortgeschrittenes Stadium)
Der Anteil der Patienten in jedem Stadium wurde für jede „Beziehungsstatusgruppe“ getrennt berechnet. Damit konnten die Wissenschaftler mögliche Korrelationen zwischen Familienstand, Erkrankungsstadium und Überlebensrate sichtbar machen.
Beziehungsstatus hat enormen Einfluss auf Darmkrebs-Betroffene
Tatsächlich bestätigt die Studie frühere Forschungserkenntnisse. Die Analyse brachte klare Unterschiede im Überleben in Abhängigkeit vom Familienstand zutage.
Über alle Zeiträume hinweg hatten verheiratete Personen mit Darmkrebs die höchste 5-Jahres-Überlebensrate mit durchschnittlich 62,1 Prozent. Es folgten ledige Personen. Sie hatten im Durchschnitt eine 53-prozentige Chance, fünf Jahre nach der Krebsdiagnose noch zu leben. Dagegen hatten Personen, die getrennt, geschieden oder verwitwet waren, nur eine 5-Jahres-Überlebenschance von rund 44,6 Prozent.
Alle Gruppen profitierten von generell verbesserten Überlebenschancen im jüngeren Zeitraum (2011 bis 2021):
- Bei Verheirateten stieg die Rate von 61,2 auf 63,1 Prozent,
- bei Ledigen von 51,1 auf 54,5 Prozent und bei
- getrennten, geschiedenen oder verwitweten Patienten von 43,8 auf 45,7 Prozent.
Auch beim Krankheitsstadium zeigten sich deutliche Unterschiede: Verheiratete erhielten signifikant häufiger im Frühstadium ihre Diagnose (41,8 Prozent), während Personen, die nicht mehr in einer Beziehung lebten bzw. nicht mehr verheiratet waren, häufiger regionale Tumorausbreitung aufwiesen (38,3 Prozent). Ledige hingegen hatten den höchsten Anteil an fortgeschrittener Erkrankung mit Fernmetastasen (26,4 Prozent). Diese Unterschiede waren jeweils statistisch signifikant.3
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse?
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der soziale Kontext, insbesondere der Beziehungsstatus, eine entscheidende Rolle für Diagnosezeitpunkt und Überlebenschancen bei Darmkrebs spielen können.
Verheiratete Menschen profitieren offenbar von stärkerer sozialer Unterstützung. Sie erscheinen häufiger zu Untersuchungen, halten sich eher an Therapiepläne und melden Nebenwirkungen schneller – Faktoren, die direkt die Prognose beeinflussen können. Die Tatsache, dass man bei ihnen die Erkrankung häufiger im Frühstadium entdeckt, unterstreicht den präventiven Effekt eines stabilen sozialen Umfelds. Den Vorteil sozialer Unterstützung scheinen ledige sowie getrennt, geschieden oder verwitwet lebende Patienten leider nicht zu haben.
Für die Praxis liefern die Studienerkenntnisse Argumente dafür, dass man unverheirateten Menschen gezielt niedrigschwellige Angebote zur Vorsorge und Nachsorge machen sollte, um die beschriebene Lücke zu schließen. Der soziale Kontext sollte in der Onkologie als Risikofaktor stärkere Berücksichtigung finden.
Einordnung der Studie und mögliche Einschränkungen
Die Stärke der Studie ist, dass sie auf einer soliden Datengrundlage aus dem SEER-Register basiert, das eine hohe Fallzahl und standardisierte Erfassung gewährleistet. Die lange Beobachtungszeit über zwei Jahrzehnte erlaubt zudem eine differenzierte Analyse von Entwicklungen im Zeitverlauf. Allerdings war das Studiendesign retrospektiv und beobachtend, was bedeutet, dass die Analyse Kausalitäten nicht direkt beweisen kann. Zudem fehlt eine direkte Kontrolle für mögliche Störfaktoren wie Einkommen, Bildungsniveau oder ethnische Zugehörigkeit, die ebenfalls Einfluss auf Diagnosezeitpunkt und Überleben haben könnten. Auch sagt der Begriff „verheiratet“ nichts über die Qualität der Beziehung oder tatsächliche soziale Unterstützung aus. Weitere Informationen zu sozialen Beziehungen wie Kinder, Geschwister, Eltern, Freunde usw. waren nicht Teil der Studie. Trotzdem liefert die Untersuchung wertvolle Hinweise auf eine anhaltende Versorgungslücke, die sich auch durch Fortschritte in Diagnostik und Therapie nicht vollständig schließen ließ. Interessenkonflikte wurden nicht angegeben, was die Objektivität der Ergebnisse zusätzlich stützt.
Wir wollen an dieser Stelle ebenfalls betonen, dass aktuell nur eine Zusammenfassung der Studie, die auf einem Kongress vorgestellt wurde, einsehbar ist. Eine unabhängige Peer-Review sowie eine Veröffentlichung in einem Fachmagazin stehen noch aus.

Forscher identifizieren Möglichkeit, Raucher vor tödlichem Lungenkrebs zu schützen

Erschöpfte Männer haben laut Studie höheres Herzinfarktrisiko

Unter diesen Bedingungen leben Männer länger als Frauen
Menschen dürfen beim Thema Gesundheit nicht allein gelassen werden
Verheiratete Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs leben länger – und werden häufiger frühzeitig diagnostiziert. Die aktuelle Auswertung von über zwei Jahrzehnten SEER-Daten bestätigt, dass soziale Unterstützung offenbar einen entscheidenden Einfluss auf das Überleben hat. Für ledige und getrennt lebende Menschen könnten gezielte Vorsorge- und Unterstützungsangebote entscheidend sein, um bestehende Ungleichheiten zu reduzieren. Der Beziehungsstatus sollte daher in der Krebsversorgung (auch über Darmkrebs hinausgehend) künftig stärker als Risikofaktor Berücksichtigung finden.